Herrentage

Als ich den Friseurladen Almaya betrete, sagt mir keiner „Guten Tag“. Ein Friseur ist mit einem. Kunden beschäftigt und summt leise die Worte des melancholischen arabischen Liedes nach, das durch den Raum dudelt, der andere sitzt auf einem Frisierstuhl und schneidet sich selber den dunklen Bart. Ich war lange nicht mehr hier. Der Laden hatte lange zu. Jetzt hat er mit neuen Leuten und neuer Einrichtung wieder eröffnet. Alles etwas protziger als vorher. Dunkle Stühle mit dicken Metallbeschlägen aus billigem Gold-Imitat. Eine Mischung aus Art-Deco und World of Warcraft. Ich setze mich auf das üppige Ledersofa und warte bis der junge Barbier mit seinem Bart zufrieden ist. Zeitungen gibt es nicht mehr, stattdessen liegt ein Zettel mit QR-Code auf dem Tisch. Endlich zieht er sich seinen Frisierumhang vom Hals und bittet mich auf seinen Stuhl. Endlich das Gebrumm der elektrischen Schneidemaschine auf meinem Kopf und die Hoffnung auf eine kleine Massage mit kühlem Haarwasser zum Abschluss. Endlich bin ich wieder in meinem Viertel, bei Männern, die es für ein bisschen Geld gut mit mir meinen. Gestern war ich auch unter Männern, beim Herrentagsausflug in Zühlsdorf in Brandenburg. Nur fünf Kilometer jenseits des Berliner Autobahnrings, aber in einer anderen, sonnenbeschienen, feindlichen Welt. Dabei hatten wir Glück. Nach einem langen Gezeter mit meinen Jungs waren wir mit unseren Freunden mit nur einer Stunde Verspätung zu unserer Radtour aufgebrochen, hatten uns auf dem unbefestigten Weg durch ein Sumpfgebiet über Stock und Stein gequält und tatsächlich eine offene Gaststätte an einem Bahnhof gefunden, vor der laut lachende Männer in Gruppen auf Bierbänken gegrillte Haxen und Würste aßen. Ein Vatertagsidyll. Aber Freude wollte bei uns nicht aufkommen. Nicht nur, weil es keine Pommes gab, auf die die Jungs sich während der Fahrt gefreut hatten, nicht nur, weil es natürlich in einer Brandenburger Vatertagskneipe kein vegetarisches Menü gab, wie mein Freund es erhofft hatte, sondern weil wir zuvor die breit ausgebaute Dorfstraße unter einem Spalier von AfD-Wahlplakaten entlangfahren mussten. Jeder dritte Mann hier wird im Juni zur Europawahl rechtsradikal wählen. Nur einigen von ihnen sah man an, dass sie sich von unserer Gesellschaft verabschiedet hatten. Grimmig dreinblickende Kerle mit Bärten oder Tatoos, oder beidem. Wenn man es romantisch sehen wollte, wozu man als Städter auf Landpartie neigt, würde man sie als Waldschrate oder Holzknechte sehen wollen, die nun mal hier am Rande der Schorfheide leben. 30 Kilometer stadteinwärts würde man sie korrekt als „Menschen die als Mann gelesen werden wollen“ bezeichnen. Sie selber schreiben sich ihr Mannsein lieber in Fraktur auf die Haut, damit es keine Diskussionen gibt. Aber erschreckender war die Vorstellung, dass auch die andern, die mit dem Rad oder mit dem Kremserwagen angereist waren, die scherzend wie kleine Jungs mit der Bedienung flachsten und von ihr genauso bestimmt und jovial zurechtgewiesen wurden, ihr Kreuz in einem Monat bei den Nazis machen werden. Es gibt in der Verfilmung von „Cabaret“ mit Liza Minelli eine Szene in einem sonnigen Biergarten, in den sich die Berliner an einem Sommertag verlustieren. Und in diesen Biergarten kommt eine Gruppe HJ in Uniform und singt ein deutsches Lied. Der ganze Biergarten applaudiert ihnen. Die AfD singt nicht. Aber sie bekommt stillen Applaus, der auf dem Wahlzettel sichtbar werden wird.

