Weiches Wunder

Was wäre, wenn es diese wunderbaren Weichtiere nicht gäbe? Wahrscheinlich hätte ich meine Söhne schon zu ihrer Mutter zurück geschickt. Eine Woche mit drei mächtig überdrehten Jungs bei Schmuddelwetter in einer 60 qm Wohnung? Alle Computerspiel- und sonstige Limits ausgereizt, alle Lustigen Taschenbücher zehn Mal gelesen, das Technik-Museum ein Reinfall. Was bleibt, bevor das Jugendamt oder die genervte Nachbarin von unten an die Tür klopft: Raus, raus, raus! Raus mit allen Dreien! Trotz Regen, trotz massiver Gegenwehr, gegen die Randale bei der Räumung eines besetzten Hauses einem Kindergeburtstag gleicht, trotz drohender Psychologenkosten. Das Schreien der verdammten Seelen am tiefsten Höllengrund kann nicht verzweifelter gellen als das Geplärr der von ihren Pokemons getrennten im hallenden Treppenhaus.

Die Tür zum Hinterhof öffnet sich und die Kinder befinden sich in einem andern Universum. Sie nehmen Witterung auf, Urinstinkte werden geweckt. Moder, feuchte Erde, fremde Lebewesen. Ein Freudenschrei! „Ich hab eine Schnecke und die kommt raus!“ Als die gierigen Hände der Jäger und Sammler die Beute nicht mehr fassen können, wird der nasse Gartentisch der Nachbarn in einen Schnecken-Zoo verwandelt. Dutzende der glitschigen Moluslkeln werden der genauesten Untersuchung unterzogen. Wettrennen der äußerst behänden Schleimfüßler bringen die Wettleidenschaft zum Glühen. Ich bin abgemeldet. Mit zitternden Händen rühre ich mir in der Küche einen Kaffee an, den dritten für heute, versuche meine klingelnden Ohren wieder an die Stille zu gewöhnen und den ersten klaren Gedanken für heute zu fassen: Ich lebe noch, und ich habe die Chance, den Rest der Woche zu überleben. Ein Blick über den Balkon bietet ein friedliches Bild. Harmonische Szenen wie aus der „Gartenlaube“ ehedem. Knaben in kurzen Hosen und Gummistiefeln tragen Holz und Laub herbei, um es ihren neuen Haustieren recht behaglich zu machen. Ich seile eine Büchse mit Apfelschnitzen und Keksen ab, die sofort auf ihre Tauglichkeit als Schneckenfutter untersucht werden. In den kommenden Stunden werde ich nur besucht, wenn jemand aufs Klo muss. In meinen Heldenträumen hatte ich mir vorgestellt, als guter Vater mit meinen Söhnen die Natur Brandenburgs zu erkunden. Die Kraniche im Linumer Luch, Hirsche im Morgengrauen und allerlei Unheimliches bei einer Nachtwanderung. Aber dann hätte ich mich ja selbst aus der schützenden Stadt heraus bewegen müssen. Findet man nicht die Wunder der Natur auch im Kleinen? Sozusagen vor der Haustür? Ich habe auf meinem Balkon Blüten für die Hummeln ausgesäht.

Der Schlächter

Das Gesicht ist aufgedunsen. Klein und verkniffen liegen die Augen in den Wülsten. Der Stiernacken, die nach vorne hängenden Schultern: Der Kerl würde in jedem Stück, in jedem Film den tumben Spießgesellen, den Handlanger und Mordbuben geben können. Aber die Theater sind zu und deshalb wütet er in Wirklichkeit. Bahn für Bahn hinterlässt er seine Spur der Verwüstung in unserem Hinterhof. Weiß er was er anrichtet? Weiß er, dass er mit seiner stumpfen Tat mein kleines Glück vernichtet?
Der Schweiß rinnt ihm vom kahlen Schädel während er stoisch seine scharfen Messer kreisen lässt. Unbeholfen schiebt er seinen Schmerbauch mit mechanischen kurzen Schritten hinter seiner Mordmaschine über die Wiese. Seine Opfer heißen Storchenschnabel, Hasenglöckchen oder Löwenzahn. (Ich hab ’ne Pflanzenapp) Esels-Wolfsmilch, Graukresse oder Italienscher Aaronsstab. Allein wegen ihrer liebevollen Namen muss man sie schon mögen. Und noch mehr bewundern, mit welcher Harnäckigkeit sie sich und ihre streichholzkopfkleinen Blüten auf dem trockenen Sandboden durchbringen. Allem haben sie getrotzt. Dem glühenden Sommer im letzten Jahr, dem nassen Februar und den viel zu trockenen Tagen danach.

Und jetzt er: Der Büttel der pfennigfuchsenden Hausverwaltung, der unwürdige Nachlassverweser des großen Meisters, der dieses Blütenreich vor 90 Jahren geschaffen hat, der abgestumpfte Landsknecht, der für ein paar Heller ein Massaker anrichtet.

In den vergangenen Wochen habe ich die Fülle in dem großen Garten unter meinem Balkon mit dem Fotoapparat erkundet. Das Wunder im Kleinen hat mich ein wenig die Krisen draußen vergessen lassen. Aber ausgerechnte am Tag der Artenvielfalt bleibt davon nichts als abgemähtes Gras, das in der Sonne verdorrt. Ich hoffe, dass ein paar meiner kleinen Freunde sich tief genug geduckt haben, und noch da sind, wenn sich die Staubschleppe über dem Schlachtfeld gelegt hat. Sie müssen das ja zwei Mal im Jahr über sich ergehen lassen und wissen wohl längst: Der Mörder ist immer der Gärtner.

Urban Jungle

Eigentlich wollte ich in meinem Leben einmal den Dschungel sehen, richtigen Regenwald mit riesigen Bäumen, Pflanzen mit fetten Blättern und üppigen exotischen Blüten. So wie im Dschungelbuch, so stelle ich mir das vor. Costa Rica wurde mir von Freunden als Land genannt, wo es das alles zu sehen gibt – und noch ein paar Vulkane dazu. Jetzt sieht es so aus, als würde es ein Wettrennen gegen die Zeit geben, denn der Regenwald verschwindet so schnell, dass es vielleicht keinen mehr gibt, bevor wieder Flugzeuge oder Schiffe in das Land meiner Sehnsucht fahren.
Es bleibt mir also nur, das Fernrohr umzudrehen und ganz nah ranzugehen an das, was ich hier jeden Tag sehen kann. Dann zeigt sich, dass auch unser Hinterhof Blüten und Farben in in Hülle und Fülle zu bieten hat. Fehlen nur noch die Affen.

Berlin lebt

„Wo ihrer drei beisammen stehen, da soll man auseinandergehen…“ Wer denkt, mit Polizeiverordnungen wie aus Krähwinkels Schreckenstagen wäre das Leben in Berlin zum Stillstand gekommen, der hat wohl keine Augen im Kopf.  Zwar heißt es heute wieder fast wie bei Heine vor 150 Jahren: Auf den Straßen und den Gassen soll man sich nicht sehen lassen. Aber es bleibt einem in Berlin ja immer noch der Hinterhof. Und da platzt das Leben aus allen Nähten. Und das Licht. „Ich habe das Licht gesehen!“ (Nicht Heine, sondern Jake Blues von den Blues Brothers).

Ich wünsche euch helle Frühlingstage und bleibt gesund!