Fast wie zu Hause

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Das Blöde am Fliegen ist, dass es so schnell geht.

Kaum hab ich mich  wieder darüber eingekriegt, dass der 128er zum Flughafen mal wieder ausgefallen ist und die BVG ne volle Viertelstunde gebraucht hat, um aus dem Depot gleich nebendran am Kutschi einen Ersatzbus zu beschaffen und dass ich, obwohl ich ja eigentlich die Flugzeuge bei mir über der Wohnung an den Rädern packen kann und ich zwei Stunden vor Abflug losgefahren bin, mich in der Security-Schlange noch vordrängeln musste, um dann auch noch in die Sprengstoffkontrolle zu kommen und dass ich dann auf den letzten Drücker ohne Hosengürtel durch die nach billigem Parfüm und Schokolade stinkende Mall zum Gate zu hetzen musste, da bin ich auch schon gelandet.

Gelandet in einem anderen Land, in dem der Flughafen so gebaut ist, dass man mit ein paar Schritten aus der Halle am Busbahnhof ist, wo auch schon ein schicker Reisebus auf mich wartet, mit zwei Chauffeuren, die auch in der Dunkelheit Sonnenbrillen tragen und mich zur Piazzale Roma bringen. Kostet dann allerdings auch nich 2,80 Euro wie zu Hause, sondern gleich acht.

Das Gute an Venedig ist, dass man sich nicht groß an was Neues gewöhnen muss.
Wie zu Hause in Berlin, wo man mit dem 100er Bus, der vom Zoo bis zum Alex alle schönen Sachen abklappert, die die Touristen so sehen wollen, kann man hier das Vaporetto Linie 1 nehmen und den ganzen Canal Grande runterschippern bis zum Markusplatz und weiter. Und wenn man dann morgens früh um achte mit den ganzen schlecht gelaunten Leuten, die auf Arbeit müssen im Fährboot sitzt, dann ist das genau so wie im BVG-Bus. Nur lauter. So ungefähr wie in einem BVG-Bus von vor der Wende bei dem das Getriebe kaputt ist. An jeder Haltestelle haut der Gondoliere erst mal den Rückwärtsgang rein um vom Pier loszukommen und dann macht’s ratsch und dann Vorwärtsgang Vollgas. Wenn das einem zu viel wird, kann man sich raus an die frische Luft setzen. Aber wer macht das schon im November? So was wie die BSR haben die auch hier. Die Müllboote sind schwarz mit einem grünen Streifen und heißen „Veritas“.

Für das, was man zu sehen kriegt, hätte man auch nicht von Berlin weg müssen. Alte, runtergekommene Häuser mit feuchtem Mauerwerk. Haben wir ja auch zu Hause genug von. Fragen sie mal bei der Deutschen Wohnen AG . Nur haben sie hier vergessen den Stuck abzuklopfen. Da gab’s ja in Berlin nach dem Krieg vom Senat eine Prämie für. Hier gab’s das wohl nicht. Aber einigen Palazzos hätte das doch ganz gut getan. Irgendwann hat wohl ein Venediger damit angefangen, so mit Türmchen und gedrehten Säulchen und mit orientalischen Fensterchen. Und man weiß ja wie das ist: Wenn das einer in der Straße hat, wollen die Nachbarn das auch. Und einen dicken Bootssteg vor dem Haus sowieso. Und so ist das jetzt den ganzen Kanal rauf und runter.
Also wenn bei uns ein reicher Russe so ein Zuckerbäckerpalast, sagen wir mal in Charlottenburg an die Spree bauen würde, dann würde man doch sagen: „Reicher Russe,“ würde man sagen,“reicher Russe, das macht man bei uns nicht mehr so. Haste schon mal was von Bauhaus gehört? Nicht das Bauhaus mit den roten Schildern, wo du deine Stuckengel und Barock-Balkons für deine Neureichenvilla kaufst. Nee, das richtige Bauhaus. So „Form follows Function“, weißte?“ „конечно „, würde der reiche Russe sagen. „Wenn du Bauhaus haben willst, hier in Venedig, dann musst du nach Lido fahren. Kanns dir auch auf dem Markusplatz den Dogenpalast anschauen, der sieht aus wie „Karstadt Sport“ am Zoo, gleiches Muster. Und jetzt lass mich in Ruhe.“ „Na klasse,“sag ich, „nachm Lido wollt ich sowieso, weil da meine Tochter studiert. Und die wollt ich ja besuchen.“

Auf dem alten Flughafen auf dem Lido kommen keine Flieger mehr, so wie in Tempelhof. Aber er ist nicht so runtergekommen, sondern frisch renoviert und wirklich wieder schick. Schön weiß und schön ruhig. Draußen edelstes Bauhaus, drinnen Art Deco und ein helles, großzügiges Restaurant. An der Wand vor Kraft strotzende Fliegerbilder aus dem Futurismus. Die wissen, wie sie mich kriegen können, die Italiener.

