Meine kleinen Freunde

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Quelle: Airfix.com

Die tränenüberströmte Frau trägt das Meditationskissen vor sich auf ihren ausgestreckten Armen. Mit langsamen Schritten geht sie auf den Mann zu und hält es ihm hin: „Trage du die Last, Vater. Ich habe sie lange genug getragen.“ Der verdatterte Mann nimmt das Kissen und steht hilflos mitten im Raum. Die Frau lächelt befreit. Ich sitze in einer psychotherapeutischen Familienaufstellung. Aus den tiefsten Gründen der Seele entstehten Erzählungen von hilflosen Vätern, kontrollierenden Müttern, kriegsgeschädigten Großvätern, engen Reihenhaushälften und qualvollen Kindheiten. Es geht mir alles sehr nahe, ich halt es kaum aus. Ich kann nicht weg, also hebe ich ab. Meine Messerschmitt steht schon bereit, der Assistent reicht mir den Fallschirm und schon bin ich in der Luft. Leicht und elegant kurve ich mich in den Himmel. Ein Blick über die Tragflächen: Die Erde ist weit weg. Der Himmel ist offen und leer, ich spüre die Kraft des 1000 PS-Motors. Alles um mich herum ist leicht und ruhig. Hier kann mir keiner was.

Bei den alten Flugzeugen fühle ich mich wohl. Das hat ganz früh angefangen. Sonntags nachmittags vor dem Schwarz-Weiß-Fernseher in einem engen Eigenheim. Die öffentlich-rechtlichen Sender waren sich damals nicht zu blöd, statt dem treuen Hund Lassie zur besten Familien-Sendezeit eine Dokumentation über das, was man den „Frankreich-Feldzug“ nannte zu bringen. Ausgiebig wurde auf Nazi-Propaganda-Material zurückgegriffen. Stramme Soldaten im Gegenlicht präsentierten die Gewehre und marschierten in die Rümpfe von Flugzeugen aus denen sie mit dem Fallschirm abspringen sollten. Und ich, der ich mich normalerweise unter dem Beistelltisch verkroch und heulte, wenn bei den Wild-West-Filmen ein Pferd erschossen wurde, schaute fasziniert drein. Wohl auch weil mein Vater den Film zynisch, aber mit einem gewissen Stolz kommentierte. Ja, so sei es gewesen, antwortete er mir, der sonst wenig sagte und der den Krieg als 10-Jähriger von seiner dreckigen Seite, als Vertriebener aus Schliesien erlebt hatte, die deutschen Flugzeuge seien die besten gewesen. Die Heinkels und die Messerschmitts hätten den Tommy gelehrt was eine Harke ist. Ich hätte gern noch mehr erfahren, aber da kam nichts mehr. Und abends um 10 packte meine Mutter ihm wieder die Stullen ein und er war wieder weg – für drei Tage- mit einer Fuhre Lebensmittel aus dem Rheinland für die Senatsreserve von West-Berlin. Er war weg mit seinem Laster – und ließ mir seine Last da.

Und so begann ich allein meine Suche nach den Wundermaschinen und den deutschen Helden. Fündig wurde ich ausgerechnet im Kaufhaus eines Herrn Moses in der Nachbarstadt. Dort gab es die deutschen Flieger, als Plastikbausatz, Maßstab 1:72 zum selber bauen und bemalen. Und die Heldengeschichten gab es in jedem Zeitschriftenladen als Groschenheft. „Der Landser“ hießen die. Das waren Erbauungstraktate für die entmannte Kriegergeneration, über all die vergeblichen Heldentaten, die technischen Wunderleistungen, die verteidigten Festungen. Die Geschichten endeten meist mit dem Tod des Ritterkreuzträgers oder spätestens im April 45. Dass die Deutschen, trotz ihrer Helden und ihrer tollen Waffen besiegt worden waren, wurde nirgends erwähnt.

Ich bastelte Flugzeuge. Auf dem Küchentisch, im Zimmer meines Großvaters oder auf dem gestampften Lehmfußboden des Kellers. Ich wünschte, meine Eltern hätten mir damals etwas anderes gezeigt, mich aus der Welt, die ich so langsam um mich aufbaute, heraus geholt. Aber da kam nichts. Statt auf Urlaubsreisen lernte ich so Europa entlang der Schlachtfelder des 2. Weltkriegs kennen, flog über die Fjorde Norwegens auf der Suche nach allierten Geleitzügen, jagte britische Hurricanes über Südengland und bombardierte Rouen. Der Krieg in den Lüften wurde mein zu Hause. Als ich dann mit 14 zum ersten Mal aus Deutschland raus und mit dem Schüleraustausch nach Frankreich kam, nahm ich nicht etwa ein Bild meiner Familie mit, um es mir auf den Nachttisch zu stellen, sondern eine Heinkel He 111, einen Blitzkriegbomber mit Hakenkreuz und Kriegsbemalung. Meine französischen Gasteltern reagierten sehr diplomatisch, sagten nichts und luden mich dann zu einem Wochendendausflug aufs Land ein. Sie zeigten mir die Ruine ihres Elternhauses, mit dem Hinweis, dass es durch deutsche Bomben zerstört worden sei – Volltreffer.

