
Es dauert immer ein bisschen zu lange als dass es noch schön wäre. Es ist immer ein bisschen zu heftig als dass ich mich noch sicher fühlte. Der Wolkenbruch, der dritte heute, wann hört er auf? Wann ist es soweit, dass es in deinen Keller läuft? Der Sturm neulich, der an deinem Fenster gerüttelt hat wie du es noch nie erlebt hast. Wann ist er so stark, dass er die Scheiben eindrückt? An der Straße übervolle Obstläden. Die ganze Pracht des Sommers aus der Türkei und aus Spanien. Wie lange noch? Wann sind dort die Böden ausgelaugt, das Grundwasser über die durstigen Früchte ausgegossen? Wann werden die Karawanen der Lastwagen, die uns Tag und Nacht die Schätze des Südens bringen verdursten und mit leeren Tanks auf den Rastplätzen verschmoren? „Wasser gibt es in Spanien genug.“, lacht die stämmige blonde Frau neben mir am Cafétisch höhnisch. „Lassen sie sich nichts erzählen.“ Ihr Wohnmobil steht um die Ecke, ihr Hund leckt mir die Hand. „Spanischer Wasserhund, hab ich da von der Straße gerettet.“, sagt sie stolz. Sie ist zu Besuch bei ihrer Tochter, aber sonst ist sie auch ein Straßenhund. Pendelt hin und her. „Ich schmeiß mein Geld doch nicht mehr für eine Wohnung hier raus.“ Sie will, dass es frei und selbstbestimmt klingt. Ich glaube ihr nicht. „Freiheit, Freiheit, so nennens die andern…“ Ich bin froh, dass es etwas gibt, was ich mich hier hält. Aber auch das kann morgen weg sein. In sechs Jahren wollen wir kriegsfähig sein, sagt der Verteidigungsminister (Streichholz und Benzinkanister…), der gerade Kanonenboote nach den Philippinen schickt. Dann werden meine Jungs 18 sein. Wir werden wieder eine Wehrpflicht haben. Nein, meine Söhne geb ich nicht. „Dann sollen sie bei der Bundeswehr studieren, dann kommen sie nicht an die gefährlichen Stellen.“, meint die Mutter meiner Söhne. Ich kann nicht glauben, dass sie das so abgebrüht sieht. Sterben für unseren Lebensstil? Für täglich frische Melonen aus der Türkei? An der Ecke hat ein neuer Döner aufgemacht. „Einsfuffsich!“ nuschelt der hübsche Junge mit dem hellblauen Pullover, den leuchtenden Augen und der dicken schwarzen Tolle, als ich meinen Ayran auf die Theke stelle. Er ist 13 oder 14 und ich hoffe, dass er hier nur zu Besuch ist und sein schlechtes Deutsch nicht auf einer Berliner Schule gelernt hat. Er ist ganz Freude, ganz Zukunft und stolz auf seine neue Aufgabe. Vielleicht liegt er in fünf Jahren mit meinen Söhnen im Schützengraben. Vielleicht auch auf der anderen Seite.
Ich suche nach etwas, was mich fröhlicher macht und finde einen Kaugummiautomaten, der noch funktioniert. Ein kleines Glück für nen Zehner. Das gibts auch noch.



Guten Morgen, lieber Rolf!
Bittere Aussichten.
Natürlich ist ein Studium bei der Bundeswehr nicht umsonst. Bei der Bundeswehr sind die Jungs Soldaten, egal, welche Tätigkeit sie ausüben. Mindestens ein Auslandseinheit ist da zu absolvieren.
Und während des Auslandseinsatzes spürst du die Sorge, die Eltern sich um ihre Kinder in dieser Situation machen – jeden Tag!
Komme gut in den Tag! LG Susanne
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Liebe Susanne, du kennst dich ja aus. Hat sich dein Sohn selber mal mit dem Gedanken getragen zum Bund zu gehen?
Ich bin wieder in Berlin. Lust auf einen Kaffee?
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Gerne, habe dir sms gesendet.