Gleich nebendran, in einem alten Kloster, brütet meine Tochter über ihren Klausuren.  Das Hochwasser hat an der Uni alles durcheinander gebracht, und so muss sie auch am Wochenende ran. Aber dann ist es vorbei und der Klosterhof füllt sich mit glücklichen Studentinnen. „Was hast du bei der Frage geschrieben?“ „Was haben die bei der letzten Frage gemeint?“ „Ich hatte viel zu wenig Zeit…“ Die gleichen Sachen, die wir uns an der Uni so nach der Klausur gefragt haben – aber hier stellen sie die Fragen in perfektem Englisch. Hauptsache vorbei. Töchterchen sieht mich und strahlt.  „Lass uns hier abhauen,“ sagt sie, „ich hab jetzt Hunger, aber keine Lust auf Mensa.“ „Na prima“, sag ich, „zufällig kenne ich hier ein erstklassiges Restaurant, gleich um die Ecke. Und so sitzen wir bei goldbraunen Kürbis-Gnocci mit leichtem Maronengeschmack im alten Flughafen und sie erzählt mir, wie gefährlich das war mit dem Hochwasser und wie sie trotzdem alles hingekriegt hat. Und dann läd sie mich zum Espresso in ihre Lieblingsbar am Fähranleger ein, da wo alle Studis sich zwischen den Vorlesungen unter die Lastwagenfahrer mischen, die von Festland rüber kommen. Und der Laden heißt doch tatsächlich „Moka Efti“. „Ist ja wie bei uns zu Hause.“, sag ich. War doch so ne Serie im Fernsehn, Babylon Berlin. Kennst du die?“ „Nee,“ sagt sie, ich guck nur Netflix.“

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How to be good

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Wieviel Leid muss der Mensch ertragen können, um die Welt zu retten?

Ich wollte meine Tochter besuchen, die gerade in Venedig studiert. Und ich wollte das so machen, wie ich das immer mache: Da wo ein Zug hinfährt, muss ich nicht hin fliegen. Und die kluge Tochter hat es mir vorgemacht und ist mit dem Nachtzug von München nach Venedig gefahren. Das ist ein Zug, den man im Fahrplan der Deutschen Bahn vergeblich sucht und erst findet, wenn man bei der Österreichischen Bundesbahn nachschaut. Aber immerhin, es gibt ihn. Und ich liebe es, mit dem Nachtzug zu reisen. Reine Nostalgie, ich weiß, aber es ist auch ein gutes Gefühl , dem Klima ein paar Tonnen Kohlendioxid zu ersparen und  auch noch eine dramatische Alpenüberfahrt bei Nacht gratis dazu zu bekommen. Ganz großes Kino!

Doch ich bin zu spät. Der Klimawandel hat nicht nur mein Reiseziel unter Wasser gesetzt, er hat auch den Alpen einen Sturzregen beschert, der die Gleise unterspült hat. Seit Tagen bekomme ich von der ÖBB Nachrichten, die mir Umleitungen und Verspätungen ankündigen. Doch wer bin ich, dass ich mich von solchen Kleinigkeiten von einer Reise abhalten lasse? Mit Zugverspätungen in südlichen Ländern verbinde ich die wunderbarsten Erinnerungen an Zeiten, in denen man noch mit anderen Rucksackreisenden und ein paar Clochards in den Bahnhofshallen übernachten konnte. Aber in der Mail von gestern war eine weiter Warnhinweis: Streik bei der italienischen Trennord. „Viva lo sciopero!“ war ein extra Kapitel in meinem Reiseführer „Anders Reisen Italien“, mit dem ich in den frühen 80ern das Land bereiste. Es lebe der Streik, jawoll! Jeder Streik ein weiterer Schlag in die Fresse des Kapitals. Natürlich waren wir solidarisch mit den Genossen der Eisenbahngewerkschaft. Heute unkt meine sozialdemokratische Kollegin „Da wollen bloß ein paar gut bestallte Bahnbeamte durchsetzen, dass sie weiter mit 58 in Rente gehen können.“ So weit ist es mit der internationalen Solidarität gekommen.

