Die ungeschriebenen Blogideen stapeln sich in meinem Kopf wie die ungebügelten Hemden auf meinem Bügelbrett. Der nächtliche Ausflug zur Ruine des Steglitzer Kreisels, die Erinnerung an meine Wendeabenteuer in Leipzig vor dreißig Jahren, die Freude, alle Kinder gemeinam und ohne Streit unter den Weihnachtsbaum versammelt zu haben. Alles nur Ideen, Einstiegssätze und Möglichkeiten, die meinen Kopf nicht verlassen. Nicht dass ich nichts erzählen wollte, aber die Zweifel werden größer: Lohnt sich das? Hab ich das nicht schon mal erzählt? Was denken die Leser von mir? Und je länger ich darüber nachdenke, brechen die Schächte zu den Goldminen meiner Erinnerung ein. Abgesoffene Bergwerke, verschüttete Schätze. Allein die Vorstellung, den Computer anzuschalten ist mir dann schon zu viel. Und je mehr Ungeschriebenes sich auf die alten Ideen legt, desto platter werden sie.
Wo ist nach fünf Jahren Blog der Elan, der Drang etwas mitzuteilen, die Lust mit Wörtern und Stilen zu spielen? Tickerscherk schrieb neulich, dass sie sich sehne nach der Tiefe, mit der sie früher geschrieben hat und ihre Worte kämen ihr jetzt vor wie abgeschliffene Kieselsteine. Die Wolkenbeobachterin ist frustriert über die Erwartbarkeit der Kommentare auf ihre Beiträge und sinniert über die Grenzen dessen, was in von der Bloggemeinde an Inhalten toleriert wird. Langeweile in Bloghausen? Geht’s uns zu gut? Ist die Seelenpein verschwunden, die uns an die Tasten trieb? Noch heute Morgen formte sich ein dramatischer Bericht über die Versäumnisse meiner Eltern, mir lebenspraktische Dinge beigebracht zu haben. Und wie sehr ich mich anstrenge, das bei meinen Kindern nicht zu verpassen. Dann traf ich mich mit einem Freund im Café und erzählte ihm, dass ich bis zum Alter von 10 Jahren noch nicht mal meine Schuhe selber hätte binden können. Eine Schmach und eine Erniedrigung vor allen Klassenkameraden, die ich meinen Kindern ersparen möchte. Ach, sagte er, das war bei mir genau so. Ich hatte immer nur Schuhe mit Klettverschlüssen. Und schon war das Thema gestorben. Vielleicht ist es das, was mir am Bloggen gefallen hat: Zu erfahren, dass ich mit meinen seltsamen Erfahrungen nicht allein bin. Dass ich bei allem Chaos ein Leben erlebt habe wie viele andere auch. Schönen Dank auch dafür.
Und dann sehe ich gestern Abend den Vollmond über Berlin, wie er sich blass hinter den Wolken verbirgt und denke, das könnte doch ein wundervoller Einstieg in die Geschichte sein, wie wir damals nachts die Straßenlaterne vor dem Sowjetischen Ehrenmal geklaut haben…
Und weiter geht’s.
Guten Morgen, Rolf, ich habe auch des Öfteren das Gefühl, in einer Dauerschleife zu sein. Wir sehen uns 😉 Susanne
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„Vielleicht ist es das, was mir am Bloggen gefallen hat: Zu erfahren, dass ich mit meinen seltsamen Erfahrungen nicht allein bin.“ Dem kann ich nur zustimmen und auch ansonsten geht es mir oft wie dir und den von dir erwähnten anderen Bloggerinnen. Am Anfang war es anders, da wohnte der neuen Möglichkeit des Bloggens so ein Zauber inne, der zumindest bei mir nicht mehr so präsent ist. Und dann ist da noch das Persönliche, sehr Private, Intime, das viele Beiträge erst tief und berührend macht, aber ich will nicht mehr soviel von mir preisgeben, da beißt sicch die Katze in den Schwanz. Deine Beiträge lese ich mit Sicherheit weiter gerne, also…
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„aber ich will nicht mehr soviel von mir preisgeben“
Und da genau liegt der Hase im Pfeffer. Es entspricht dem Zeitgeist: Seit in den Augen fanatischer „Aktivisten“ das Private auch das Politische ist; seit man an den Pranger der „Sozialen Medien“ und selbst der etablierten Zeitungen gestellt wird, bloß weil man bei den falschen Leuten auf der privaten Geburtstagsfeier war; seit zwei Drittel der Bundesbürger ihre Meinung öffentlich lieber wieder für sich behalten – seitdem bloggt es sich eben nicht mehr ganz so unbeschwert. Gewöhnen wir uns daran. Und trösten wir uns als Normalsterbliche damit, dass selbst prominente Schriftsteller in diesem Land inzwischen Auftrittsverbote erhalten, weil sie gegen „Neutralitätspflichten“ verstoßen. Die Kräfte, die dieses Klima erzeugen, werden schließlich immer wieder gewählt und beherrschen zugleich die „Straße“, also scheint das so gewünscht zu werden.
