Gestern noch hätte ich ein wehklagendes Weltuntergangsgedicht schreiben wollen. Mit ächzenden Baukränen, die stöhnen wie untergehende Tanker, dem Mantel einer Selbstmörderin, der nachts verlassen auf einer Bank am Kanalufer liegt und kalkweißen Lichtfingern, die den Himmel über Berlin nach neuem Unheil absuchen. „Oh Welt…,! Das volle Expressionistenprogramm. Zum Glück scheint heut Morgen die Sonne. Ich hole mir einen Kaffee beim türkischen Bäcker um die Ecke und suche mir ein warmes Plätzchen. Vor den Ruinen des kroatischen Restaurants an der Ecke hat jemand für mich die Reste des Mobiliars auf das Trottoir gestellt. Menschen rennen vorbei, Paketautos kurven in Parklücken. Ich sitze auf einem klapprigen Lederstuhl und spüre die zaghafte Wärme. Am Schaufenster hängt noch das muntere Plakat für die Demo am Wochenende, das ich selber geklebt habe. War gar nicht schlecht. Der Bürgermeister war da und hat uns das Blaue vom Himmel herunter versprochen. Auch schon wieder vorbei. Der Wind bläht die Plane über meinem Motorrad. „Ruhig Brauner!“ raune ich ihm zu. „In ein paar Stunden sind wir auf der Autobahn.“ Ein Blick auf die Uhr. Mit wippenden Schritten federe Ich meinem Home Office entgegen. Das kommt von den neuen, wunderbar weichen Silikoneinlagen- in den Schuhen. Merkt keiner, aber lassen mich wieder laufen wie einen jungen Hüpfer. „I look pretty tall, but my heels are high.“ Das Jahr kann so weiter gehen.
… und die Kinder machen es trotzdem. Und die Erwachsenen werden zu Kindern.
Hoffentlich gehen sie dabei nicht baden.
Aber was macht die Frau da…?
….und was der Mann mit dem Aluhut und die Frau mit dem Vierzack?
Ob das Eis hält?
Zu Glück gibt es Rettungsringe…
…und die Tretbootflotte
Ich hätte ja nicht geglaubt, dass ich das noch erleben darf. Vor drei Jahren stand ich mit meinen Jungs auf dem zugefrorenen Plötzensee und dachte: Gut, dass ich ihnen das noch mal zeigen konnte. Das wird es nie wieder geben. Klimawandel und so. Und jetzt? Ein Winterwunder! Der Himmel strahlt und das Eis lockt, Zäune zu übersteigen. Die Natur ist wohl doch noch für ein paar Überraschungen gut. Die Menschen leider auch. Denn was ich dann sehe, als ich an den See komme, verdirbt mir die Winterlaune. Genau wie im Sommer wird der See zum Partymachen missbraucht. Musik wummert, die geschützen Uferböschungen werden rücksichtslos zertrampelt, das Eis aufgehackt, gerade an den Stellen wo Kinder unterwegs sind. Keine Rücksicht auf Niemand. Es gibt echt zu viele Bekloppte in Berlin.
Also dieser Sommer…. Wind, dramatische Wolken und Sturzregen: wunderbar. Als Fan der Regensucherin gibt es für mich kein schöneres Geräusch als das Tanzen der Regentropfen auf dem Fensterbrett und das Rauschen der Bäume vor dem Gewitter.
Das gibt mir das Gefühl: Es ist alles wieder gut. Klimawandel war einmal. Die Wiese bleibt grün. Die Kastanie im Hinterhof hat die Motten, aber auch damit kommt sie in so einem regenreichen Sommer besser klar. Und was es heute regnet, das füllt den Grundwasserspiegel für die nächsten Jahre, hoffe ich . Mit meinen Söhnen habe ich kein Apfelbäumchen gepflanzt, sondern Astern in drei kleinen Blumentöpfen. Und die brauchen sie gar nicht zu gießen – nur in den Garten stellen. Wächst von selber.