Und ich? Ich muss zugeben, dass die Aussicht auf einem nasskalten norditalienischen Bahnhof Ende November mit ungewissen Aussichten über Stunden hinweg auf meinem Gepäck zu sitzen mich nicht wirklich begeistert. Warum streiken die Kollegen nicht im Sommer?

Also doch fliegen? Als fliegender Streikbrecher und Klimasünder gleichzeitig?
Wer sonst könnte das entscheiden als die Generation, von der wir unsere Erde angeblich nur geborgt haben? Ein paar SMS hin und her und meine Tochter schickt mir eine Verbindung von easyjet, 150 Euro hin und zurück. Und sie sagt mir, dass ich Zusatzgepäck buchen soll. In Venedig braucht man Gummistiefel.

Rally solo

in the middle

Es gibt auch Regen in der Toskana. Schon dafür hat sich die Reise gelohnt. Toskana mal ohne das ganze „Gutshaus auf dem sanften Hügel“-Gedöns. Eine öde Landstraße, eine Weggabelung, eine Bar und sonst nichts. Ich muss nach links, nach Follonica, das klingt gut, das klingt nach verrückt und liegt am Meer. Das hat mir die Motorina mit der edlen Lederjacke und dem lustigen italienischen Englisch in Siena empfohlen. „This is our favorite road. It’s perfect- They straigtend it a bit after to many of us had accidents.“ Eine aufregende Straße. Aber ich bin müde und will einen Kaffee und meine Regenklamotten anziehen. Mal schauen, wie es weiter geht. Wenn überhaupt. Wer hat schon Lust auf eine kurvige Straße, wenn sie nass ist. Die Bar am Straßenrand ist einfach eine Bar für Leute, die hier vorbei kommen und weiter wollen. Der Wirt hat keine Lust zu reden. Ich auch nicht. Ist gut so.

Seit drei Tagen bin ich unterwegs, will die Strecke der Rally Mille Miglia abfahren. Wieder so eine Idee von mir. Ohne Navi, ohne Smartphone ohne bella compagnia. Früher waren wir öfter zusammen im Süden. Nach unserer ersten gemeinsamen Fahrt hab ich die Sitzbank verlängern lassen, damit sie ihre langen Beine ausstrecken kann. Jetzt ist da ein Gepäcknetz mit meinem Proviant. Ist aber trotzdem gut gelaufen, die Reise, bisher. Das alte Motorrad ist meine Eintrittskarte. Als ich vor einer verschlafenen Bar in der Po-Ebene Halt gemacht habe, kamen die alten Männer raus, um meine Moto Guzzi zu bestaunen „Anni settanta, anni settanta“ und dann erzählten sie mir ihre Erinnerungen aus den Siebzigern. Ich verstand kein Wort, aber einer war so aufgeregt, dass ihm fast die falschen Zähne rausflogen. Die Chinesin hinter der Bar mit dem Gesicht und der Frisur eines Sumo-Ringers verzog keine Miene. Die Jungen auch nicht. Sie guckten meine Maschine an, als würde sie noch mit Dampf betrieben, setzten sich auf ihre koreanischen Motorroller und waren weg. Oder der Tankwart in Modena, einer der wenigen Tankwarte die noch nicht von den vollautomatischen Zapfsäulen ersetzt wurde: Graue Lockenmähne, melierter Bart, rote Tankwartsjacke, kurze Hosen, Badelatschen hockte er gelassen auf seinem Schemel. Die Arme verschränkt hört er sich an, wie ich in meinem Volkshochschulkurs-vor-zwanzig-Jahren-Italienisch nach dem Weg fragte. Dann antwortete er in klarem Englisch: „First right, then left, then it will become complicated. You better ask.“ Er schaute auf mein Motorrad: „Nice bike“ „It’s italian“, antwortete ich. „I know!“ antwortete er, verschränkte die Arme wieder und machte klar, dass die Unterhaltung jetzt zu Ende ist. Er könnte auch Türsteher im Berghain sein.