Der arabische Friseur hat sein Werk vollendet. Der arabische Sänger klagt immer noch aus den Lautsprechen, mäandernd wie ein gregorianischer Choral. Der schüchterne Lehrjunge fegt die Haare zusammen, die ich lassen musste. Meinem Kopf geht es besser. Nur das Finale fehlt noch. Ich deute auf meinen Kopf und sage „Haarwasser“. „Waschen?“, fragt mein Friseur. „Nein, Parfüm“, erkläre ich. „Ach so, Aftershave“, lacht er, besprüht mich mit etwas Kühlem, das gut riecht und massiert es in meine Kopfhaut ein. Es tut gut, verstanden zu werden.

4 Gedanken zu “Herrentage

  1. Lieber Kafka, ein toller Text. Ich kann ihre Beklemmung spüren. Manchmal geht es mir genauso. An diesen Tagen erinnere ich mich an die Entstehung der Bundesrepublik. Sie folgte aus der düstersten Zeit. Nicht perfekt aber tatkräftig und hoffnungsvoll. Die Menschen kennen den Unterschied. Ich vertraue auf diese schöpferische Kraft.

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  2. Danke für ihren ermutigenden Kommentar. Ich habe die Hoffnung auf die Tatkraft unserer Gesellschaft etwas verloren. Vielleicht weil man sich in einer großen Stadt immer etwas ausgeliefert vorkommt , vielleicht, weil im es mir im eigenen Umfeld an Erfolgen bei der Gestaltung hapert. 😉

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  3. Du hast recht, Rolf. So ein Friseurbesuch ist immer ein bisschen „Wellness“ – was immer man persönlich auch darunter verstehen mag. Gerade gestern erst stattete ich dem Friseur meines Vertrauens einen Besuch ab. Denn ab und an habe ich das Bedürfnis, in einem kultivierten chicen Salon auf einem bequemen Ledersessel zwischen rosa Orchideen und vor einem riesigen Spiegel mit Silberrahmen zu sitzen und mich in die Hände einer kompetenten und qualifizierten Fachfrau zu begeben.

    Wenn das dann noch alles möglichst ohne Smalltalk und mit angenehm leiser Dudelmusik stattfindet – einfach herrlich.

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  4. Aber die stille Freude über ein politisches Einvereständnis – das gibts auch in die andere Richtung.

    Gestern, brachte ich meine Tochter zur Gartenübernachtung bei ihrer Kindergartenfreundin in den schön wild wuchernden Kleingarten ihrer alleinerziehenden Helikoptermutter. Kiffende Alternative, die den Sommer über mit Kind im Garten lebt. Der Pool wurde aufgebaut, die Mädchen kreischten ausgelassen. Und plötzlich kamellt die sonst schüchterne sensible wortkarge zurückgezogen lebende Frau AFD – Phrasen heraus. Sie fordert harte Abschiebung dieser ganzen kriminellen Ausländer mit ihren ständigen Messerattacken. Das sollten die doch dann gerne in ihren Ländern machen, wo das normal sei in der Kultur aber nicht mit „unseren Leuten“ – das gehöre nicht nach Deutschland. Du denkst, es ist in irgendeiner Kultur normal, Leute abzustechen? frage ich perplex…. und denke: oh nein, sie haben schon wieder einen Menschen in meinem Umfeld gekriegt mit dieser Wutpolemik. Ist in kurzer Folge mein drittes derartiges Erlebnis mit ner Mutti, die ich einige Zeit nicht gesehen hab… Ich fühle mich umzingelt von Menschen, die solche Meinungen angenommen haben. Nur durch ein paar leise Stimmen hie und da, zB. in diesem Blog, erfahre ich noch das stille Einverständnis mit jemandem, den diese Erfahrung ebenso graust.

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