Denn ich versteh sie nicht mehr. Ich meine die türkischen Händler bei uns im Wedding. Sie verschönern die Straßen bis tief in die Nacht mit ihren leuchtend bunten Obstständen. Riesige Auslagen mit Früchten aus aller Welt, prall, bunt, üppig und verlockend. Helal e Pazari. Und billig! Billig, billig, billig. Die Verkäufer vor den Läden kennen nur dieses eine Wort, ihr Glaubensbekenntnis, das sie wie Muezzine in einem an- und abschwellenden Singsang ihren Kunden vorbeten. Doch im Gegensatz zu ihren Kollegen auf den Minaretten, kann man den Wahrheitsgehalt ihrer Prophezeiungen sofort überprüfen: Sie stimmt! Sommers wie winters. Na gut, ab März sollte man bei den Äpfeln vorsichtig sein aber ansonsten: Frische Ware für wenig Geld. Der Wedding, ein Ort, an dem sich jeder eine gesunde Ernährung leisten kann. Ein Paradies der Vitamine. Und das macht mich natürlich misstrauisch. So glücklich ich über eine Annanas für 99 Cent bin, in mir bohrt die Frage: Wie kann das möglich sein? Was können die, was Edeka nicht kann? Was ist ihr Geheimnis? Bei den Granatäpfeln und den Melonen bin ich ihnen dahinter gekommen. Die kommen mit großen Lastwagen direkt aus der Türkei, werden gleich vom Laster in Bretterkisten auf den Bürgersteig gestellt. Meist sehen sie den Abend nicht mehr, weil wankende kleine Frauen sie in dünnen Plastikbeuteln zu ihren Familien getragen haben. Aber die Apfelsinen? Wie geht das mit den Apfelsinen? Seit Wochen gibt es allerbeste saftige spanische Navelinas für 89 Cent das Kilo. Gute Orangen im Februar, mein Glück kennt kein Ende. Besonders weil der erfahrene Käufer in mir zu wissen glaubte, dass spätestens im Januar die Südfrüchte nichts mehr taugen, strohig und fade schmecken und zu meiden sind. Was ist da passiert in Spanien? Ist das der Klimawandel ? Ist das eine neue, genveränderte Sorte? Und wer pflückt die Früchte für die paar Cent und wer fährt sie für das Geld hierher? Der türkische Verkäufer sagte mir nur „billig im Großmarkt“. Na ja, und der Strom kommt aus der Steckdose. Ich weiß nur, dass es Massen an Apfelsinen geben muss – denn vor meinem Edeka steht jetzt auch eine große Kiste aus Spanien. 89 Cent das Kilo.
Wir haben unseren in der Turmstrasse. Ich frag nicht nach. Zu gerne esse ich Mandarinen. So reich versorgt hat er mich diesen Winter. Es wäre sicher möglich, dass da Tadeliges im Spiele ist. Bin ich deswegen ein schlechter Mensch, weil ich dem nicht immer auf den Grund gehen mag?
Ja, das bin ich. Oder eben nur Mensch. Und der schält sich jetzt eine süße Frucht.
Freundlichst
Ihr Herr Hund, nicht ganz perfekt
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Lieber Herr Hund,
so moralisch meinte ich es gar nicht – nur erstaunt über das, was alles möglich ist. Wie Sie kann ich von den Südfrüchten nicht genug bekommen und beglücke auch noch andere damit. Damit wäre zumindest für die Frucht selbst der oberste Daseinszweck erfüllt, auch wenn sie ihre Entstehung anderen Beweggründen verdankt.
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Das frage ich mich auch öfter, wie das möglich ist mit manchen Preisen. Auch bei dem schwedischen Möbelhaus bisweilen. So günstig wie dort kann man es nicht mal auf dem Flohmarkt bekommen. Ich denke, die Masse macht es, auch bei den Obst-und Gemüsehändlern. Schöner Artikel jedenfalls. Sehr gern gelesen. Liebe Grüße von Nebenan.
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Danke, freut mich. Schön auch, dass wir die gleichen Wolken beobachten. Wo ist denn nebenan?
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