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Ja, Menschen und ihr Selbstbetrug…. wir leben in Zeiten,in denen immer weniger sagen können, ich habe keinen Einfluss (eigentlich Anteil) auf das, an dem , was weit weg von mir passiert…ich verstehe sehr gut deine Sorge, aber vergiss nicht, es gibt auch immer mehr von denen, die ihre Verantwortung erkennen. Es ist wie immer eine Frage der Balance, und wichtig ist, dass jeder einzene von uns so lebt, dass er/sie als Vorbild dient. Nicht umbedingt, weil wir ach so gut sind (das meine ich mit Selbstbetrug), sondern weil wir versuchen, so bewusst und liebevoll wie möglich zu leben und eigene Fehler, Dummheiten, Ignoranz, unsere ganze eigene Zerbrechlichkeit und Angst zugeben zu können …und aufstehen, nachdem wir in die Knie gegangen sind und weiter gehen, immer diesen Funken in den Herzen weiterzutragen und die Lichter um uns herum zu sehen und …. so weiter…. herzliche Grüße aus Wien!
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Ich kann mich dir vollumfänglich anschließen, liebe Silvia, das waren auch meine Gedanken, wobei ich deine Sorgen, lieber Rolf sehr gut verstehen kann, gerade in Bezug auf deine Söhne.
Ich grüße euch herzlich, Ulli
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Herzliche Grüße an dich, Ulli!
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Danke, Vorbild sein ist schwer, wenn man selber nicht weiß, wo man hingehört. Auf jeden Fall gehe ich hier in Berlin am 3. Oktober auf die Straße gegen die neuen amerikanischen Raketen und hoffe dabei nicht nur alte Freunde von der Friedensbewegung der 1980er Jahre zu treffen.
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„Die Mutter deiner Söhne“ tut nichts anderes als das, was alle Mütter in vergleichbarer Lage tun: einen Ausweg für ihren eigenen Nachwuchs zu suchen. Dass dieser Ausweg womöglich eine Sackgasse ist, wird ihr bei näherem Zusehen wohl auffallen.
Wann aber werden die Menschen (Frauen und Männer) aufstehen gegen den neu erwachten kriegerischen Geist und sagen: Nein, nicht mit mir! Nicht in meinem Namen!? Ich finde es bedenklich, die verschiedenen Herausforderungen unserer Zeit – Klimatisches, Massentouristisches, Konsumismus – in einen Topf zu werfen mit den Kanonenbooten zu den Philippinen und der Kriegstüchtigkeit, die die deutsche Regierung neuerdings propagiert. Dadurch entsteht der Eindruck, all diese Phänomene hätten dieselbe Ursache. Ich aber meine, die Kriegsertüchtigungs-Propaganda wächst auf einem ganz besonderen Grund heran, und diesem Acker keinen Dünger zuzuführen, sondern ihn auszutrocknen, wäre vielleicht doch im Bereich des Machbaren in einer demokratisch verfassten Gesellschaft.
Die Frau mit dem Wohnwagen hat meine Sympathie. Denn natürlich ist ihre Lebensweise keine Lösung für alle, wohl aber für sie selbst. Und sie schadet damit niemandem. Und das ist ja nicht wenig.
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Ich hoffe, dass meine „Mutter Courage“ nicht erst auffacht, wenn ihre Söhne im Krieg sind. Und du hast Recht: Das Kriegsgetrommel der letzten Jahre lässt sich nicht nur auf unserern Lebenswandel, sondern eindeutig auf ein paar geltungssüchtige alte Männer (und Frauen, Maggie Thatcher und ihr Falklandkrieg nicht zu vergessen) zurückführen. Aber der Einsatz der Bundeswehr im Pazifik wurde auch ausdrücklich mit der Sicherung „unserer“ Handelswege begründet. Demokratischer Widerstand gegen Aufrüstung war vor 40 Jahren erfolgreich. Inzwischen sind alle Abrüstungsabkommen aus dieser Zeit nach und nach wieder gekündigt worden. Aber ich hoffe auch noch, dass sich was dreht.
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