Ins Herz geschrieben

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Quelle: WDR

Heike ist wieder da. Sie ist mit Freund und Sohn nach Berlin gekommen und wollte mich unbedingt treffen. Ich habe kurz gezögert, denn Treffen mit Heike können ganz schön anstrengend sein. Aber jetzt sitzen vor einem Restaurant in Mitte, Weinreben ranken sich die graue Fassade hoch und wir rätseln, wie lange wir uns nicht gesehen haben. Sind es vier Jahre oder fünf? Auf jeden Fall war es kurz nachdem ihr Mann sie verlassen hatte. Völlig aufgelöst war sie in Berlin aufgetaucht, um mit mir zu sprechen, zu wehklagen und mich zu fragen, ob alle Männer so sind. Sie sind so, bestätigte ich ihr, vor allem wenn sie mit Anfang Vierzig alles erreicht haben: Frau, Haus, zwei Kinder. Ich war für sie immer ihr geduldiger Vertrauter.

Heike sieht wie immer „top“ aus. Die grasgrünen, stechenden Augen im kugelrunden, ein wenig asiatisch wirkenden Gesicht, die vollen Lippen stets geschminkt und die gekonnt verstrubbelten kurzen Haare dunkel gefärbt. Schon damals in Heidelberg hat sie immer für Aufsehen gesorgt, wenn ich mit ihr auf einer Studentenfete in meinem schlurfigen Öko-Millieu aufgetaucht bin. Die Frauen taxierten erst sie, dann mich und rechneten sich dann aus, dass sie bei jemanden, der mit einer solchen aufgebrezelten Tussi auftaucht, wohl selber keine Chancen hätten. Pech für mich, denn zwischen mir und Heike war nix, nichts Körperliches jedenfalls. Denn was Männer angeht war sie sehr ängstlich. Da gab es nur „Das ist ein ganz Lieber“ oder „Der ist ekelig“. Dazwischen gab es wenig. Und ich war ein „Lieber“, immerhin. Wir waren zusammen in Italien, schliefen im selben Zelt und tranken schlechten Rotwein – aber es war kein Zusammenkommen. Heike ist eine sehr willensstarke Frau. Nur einmal durfte ich ihren Busen sehen. Das war, als sie beschlossen hatte, nicht länger ein Mauerblümchen aus der Provinz zu sein, und einen Arzt gefunden hatte, der ihren überbordenden Melonenbusen auf ein ansehnliches Maß verkleinerte. ‚“Willste mal sehen?“ fragte sie schüchtern, als ich sie nach der Operation besuchte. Sie hob ihr Krankenhemdchen gerade so viel, dass ich das Kunstwerk bewundern konnte, das unter Pflastern und Verbänden sichtbar wurde. Es war perfekt und es war unser intimster Moment, dachte ich.

Jetzt zeigt sie mir einen Schnappschuss eines jungen Mädchens. Es ist ihre Tochter, die bei ihrem Ex wohnt, und sie seit Jahren nur noch sieht, wenn sie vor Gericht um Unterhalt streitet. „Ich habs mir bei Facebook runtergeladen,“ sagt sie gefasst. Heike war schon immer eine Kämpferin, jetzt kämpft sie gegen den, der vom „ganz Lieben“ zum „Idioten“ wurde, hetzt ihm die Behörden auf den Hals und sieht zu, dass die Kinder wenigstens die Schule schaffen. Zum Abschied drücken wir uns, versprechen uns, dass wir uns besuchen und unvermittelt sagt sie: „Du hast immer so schöne Briefe geschrieben, und Postkarten. So schön und so witzig. Ich hab sie alle aufgehoben.“

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