Bastelarbeiten

So langsam bastele ich mir mein Jahr zusammen. Klötzchen für Klötzchen stapele ich aufeinander und schaue zu, wie der schöne Bau jedesmal wieder in sich zusammenfällt. Dann baue ich ihn wieder auf und kann sicher sein, dass wieder was Neues kommt, was die Sache zum Wackeln bringt. Ganz sicher war ich mir, dass ich mit meinen Jungs diesen Sommer ins Yoga-Ferienlager in die Uckermark fahre, wie wir das die vergangenen drei Jahre gemacht haben. Jetzt haben wir die Winterferien zusammen verbracht, und wir waren alle nach einer Woche froh, dass es vorbei war. Nie wieder mit drei Grundschülern bei Dauerregen eine Woche in einem geschlossen Raum (auch wenn der Raum ein großzügiges Ferienhaus war). Ich vergesse manchmal, dass meine Nerven in den letzten Jahren ziemlich dünn geworden sind. Zum Glück habe ich nicht nur Söhne, sondern auch Ärzte, die mich daran erinnern, dass ich nicht mehr der Jüngste bin. Nach dem Besuch bei der Orthopädin war auch der Plan, im Herbst eine lange Wanderung zu mir selbst zu machen gestrichen. Und statt meine bekannten Malaisen zu heilen, fand sie gleich eine neue. Vielleicht sollte ich mich an betreutes Reisen gewöhnen. Zumindest einen, der meinen Rucksack mit dem Auto voran fährt, sollte ich mir leisten.

Kann man in meinem Alter überhaupt noch Pläne machen? Nein, aber ich will dieses Jahr etwas anders machen als all die Jahre davor. Mich nicht von den Ereignissen treiben lassen. Ich höre die Uhr ticken: Noch 10 gute Jahre. Irgendwas muss ich anders machen. Ein neuer Versuch, wieder ein Klötzchen. Gespräch mit der Personalabteilung. Raus aus der Tretmühle. „Das können Sie sich selber ausrechnen.“, sagt die Kollegin. „Ab 63 und mit 15 Prozent Abzug“. Da brauche ich nicht lange zu rechnen. Meine Miete ist an die Inflation gekoppelt. 10 Prozent mehr sind es ab diesem Monat. Und die Jungs wollen alle ein Handy. Neidvoll verabschiede ich am gleichen Tag eine Kollegin in den Vorruhestand. „Freistellungsphase der Altersteilzeit“ nennt sich das. Sie ist der letzte Jahrgang, der diesen „goldenen Handschlag“ bei uns bekommen kann.
Aber vielleicht kommt es ja ganz anders. Vielleicht werde ich ja unverhofft reich. Als Kind glaubte ich immer daran, einen reichen Onkel in Amerika zu haben, der mir mal sein Geld schenken würde. Und ein bisschen so war es, als ich mitten in der Tristesse des Brandenburger Ferienhauses eine großartige Nachricht bekam. Eine Zeitung hatte Interesse an einem Beitrag, den ich für unser Kiez-Magazin geschrieben hatte. Die Honorartabellen waren berauschend. 15 Cent pro Zeichen. Es brauchte eine Weile, bis ich mit meinen Jungs stolz ausgerechnet hatte, dass das fast 50 Euro sein könnten. 50 Euro für nix. Gleich lud ich sie großzügig in das Restaurant der Ferienanlage ein. Endlich Schluss mit den selbstgekochten Nudeln mit Pesto. Ein doppeltes Schnitzel für den Vater, Hähnchenbrust mit Pommes für die Kinder. 80 Euro stand am Ende auf der Rechnung. Ich hatte die Inflation vergessen und kam mir ein wenig vor wie Donald Duck, der Held der „Lustigen Taschenbücher“, die meine Kinder pfundweise verschlingen. Der verprasst das Geld auch immer, bevor er es verdient hat. Und am Ende muss er bei Onkel Dagobert wieder Schulden abarbeiten. Seit einer Woche bin ich wieder brav im Büro. Aber ich mache weiter Pläne.

