Der Schlächter

Das Gesicht ist aufgedunsen. Klein und verkniffen liegen die Augen in den Wülsten. Der Stiernacken, die nach vorne hängenden Schultern: Der Kerl würde in jedem Stück, in jedem Film den tumben Spießgesellen, den Handlanger und Mordbuben geben können. Aber die Theater sind zu und deshalb wütet er in Wirklichkeit. Bahn für Bahn hinterlässt er seine Spur der Verwüstung in unserem Hinterhof. Weiß er was er anrichtet? Weiß er, dass er mit seiner stumpfen Tat mein kleines Glück vernichtet?
Der Schweiß rinnt ihm vom kahlen Schädel während er stoisch seine scharfen Messer kreisen lässt. Unbeholfen schiebt er seinen Schmerbauch mit mechanischen kurzen Schritten hinter seiner Mordmaschine über die Wiese. Seine Opfer heißen Storchenschnabel, Hasenglöckchen oder Löwenzahn. (Ich hab ’ne Pflanzenapp) Esels-Wolfsmilch, Graukresse oder Italienscher Aaronsstab. Allein wegen ihrer liebevollen Namen muss man sie schon mögen. Und noch mehr bewundern, mit welcher Harnäckigkeit sie sich und ihre streichholzkopfkleinen Blüten auf dem trockenen Sandboden durchbringen. Allem haben sie getrotzt. Dem glühenden Sommer im letzten Jahr, dem nassen Februar und den viel zu trockenen Tagen danach.

Und jetzt er: Der Büttel der pfennigfuchsenden Hausverwaltung, der unwürdige Nachlassverweser des großen Meisters, der dieses Blütenreich vor 90 Jahren geschaffen hat, der abgestumpfte Landsknecht, der für ein paar Heller ein Massaker anrichtet.

In den vergangenen Wochen habe ich die Fülle in dem großen Garten unter meinem Balkon mit dem Fotoapparat erkundet. Das Wunder im Kleinen hat mich ein wenig die Krisen draußen vergessen lassen. Aber ausgerechnte am Tag der Artenvielfalt bleibt davon nichts als abgemähtes Gras, das in der Sonne verdorrt. Ich hoffe, dass ein paar meiner kleinen Freunde sich tief genug geduckt haben, und noch da sind, wenn sich die Staubschleppe über dem Schlachtfeld gelegt hat. Sie müssen das ja zwei Mal im Jahr über sich ergehen lassen und wissen wohl längst: Der Mörder ist immer der Gärtner.