Nur geträumt?

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Is nicht wahr, denke ich als in den Schrebergarten komme. Alles ist voll: Die Apfelbäume biegen sich, der Pflaumenbaum wirft mir seine Früchte auf den Weg und Mirabellen gibts in Hülle und Fülle. Weiter hinten reifen Brombeeren, ein paar letzte Erdbeeren und Trauben. Die Tomaten tragen so schwer, dass die Stöcke gebrochen sind. Keiner will sie. Die Besitzer haben den Garten nur zum Chillen. Die Obstbäume haben sie vom Vorpächter übernommen. Jetzt, mitten in der Erntezeit, sind sie für ein paar Wochen in Südfrankreich. Wir sollen aufpassen. Der Anfang von Frau Holle kommt mir in Erinnerung. Ich würd am liebsten die Ärmel aufkrempeln, die Bäume schütteln und loslegen. So wie bei meinem schlesischen Großvater damals. Jeder Apfel wurde angefasst und war für etwas gut. Zum Lagern im Keller, für Kompott oder für die Saftpresse, die er selber gebaut hatte. Das ganze Haus roch ab September süßlich nach Eimachgläsern voller Kompott und herbstlich-modrig nach den Jute-Säcken in denen die schlechtesten Äpfel auf die Mosterei warteten. War die Arbeit vorbei gab es „Riemchenkuchen“: Hefekuchen mit Apfelmus und dünnen Streifen  Teig darüber gelegt.

Brombeeren waren die Leidenschaft meines Vaters. Er kannte die besten Stellen, direkt neben dem Bahndamm oder in den Kiesgruben. Beerensammeln war Wochenendverpflichtung. Der Vater zog eine alte Jacke an, packte sich Frau und  Kinder ins Auto  und warf sich in die Dornenhecken. Durch die Schneisen, die er schlug, folgte seine Familie und hatte bald die Eimer voll. Brombeersaft in Mineralwasserflaschen (herrlich zu Vanillepudding), Brombeergelee, Bromberschnaps und Rumtopf füllten die Regale im Keller. Sie gesellten sich zu einelegen Kürbissen süß-sauer, Schnippelbohnen und Steinguttöpfen mit Sauerkraut. Mein Vater und Großvater waren Bauern gewesen. Da war Vorräte einkellern selbstverständlich. Und sie waren Heimatvertriebene, die Angst hatten, dass „der Russe“ wieder kommt. Das Bevorraten  wurde zur staatlich geförderten Angsbewältigung im kalten Krieg. Als meine Großeltern starben, hinterließen sie einen gut bestellten, großen Garten und Regalbretter mit Eingemachtem, von dem keiner mehr wusste, wie lange es da schon stand.

Wir verlassen den Schrebergarten mit einer Tüte Äpfel,  ein paar Tomaten und drei Kindern die ganz erstaunt sind, dass man auch Obst vom Baum essen kann. Ein Sack voll Fallobst kommt in den Fahrradanhänger. Zu Hause schmeissen wir es in die Bio-Tonne. Wann sollen wir denn damit was anfangen? Wir haben doch eh so wenig Zeit. Sollen wir uns etwa für ein Glas Apfelmus die Abende um die Ohren schlagen?

Im Radio läuft am Abend die Nachricht, dass der Innenminister -zum ersten Mal seit 30 Jahren-  den Bürgern empfiehlt wieder Vorräte für fünf Tage anzulegen. Zuerst kann ich es gar nicht glauben, dass es diese Nachricht wirklich gegeben hat. Als mich Google überzeugt hat, dass er diese Empfehlung wirklich am Mittwoch ausgeben wird, ist mir klar: Damit sind  die dreißig Jahre Sorglosigkeit seit dem Mauerfall vorbei.

Vielleicht sollten wir uns einen Schrebergarten zulegen.

 

 

11 Gedanken zu “Nur geträumt?

  1. ist völlig an mir vorbeigegangen, diese empfehlung, habe aber gerade mal die suchmaschine mit begriffen ausgestattet und siehe da: artikel gefunden und ein seltsames gefühl so wie du wohl beim schreiben dieser geschichte. schön, dass ihr da in den garten könnt. mit den äpfeln könntest du auch einen feinen apfelkuchen backen. apropos – dass der kuchen „riemchenkuchen“ heißt, war mir neu, aber ich liebe diesen kuchen mit dem gitter oben drauf, den meinst du, oder? liebe grüße!

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    • Ja, den Kuchen meine ich. Lecker! In der Berliner Zeitung war übrigens zwei Tage später ein Beitrag, der die gleiche Verbindung herstellte: Zivilschutz und herbstliches Einkochen. Der hieß: Einkochen war Landesverteidigung.

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  2. So bin ich auch aufgewachsen – mit Beeren- und Pilzesuchen, mit Gartenanbau und Einwecken, bis alle Regale im Keller voll waren. Ich kenne den süßen Himbeersirup und die schwarze Holunderbrombeermarmelade. Und ich mache weiter … direkt neben der Schrebergartenkolonie ist eine Obstwiese, wo alles Obst ungepflückt auf den Boden fällt: ein Paradies! Abends beim Marmeladekochen duftet die Wohnung nach Früchten und morgens direkt aufs knusprige Toast geschmiert – das ist pure Lebensfreude….lg

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  3. Ich würde da jetzt an eine Destille in der Gartenlaube denken. Dann hätt man was handfestes, auch und grade wenn der Russe wieder kommt. Mit Mineralwasser für fünf Tage lässt der sich nämlich nicht beruhigen…

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      • Der Russe ist es doch schon wieder. Der Dschihad ist ne Vogelscheuche, den sich die Amis ausgedacht haben um Kinder zu erschrecken. Außerdem haben wir bei den Bärtigen Unterprivilegierten erstens 6 Millionen Bonuspunkte und zweitens wollen die eigentlich nix weiter als die Hoffnung, irgendwann mal ihren Mercedes nicht mehr dritter Hand kaufen zu können, damit die Paradiesjungfrauen nicht mehr dauernd über die Schrottkarre meckern. Und Schnaps saufen die auch alle, aber nur nachts, wenn Gott nicht zuschaut.

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  4. So schade, dass dieses wunderbare Bio-Obst ungepflückt und ungegessen bleibt.
    Manchmal kann man die Gartenbesitzer einfach fragen, ob man sich etwas pflücken darf. So manch einer hat nichts dagegen, wenn man sich einen Beutel mit Mirabellen o.ä. füllt.
    LG von Rosie

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  5. @ Alice. Wenn man sieht, wie der Russe die Bomben, die eigentlich für den Klassenfeind gedacht waren jetzt über Aleppo verklappt, kann einem noch rückwirkend Angst und Bange werden. Ich glaube, die Araber wollen einfach mal von den Kalten Kriegern in Ruhe gelassen werden, die ihre Spielchen in ihren Ländern spielen.

    de Maziere sagt in seinem Papier, dass ein Angriff von konventionellen Armeen nicht zu erwarten ist. Aber vielleicht kommen ja die Russen ganz unkonventionell. Seit der Krim wissen wir, dass sie da viel Phantasie haben. Abwarten und Apfelwein trinken 😉

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