Ich wurde sehr seltsam und sehr einsam. In unserer Straße gab es noch einen traurigen Jungen, der der gleichen Leidenschaft verfallen war. Ein anderer führte Vernichtungskriege gegen die Ameisen auf seinem Gartenweg. Ich wollte nichts mit ihnen zu tun haben. Einsame Menschen meiden einander. Und überhaupt: So verrückt wie die war ich doch nun wirklich nicht. Ich merkte es daran, dass ich irgendwann, da hatte ich mich  mich schon zum Gymnasium in einer anderen Stadt durchgeboxt, am Bahnhofskiosk statt des monatlichen Modellbaumagazins mit hochrotem Kopf den Playboy kaufte, den mir  mein Zeitungsverkäufer mit einer Geste väterlichen Wohlwollens überreichte. Und mit den neuen Freunden auf der Oberschule wurde ich Ende der 70er dann in die Friedensbewegung integriert. Eine unserer ersten Aktionen war eine gegen Kriegsspielzeug. Wir sammelten auf dem Marktplatz den Kriegsschrott aus den Kinderzimmern. Ich steuerte meine letzte Messerschmitt Me 262 bei. Ein Düsenjäger, die deutsche Wunderwaffe überhaupt. Ein schweres Opfer.

Wirkliches Fliegen hat mich nie interessiert. In meiner Zivildienstzeit traf ich im Krankenhaus einen alten Mann, der die He 111 geflogen hatte. Ich liebte seine Geschichten. Er war in einem Segelflugverein und lud mich ein. Es war das erste Mal das ich flog und es war eine Enttäuschung. Es war laut, auch ohne Motor rauschte der Wind beängstigend und ich wusste nicht wo Oben und Unten ist. Und überhaupt: Ich bin nicht schwindelfrei.

Manchmal, wenn ich mich ablenken will, streife ich heute noch durch die Spielzeugabteilungen in den Kaufhäusern. Da gibt es die Flugzeug-Bausätze noch, neben den Star-Wars-Raumschiffen und den Figuren, mit denen man sich in die Fantasy-Welt von World of Warcraft hineinbasteln kann. Ich nehme sie dann ein paar Kartons in die Hand, betrachte die Bilder, werde ganz ruhig und lächele wissend in mich hinein. Es ist als wenn ich liebe alte Freunde wiederträfe.

 

 

 

 

9 Gedanken zu “Meine kleinen Freunde

  1. Ich fand die englischen Bomber am besten, mit ihren komischen Buckeln und Wülsten, wie aus Jule Vernes Albträumen. Deutsche und amerikanische Modelle waren mir immer zu windschnittig und glatt. Stuka ging, aber 262 eine bauliche Langweiligkeit.

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  2. Was für eine wunderschöne, intensive, anrührende, wunderschön geschriebene Geschichte!!!
    Sie setzte während des Lesens sogleich mein Kopfkino in Gang…….
    Ja, so sind sie , die Kindheitserlebnisse -.unvergesslich, wegbereitend und den Menschend formend.
    Vielen Dank fürs Mitnehmen auf diese Reise in die Vergangenheit. !
    LG von Rosie
    Übrigens: meine Familie machte sich damals auch mit einem Flüchtlingstreck aus Schlesien auf den Weg hierher.

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  3. Oh mein Gott! Ich dachte immer, dass nur ich so gewesen bin. Du beschreibst hier meine Jugendzeit und ich war völlig abgetaucht in diese Welt, während das richtige Leben eigentlich nur Gemeinheiten für mich bereithielt.

    Danke!!

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    • Es tut gut, das mit jemand teilen zu können. Und es ist ja auch wirklich so, dass etwas
      Schönes davon übrig geblieben ist, auch wenn es für manchen etwas seltsam erscheinen mag, sich Trost bei kleinen Flugzeugen zu holen 😉

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      • Ja, dass tut gut, auch wenn es schon seeehr lange her ist. Geblieben sind bis heute eine Unmenge von Daten in meinem Kopf. Den Verlauf des1. und 2. Weltkrieg kann ich vermutlich immer noch auswendig skizzieren, denn ich war auch ein ziemlicher Bücherwurm und habe Unmengen darüber gelesen.

        Irgendwann aber hat der traurige, einsame Junge seine Heimat verlassen und es ist ihm gelungen, aus dieser Isolation auszubrechen. Allerdings entdecke ich mit zunehmenden Alter, dass ich auch ganz prima mit mir alleine sein kann. Und eine gewisse Vorliebe für nerdige Hobbies habe ich auch behalten.

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