
Schön der Reihe nach, oder einfach drauf los? Na, wenn ich mich in meiner Wohnung umschaue gefällt sie mir nach diesem Wochenende wesentlich besser als vorher, nach den zwei Wochen als schweigender Karthäusermönch im Karantäne-Fasten-Homeoffice. Nur ora und labora und nix essen. Und wenn ich in mich rein schaue gefällt es mir da auch wesentlich besser als vor zwei Tagen, als meine Jungs nach drei Wochen das erste Mal wieder zu mir durften. Das Wort glücklich benutze ich selten. Aber vielleicht wäre es mal angebracht.
Nicht, dass es mir vorher schlecht ging. Nach einer Woche Fasten war ich mit mir selbst und der Welt zufrieden. Wenn Mann allen irdischen Genüssen entsagt, stellt sich so eine innere Entschlossenheit ein. Die Frage, ob ich schnell noch einen Kaffee trinken soll, oder etwas esse, bevor ich eine unangenehme Arbeit anpacke, stellt sich einfach nicht mehr. Und auch die Versagensangst ist weg. Was bleibt ist ein ziemlich klarer Blick auf die Welt und eine große Gelassenheit.
Aber irgendwann muss man wieder in den Apfel des Lebens beißen. Und das wörtlich, denn mit einem Apfel beginnt das Fastenbrechen. Und seit Adam und Eva weiß man ja, dass damit der ganze Zirkus wieder losgeht.
Meine Eva steht, wie immer zu spät, am Freitagabend mit dem Kinderrad unterm Arm in meinem Flur und nölt, wer ihr eigentlich das Benzin bezahle dafür, dass sie mir die drei Jungs vorbeibringt. Um wieviel ich ihr denn den Unterhalt kürzen solle, für die zwei Tage, die sie jetzt bei mir sind, geb ich unbeeindruckt zurück. Es ist nach sieben Jahren kein Kampf mehr, nur noch eine Routine und ein Gestus. Sie ist nicht mehr meine Eva, sondern meine Dolores, die Schmerzensreiche, Und ich bin der Dorn in ihrem Fleisch. Das gibt sie mir alle vierzehn Tage mit Bravour zu verstehen. Als ich sie frage, ob sie mit uns einen der Pfannkuchen mit uns essen mag, die ich in der Stunde, die ich auf sie und die Jungs gewartet habe, gebacken habe, nimmt sie erst an, nachdem sie leise erwähnt hat, dass sie den ganzen Tag noch nicht zum Essen gekommen sei. Es ist nicht einfach, alleine mit drei Jungs, nicht einfach von ihrem Vater verlassen worden zu sein, heißt das für mich. Ich danke ihr auch von Herzen, für alles, was sie für unsere Jungs tut, aber ich bin dann doch froh, als ich mit meinen Drei alleine am Tisch sitze.
Drei fröhlich vor sich hin plappernde Jungs also. Nach meinem wochenlangen Eremitendasein ist das wie Besuch vom Mars. Aber eins weiß ich noch: Ich muss sie jetzt, ohne das Wiedersehen lange zu genießen ins Badezimmer bugsieren und dann ins Bett. Es beginnt das beliebte „wer schläft wo?“-Roulette, bei dem es nur eine Regel gibt: Keiner schläft da, wo er hingehört. Am Ende schläft der Kleine in meinem Bett, der ältere Zwilling auf dem roten Sofa und der andere im Hochbett des Jüngsten. Es ist ist 10 Uhr und für mich bleibt das Stockbett der Zwillinge. Aber vorher mache ich die letzte Runde und sehe, dass sich der Kleine am Schlafzimmerboden mit dem Bettzeug ein Lager gebaut hat, wuchte ihn wieder ins Bett und zähle zurück am Küchentisch meine Wirbel. Er wird nächste Woche sechs und ist ein Wonneproppen. Da kommt der Älteste und sagt, er kann nicht schlafen. Ich nehme ihn auf den Schoß und lasse mit ihm den Tag Revue passieren. Dann kommt der Bruder, der immer genau das auch haben muss, was die anderen haben und ich habe auf jedem Bein einen sitzen. Sie gehen zurück in die Betten, diesmal die richtigen, aber ich ahne, dass das noch nicht das Ende ist. Ich versuche mich auf ein Portait über Annalena Baerbock im „Freitag“ zu konzentrieren, gebe nach fünf Minuten auf und gehe ins Kinderzimmer. Zwei Jungs liegen da, die mit leeren Augen ins Dunkle stieren. Das ist nicht schön, aber besser als die andere Variante: Dass die Zwillinge unter einer Bettecke kuscheln und kichern. Das wird dann lange und laut, bis ich die wieder in ihre Betten bekomme. Ob’s beim Einschlafen helfen würde, wenn ich seine Hand nähme, frage ich den, der unten liegt. Oh ja sehr, seufzt er. Kaum hab ich seine Hand in meiner, sind seine Augen zu und er dreht sich zur Seite. Die Hand des Ältesten, der oben liegt, ist angespannt und ich merke, dass er mit irgendwas kämpft. Manchmal macht mir das Sorgen. Sagen kann ich nichts. Aber die Hand ist warm und ich spüre sein Herz schlagen. Vielleicht zehn Minuten stehe ich so, bis er einschläft. Und ich bedanke mich beim Leben, dass ich das erleben darf.