Blattgold und Brutalismus

Am liebsten möchte man der tapferen Pfarrersfrau die Hand halten und sie trösten: Ihr Schicksal hat sie mit ihrem Mann in einen der brutalistischsten aller Beton-Kirchenbauten im brutalen Berliner Märkischen Viertel verschlagen. Und an kantigen Betonbauten ist in dieser Hochhaussiedlung aus den 1960er Jahren wirklich kein Mangel. Sie habe lange gebraucht, um diese Kirche zu verstehen, sagt sie. Der Kunstsachverständige, der uns heute durch den fast lichtlosen Raum aus Sichtbeton führt, habe ihr einiges erklärt. Und an Weihnachten sei der Raum auch wirklich wunderschön. Wenn das Blattgold, mit dem der grobe Beton vom Architekten verziert wurde von den vielen Kerzen erleuchtet werde, herrsche hier wirklich eine besondere Stimmung. Aber um die Renovierungskosten für das in die Jahre gekommene Gotteshaus herbeizuschaffen, wurde der Raum noch bis vor ein paar Tagen ganz anders genutzt. Eine Filmproduktion hatte den Raum gemietet und ihn mit wenigen Requisiten in den Essenssaal eines US-Amerikanischen Gefängnisses umgebaut. „Es braucht ja nicht viel Phantasie, um sich das vorzustellen.“, bemerkt sie fast schon mit Galgenhumor.

„Schaustelle Nachkriegsmoderne“ heißt die Tour, mit der ich am „Tag des offenen Denkmals“ mit einem Bus voller grauhaariger Boomer in Berlin unterwegs bin. Es ist spanned, mal wieder Tourist in der eigenen Stadt zu sein und sich Orte zeigen zu lassen, die abseits der täglichen Routen liegen und deren Türen normalerweise verschlossen sind. In meiner Vorstellung war die Nachkriegsarchitektur hell, filigran, lichtdurchflutet. So wie die „Schwangere Auster“, die Kongresshalle aus den 1950ern an der Spree oder die achteckige Kirche neben der Kaiser- Willhelm-Gedächtniskirche mit ihren leuchtend blauen Glasbausteinen. Aber was wir zu sehen bekommen sind mehr oder weniger sanierungsbedürftige Mehrzweckbauten – Architektenträume, die lange vergangenen Bauideologien huldigen: Keine rechten Winkel, das Außen soll das Innen nicht verraten, das Außen soll im Inneren Platz finden (es gibt tatsächlich Kirchen in denen Straßenlaternen eingebaut wurden und Bodenplatten aus Asphalt), Räume sollen in ihrer Funktion nicht festgelegt werden… Was davon übrig geblieben ist, sind die Seufzer der Küster und die Klagen der Pfarrer. Von Denkmalschutz über schadstoffhaltigem Lack bis hin zu aufgequollenem Parkett ist die Liste der irdischen Prüfungen lang. Und die Kirchenbänke bleiben immer öfter leer. Da hilft es auch nicht, dass sich andere Glaubensgemeinschaften in die evangelischen oder katholischen Kirchen einmieten. „Aber was nützt das, wenn eine Gemeinde aus 20 koptische Familien hier ihren Gottesdienst abhält? Davon kann ich die drei Millionen Euro für die energetische Sanierung nicht bezahlen.“ klagt ein Pfarrer. „Und die Moscheegemeinden winken gleich ab. Die stören nicht die Kreuze, sondern die hohen Heizkosten.“

Nicht gespart hat man bei der St. Hedwigs-Kathedrale, der katholischen Bischofskirche in der Mitte Berlins. Dort hat man nach einem Machtwort von Bischof Woelki die ganze Nachkriegsmoderne heraus gerissen und durch einen weißgetünchten runden Saal mit Kuppel ersetzt. Fein säuberlich getrennt ist jetzt auch der Zugang zur weißen Oberkirche von dem zur dunklen Unterkirche, die nur durch eine in einem schwarzen Tunnel steil abwärts führende Treppe erreicht werden kann. Und wer denkt, das sei der Weg hinab ins ewige Fegefeuer, das einem die Katholiken als Sünder ja als Chance versprechen, wird wieder getäuscht. Es ist eine Taufkapelle. Allerdings ist der Taufstein so tief eingelassen, dass es bislang noch kein Pfarrer geschafft hat, sich so weit herabzubeugen. Deshalb wird hier gerade nicht getauft, so die Auskunft unseres Führers, der aber fairerweise zugibt, dass er für ein Architektenbüro arbeitet, das den Zuschlag für die Renovierung nicht bekommen hat. Der seltsame Taufstein zieht die Besucher trotzdem in seinen Bann.

Richtig luftige Nachkriegsmoderne bekam ich am Ende dann doch noch zu sehen:Die Judas-Thaddäus Kirche in Schöneberg im allerschönsten Nierentisch-Design. Sehr renovierungsbedürftig auch sie, aber das Kirchenschiff (Ein Schiff in den Wellen mit dem Kirchturm als Mast war tatsächlich die Idee, die der Architekt hier Ende der 1950er gebaut hat) ist voll mit herausgeputzten, lebhaften Menschen. Die ghanesische katholische Gemeinde feiert heute hier. Alle sind gleich an ihren gelben Kleidern, Kopftüchern und Hemden mit dem Logo der Gemeinde zu erkennen. Fast ein bisschen peinlich, an ihnen vorbei in die weihrauchgeschwängerte Kirche zu gehen. Aber dem Herrgott hats gefallen und er schickte ein paar Sonnenstrahlen, mitten auf den Altar. It`s a kind of magic.