Aussichten

Blick vom “Futurium“ auf die neue Europa City Berlin

Die Zukunft ist ein Kinderspiel. Aber sie funktioniert nur im Halbdunkel. Mit offenem Mund stehen meine Jungs vor den weißen Ausstellungswänden, an denen vieles blinkt, schnarrt und zum Mitspielen einläd. Wissenschaftlerinnen erklären das Genom, Roboter erzählen hier von ihren Fähigkeiten, seltene Krankheiten werden per Genanalyse schon früh erkannt und geheilt und der Verkehr läuft per Rohrpost oder Lufttaxi. Ja, so sieht die Zukunft aus, wenn man an die Technik glaubt. Und das tut man als Junge gerne. Als ich zehn war las ich Bücher von Walt Disney, in denen riesige Maschinen mit Laserstrahlen die Urwälder rodeten, die wir heute gerne wieder hätten. Aber wozu brauchte man noch Bäume, die das Klima erhalten? Weiße Männer mit Seitenscheitel und wohlerzogenen Kindern machten es sich in großen Glaskugeln mit künstlicher Atmosphäre unter dem Meer oder auf dem Mars gemütlich, während die weiße Frau im Etuikleid ihnen Getränke servierte. Das mit dem Mars glauben meine Jungs immer noch. Aber vorher müsse man die Sonne reparieren, weil sie ja in mehreren Millionen Jahren aufhört zu strahlen. Die Jugend denkt in großen Zeiträumen. Für mich ist die Zukunft heute ist nicht mehr so übersichtlich. Wie ein Labyrinth fächern sich die Visionen in dem abgedunkelten Teil des “Futuriums“ in Berlin auf, das gleich neben dem Bundesministerium für Bildung und Forschung an der Spree steht. Nicht weit weg ist das “Museum der Gegenwart“ im alten Hamburger Bahnhof. Aber wir sind heute im Museum der Zukunft.

Und die Zukunft nervt. Überall muss man sich entscheiden. Permanent werde ich von Computern geduzt: Willst du, dass der Doktor deine Gendaten in eine Gendatenbank hochläd, um dir zu helfen? Willst du, dass …? Die Zukunft ist ein Wunschkonzert und überfordert mich, weil ich schon von der Gegenwart genug gefordert bin. In dieser blauäugigen Version der Zukunft, die von ein paar Pharmakonzernen gesponsert ist, gibt es keine Grenzen, keine Gesellschaft und keine Traditionen. Alles steht immer zur Verfügung und jeder ist für sich selbst verantwortlich. Ich verliere schnell den Überblick und den Kontakt zu meinen Kindern, die wie hypnotisiert vor den Wänden stehen. Die Idee, gemeinsam mit ihnen Station für Station abzulaufen und ihre Fragen zu beantworten, gebe ich schnell auf. Meine Gedanken springen, während sie die gleiche Station drei oder vier Mal ausprobieren wollen. Das Geblinke und das Gewirr der mechanischen Stimmen verwirrt mich. Immerhin ist es der erste Museumsbesuch seit einem Jahr. Und Antworten auf ihre Fragen habe ich eh nicht. Erschöpft setze ich mich auf eine der Bänke, von denen ich alles zu überblicken glaube und muss keine zehn Minuten später suchend durch das ganze Haus irren, weil meine Jungs durch irgendwelche Quergänge meinem Blick entwischt sind. Ich finde sie auf der helleren Seite der Zukunft bei einer riesigen Kugelbahn, neben einer riesigen, raumfüllenden Holzskuptur, deren Sinn sich mir nicht erschließt. Image

Foto: Futurium; David von Becker

Die Zukunft, ein Klettergerüst auf einem Kinderspielplatz mit Blick auf das Bundeskanzleramt? Ich lotse die Jungs zur riesigen Fensterfront auf der Gegenseite. Sie bietet uns Ausblick auf die gerade fertig gewordene “Europa City“, ein Neubaugebiet neben dem Hauptbahnhof, das auf dem ehemaligen Gebiet der Berliner Mauer von Investoren hochgezogen wurde. So sah die Zukunft nach dem Mauerfall aus: Gesichtslose Wohnblocks für die Bessergestellten, nur unterbrochen von Hotels für die “Anywheres“ und Bürohochäusern mit Schießschartenfenstern, in denen sich Ölkonzerne und Unternehmensberatungen gleich neben dem Regierungsviertel in Position gebracht haben. Und das alles wurde dann noch als Beitrag zur europäischen Einigung verkauft. Was man in dem Panorama nicht sieht ist der Berliner Hauptbahnhof, an dem seit Tagen tausende Flüchtlinge aus der Ukraine ankommen. Unsere schöne neue Welt hat einen Knacks bekommen. Unser selbstverliebtes Spiel mit Daten, Geld und Waren. Aber vielleicht ist die Freundlichkeit mit der die Menschen empfangen werden, die hier heute ankommen ja unsere wirkliche Zukunft?

Auf dem Rückweg jammert einer meiner Söhne, tritt lustlos in die Pedale und bleibt hinter uns zurück. Den nächsten Tag bleibt er im Bett. Heute weiß ich, dass er Corona hat. Das gibt es ja auch noch. Die Zukunft ist immer für eine Überraschung gut.