Die Frau im Karton

Frau

Ich kann mir ja  nie vorstellen, dass etwas endgültig vorbei ist. Dass eine Liebe zugrunde gehen kann, dass Freunde sich trennen, oder dass Dinge einfach zu nichts mehr zu gebrauchen sind. Ich bin ein Altkrämer, der versucht alte Gefühle zu erhalten, und sich immer wieder freut, Gegenstände zu finden, die mich für einen Moment wieder zurück bringen in Zeiten, in denen die Gefühle groß und die Möglichkeiten unendlich waren. Ich kann mich von nichts trennen, an dem eine Erinnerung hängt: Kästen mit Postkarten, seltsame Fundstücke aus den Ramschläden Europas und dann dieser seltsame Apparat aus der Tschechoslowakei, der mal ein Geschenk für eine Frau werden sollte. Ernsthaft! Petra hieß sie. Sie war schön, groß, hatte lange Beine und einen Freund. Aber sie hatte auch was für mich übrig. Das merkte ich, wenn ich sie in dem Alte-Tanten-Café besuchte, in dem sie bediente. Ich wollte nichts von ihr, anfangs, ich wollte sie nur mal anschauen, wie sie aussieht in dem schwarzen Kellnerinnenkostüm, von dem sie mir erzählt hatte.  Das machte sie verlegen, besonders, als ich immer wieder kam. Aber ich wusste nicht so recht, was ich mit ihrer Schwäche für mich anfangen sollte. Ich war Ende 20, aber ich hatte wirklich keine Ahnung, wie ich einer Frau näher kommen konnte. Da ging zum Glück der Eiserne Vorhang auf, und ich musste weg. Die Grenze war offen, das Reich des Bösen lockte mich mit ungeahnten Abenteuern. Der Wagemut, der mir bei Petra fehlte – hier konnte ich ihn ausleben: Mit dem Rad auf  holprigen Pisten, in ranzigen Hotels und im Gestank riesiger Industrieanlagen. Aber Petra fuhr mit, wenn auch nur als Gedanke an ein tolles Geschenk, das ich ihr von meiner Reise mitbringen wollte. Nicht einfach in Ländern, in denen die Planwirtschaft Konsumgüter hervorgebracht hatte, die nur noch entfernt an ihre westlichen Gegenstücke erinnerten. Aber ich liebte es, in den kargen Kaufhallen Dinge zu finden, deren Funktion sich mir nicht auf den ersten Blick erschoss und bei denen ich lange rätseln musste, bis ich eine Ahnung bekam, wofür sie gut sein könnten. Das wars: Ein Rätsel würde ich ihr mitbringen, ein Rätsel, das ich ihr Stück für Stück erklären würde, bis klar würde, dass der unscheinbare Gegenstand tausend Gedanken an sie enthält.

25 Jahre später ziehe ich eine schäbige Pappschachtel aus einem Karton im Keller. Die Verpackung zeigt eine elegante Dame im Stil der 50er Jahre und ein seltsames Gerät. Es hat einen klobigen Gummiballon und darauf einen filigranen Glasaufsatz- beste böhmische Glasbläserkunst. Ich weiß bis heute nicht, wofür es gut ist. Petra auch nicht. Als ich aus dem Osten wieder kam, war sie gerade dabei ihre Sachen zu  packen, um zu ihrem Freund zu ziehen. Sie hatte einen lindgrünen Minirock an und sah umwerfend aus. Ich hatte eine Pappschachtel in meiner Tasche und fühlte mich genau so schäbig und wertlos. Jetzt ist die Geschichte erzählt, und ich kann  das Ding endlich wegwerfen.

8 Gedanken zu “Die Frau im Karton

  1. Also, wenn mich meine mageren Sprachkenntnisse nicht im Stich lassen, dann ist das ‚laku na vlasy‘ ein ‚Spray für Haare‘ und der ‚rozprasovac‘ ein ‚Zerstäuber‘ (die richtigen Lautzeichen kriege ich gerade nicht auf die Buchstaben). Somit wäre es ein wirklich passendes Geschenk für die Dame von Welt gewesen.

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  2. Oh, danke, dass Du mir die Geschichte noch einmal in Erinnerung gebracht hast … ja, das klingt Hölderlin-heidelbergisch … und bitter-süß-schön. Da hätte ich noch den einen oder anderen ´“Karton“ bei mir.

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    • Auspacken! Es tut gut, wenn du es einmal runtergeschrieben hast, glaub mir. Außerdem wäre es natürlich interessant zu wissen, was in deinen Kartons schlummert – außer Bücheren 😉

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      • Das glaube ich Dir gerne … aber ich scheue noch zurück vor dem Schreiben. Der letzte Karton war einfach zu groß und schwer und liegt noch drückend auf den älteren Schachteln … da lenke ich mich lieber mit Rezensionen unpersönlicher Art ab…:-)

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