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Ist das Private nicht schon seit 68 politisch? Die von dir beschriebenen Dinge sind mir für mich persönlich fremd, da fühle ich mich nicht angesprochen. Wie unten gesagt, teile ich meine Meinung zu gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen immer noch mit, manchmal, und nehme da auch kein Blatt vor den Mund, wohl wissend, nicht von vielen verstanden zu werden. Welche „Neutralitätspflichten“ von Schriftstellern meinst du denn, hast du ein Beispiel? Ich weiß nur, dass man nicht gegen den allgemeinen politischen und medialen Konsens verstoßen darf, doch das tue ich munter weiterhin.
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Ich kenn mich in den anderen sozialen Medien nicht so aus, aber ich glaube, du hast Recht.Was ich so von meiner Tochter mitkriege ist der Anpassungsdruck da sehr hoch. Man zeigt sich von der Seite, von der man glaubt, von den meisten gemocht zu werden. Und das, was man von sich selber nicht preisgeben will, findet Facebook per Datenanalyse heraus. Vorteil: Die Fotos unter dem Weihnachtsbaum sind perfekt, weil die Tochter ihr „Instagramgesicht“ aufgesetzt hat.
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Ich bin auch in keinen anderen „sozialen“ Medien aktiv und da ich nicht mal ein Smartphone besitze, habe ich keine Angst vor weniger Likes (die kriege ich höchstens hier auf WordPress) und will und muss auch nicht gemocht werden. Über das Alter wäre ich dann sowieso hinweg, aber ich war nie darauf hinaus, leiste mir auch weiterhin meine Meinung. auch meine politische und die gebe ich hier durchaus hin und wieder noch preis. Das Private allerdings halte ich inzwischen stärker zurück, weil…, ja, ich weiß auch nicht so recht, warum. Darüber muss ich noch etwas nachdenken. Es geht eh nur Freunde an, denke ich. Doch das trifft es auch nicht recht, denn manchNur warum?
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glückliche Familienszenen, ach überhaupt Glück und Zufriedenheit sind literarisch unergiebig und öd. Es muss ja nicht gleich Seelenpein sein. Ich les so gerne von Deinen kleinen Alltagsbegebenheiten, von Deiner Sicht auf die Welt…Wird’s nicht bald mal wieder Zeit für den Barbierbesuch?
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Jetzt wo du´s sagst. Ich hätte die Misshandlungen bei meinen letzten Besuch lieber verschwiegen, aber wenn du unbedingt willst 😉 Schau die nächsten Tage mal wieder rein…
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komisch, warum denke ich gerade beim Lesen Deines Textes an mein Herzrasen, als ich Anfang der 80er von einer Fahrrad (Klapprad)-Probefahrt irgendwo in Lichterfelde nicht mehr zu dem Laden zurückfand. Und natürlich sofort das Rad „zur Tarnung“ schwarz lackierte. Oder gehört das garnicht hierher??
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Alles hängt mit allem zusammen, sag ich jetzt mal. Ganz zufällig war ich gestern auch in Sachen Fahrradkauf unterwegs,. Vielleicht ist das unbewusst in den Text eingeflossen 😉
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