Und wo soll ich jetzt hin? Mein Zimmer hab ich in einem Hostel in Pisa gebucht. Das sind noch mindestens 150 Kilometer. Ich übernachte in Hostels, habe sogar meinen Jugenherbergsausweis dabei. Den kriegt man, wenn man noch Kinder hat auch jenseits der 50. Als ich die Karte in Rimini zum ersten mal auf den Tresen legte, blickt die Empfangsdame ratlos und sagte: „Nice“. Ich zeigte auf das Jugendherbergszeichen an der Tür und sie lächelte: „We are having a party here, sorry. It will be loud tonight.“ Als Trostpflaster gab sie mir einen Gutschein für einen Cocktail an der Bar. Was hatte ich in Rimini erwartet? Früchtetee und einen Stempel in mein Wanderbuch?

Der Regen hat nachgelassen, also weiter. Die Straße zieht sich. Es gibt einen Lastwagen vor mir, der mich mit Sprühregen einnnebelt, den ich aber unmöglich überholen kann, weil er schneller durch die Kurven jagt, als ich es  je wagen würde. Kurz vor der Küste reißt der Himmel auf und dann ist da eine Trattoria hinter einem großen Parkplatz. Wie in Frankreich, früher, die Relais des Routiers, vor denen die Lastwagen kilometerweit standen und die weinseligen Fernfahrer ihre Mittagspause machten.
Ich geh rein und bin in einem Fellini-Film. Die Mittagspause ist vorbei. Nur zwei Jungs mit dichten, dunklen Haaren und schicken Frisuren sitzen da mit ihren Schulmappen und erzählen sich wichtige Sachen mit dem Eifer, wie ihn nur Zehnjährige haben können. Die Oma bringt zwei Teller mit Pasta. Sie schlingen sie rein, ohne mit dem Reden aufzuhören. Der Opa kommt, und nimmt einen auf den Schoß, aber der will – wohin? Natürlich zur Mama. Die Mama steht hinter der Bar, ist groß und blond, nimmt ihn an die dicke Brust und tröstet ihn. Ich muss warten, bis ich dran bin. Dann gibt’s für mich Carpaccio vom Fisch und Aqua frizzante. Keinen Wein?, fragt sie. Nein, keinen Wein. Das Motorrad… Wir haben auch kleine Gläser, lockt sie mich. Nein Danke – Es ist ein Elend, Italien ohne Wein.

Dafür das Meer. Über hässliche Industriestraßen, durch hundert Rotondas, wie hier die Kreisverkehre mit den winzigen, verwirrenden Wegweisern heißen und vorbei an rostigen Werften bin ich endlich da. Ich stelle den Motor ab, sehe die Fähren nach Elba ziehen und stehe augenblicklich im Wasser. Die Sonne hat wieder ihre volle Kraft und lässt mich in der Lederjacke schmoren. „Ich muss weiter, immer weiter, meinem Glück hinterher“ singt mir Hans Albers. Und ich habe Glück! In einem mit Oleander überwucherten Winkel zweier verschlungener Rotondas finde ich das ausgeblichene blaue Schild nach Santa Vincenze – die Küstenstraße, die alte Via Aurelia – jenseits der neuen Superstrada. Über viele wunderbare Kilometer bauen riesengroße leicht einander zugeneigte Pinien ein schattiges Dach über mir. Durch Dörfer zieht die Straße, vorbei an kleinen Läden und Bars. Rechts ab gehen schnurgerade Pinienalleen, die zu alten Weingütern führen. Ruhig wie ein Schiffsmotor bollert meine Guzzi. Das ist die Straße, das ist die Geschwindigkeit, für die sie gemacht ist. Ich werde später noch in die Berge fahren und durch enge Kurven jagen. Und auch das macht Freude. Aber das hier, diese Straße, dieses Italien, das wars, was ich erleben wollte.

Als Öko-bewegter Zivi hing in meinem Zimmer ein Plakat mit dem Spruch „Was wäre der Mensch ohne den Trost der Bäume?“  Und heute will man ja sogar wissen, dass Bäume auch sprechen können. Was würden die Pinien an der Via Aurelia mir Don Quichotte auf meinem alten, weißen Ross hinterherrufen wollen? „Arrividerchi motociclista. Ci vediamo!“