„Wäre schön, stimmt aber alles nicht.“, sagt der schlacksige Kerl, der neben mir durch die Wiesen des Naturschutzgebiets Klapperberge stapft. „Der Regen kommt viel zu spät, den hätten wir im April gebraucht. Die Bäume hier lassen die Blätter hängen, weil es damals zu trocken war. Jetzt schwemmt der Starkregen nur die Erde weg. Unten an den Wurzeln kommt nichts an.“ Ach dieser Kerl – verdient sein Geld mit Dachbegrünungen. Da muss er den Leuten ja so was erzählen. Und bei einer Sache muss er mir sogar Recht geben. Auf den Wiesen hier in der Uckermark haben seit Jahren nicht mehr so viele Blumen geblüht . Ich schau in meine Pflanzen-App: Alles Unkräuter. Na Gottseidank sprießt das wieder.
Schäfchenwolken am Himmel und blühende Bäume links und rechts. Auf dem Radweg am Hohenzollernkanal das übliche Gewusel von Radfahrern, Skaterinnen und Spaziergängern. Mein Sohn radelt mit seinem Freund um die Wette. Riskant, riskant, wie sie da um die Kurvern jagen und mit den aalglatten Typen auf ihren Carbonrädern fast kollidieren. Aber was kann schon passieren? Wir nehmen ja jetzt alle Rücksicht aufeinander. In der Jungfernheide angekommen gibt es für jeden eine Bratwurst auf die Hand und für die Väter ein Bier, damit die Kraft reicht für die Rückfahrt. „Bolle reiste jüngst zu Pfingsten…“
War da nicht noch was? Sieht so ein Land im Ausnahmezustand aus? Oder kann es sein, dass gerade die Welt untergeht, und ich es nicht bemerke? Weil ich gerade nicht will, dass die Welt untergeht, oder weil ich schon so viele Weltuntergänge erlebt habe, dass ich auch dieses Mal glaube, dass es (für uns) gut ausgeht?
Nehmen wir mal die Reaktorkatastrophe in Tschernobyl, der gerade in der Ukraine gedacht wird. Waren ja komische Zeiten damals, auch bei uns. Durfte man auch nicht auf den Spielplatz, nichts aus dem Garten essen und die Milch wurde weggekippt. Die Halbwertszeit von Cäsium 123 wurde damals von den Experten heruntergebetet wie heute die aktuellen Infektionszahlen. War schon gruselig. No Future, diesmal aber wirklich.
Was wäre wenn… wenn es wirklich so schlimm gekommen wäre, wie wir damals gedacht haben? Die Böden in Europa verseucht, die Ernten verdorben, die Menschen verstrahlt? Nicht auszudenken. War aber nicht so schlimm. Nur Pilze aus Polen wurden eine Zeit lang gemieden. Sonst ging alles munter weiter.
Und eigentlich hätte ich selbst diesen misslungenen Weltuntergang nicht erleben dürfen, weil schon 1962, ein Jahr nach meiner Geburt, die Welt wegen der Kuba-Krise, wie man damals und seitdem immer wieder mit leichtem Schauder sagt „vor dem Abgrund stand“. (Komisches Bild, weil es ja im ganzen Universum keinen Abgrund gibt, in den die Welt fallen könnte. Komm mir jetzt bitte keiner mit schwarzen Löchern). Auf jeden Fall ist meine Mutter, als die Luftsirenen angingen, mit mir auf dem Arm in den Keller des alten Winzerhauses gelaufen, wo noch aus Kriegszeiten der Luftschutzkeller des Dorfes war. War aber blinder Alarm. Cold war kids are hard to kill.
Insgesamt, finde ich, sind die Weltuntergänge in den vergangenen 75 Jahren für uns hier in Westeuropa recht glimpflich abgelaufen. Anderswo, in Ruanda oder in Syrien haben die Menschen nicht so viel Glück gehabt. Und in Bangladesh gab es nur deswegen keinen Weltuntergang, weil dort das Leben jetzt schon so entsetzlich ist, wie wir es uns in Europa für die Zeit nach dem Armageddon vorstellen. Und jetzt steigt da auch noch der Meeresspiegel.
So, jetzt habe ich es geschafft, einen Text ohne die Worte Corona und Klopapier zu schreiben. Ich wünsche mir, noch viel von euch zu lesen, bevor die Welt dann wirklich untergeht. Das Datum ist für mich als Rheinländer schon sicher. Es wurde im Kölner Karneval schon Mitte der 50er Jahre festgelegt. Die Toten Hosen, von der anderen Seite des Rheins, haben 50 Jahre gebraucht, um den Schuss zu hören. Deshalb schreien sie so laut.