Still leben

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„Was machst du denn heute Abend noch?“, fragt meine Schwiegermutter. „Och, ich werd noch eine Runde joggen.“ Das kling gut, das klingt nach „ich nutze den Tag, den du für mich frei geschaufelt hast.“ Für einen Moment glaube ich sogar selber daran. Aber ich weiß schon, dass ich den Abend in meiner Wohnung versacken werde. Ich habe ein freies Wochendende. Die Frauen kümmern sich um die Kinder. Ich könnte tun und lassen was ich will. „Hey“, sagt was in mir; „du bist in Berlin, es ist Sommer und überall ist was los. Komm! Geh wenigstens in den Park ins Freiluftkino. Das wolltest du doch schon immer.“ Ich schließe die Wohnungstür hinter mir zu, stelle die Einkäufe von heute Morgen in den Flur. Hier bin ich, my home is my castle. Kaum habe ich die Schuhe aus,  will ich was essen. Immer wenn ich in meine Wohnung komme will ich was essen. Ankommen. Der Kühlschrank gibt eine Dose Heringe her. Noch einen Moment denke ich „Jetzt könntest du noch raus gehen“. Doch schon ist die Dose offen und eine Bier neben mir auf dem Tisch, das Multi-Kulti Radio spielt dazu serbische Weisen. Eigentlich wollte ich heute auch noch was schreiben, in meinen Blog. Doch zu etwas Kreativem bin ich heute nicht mehr fähig. Mein Blick fällt auf meine Fensterbank. Von wegen zu nichts mehr fähig: Dort liegt ein perfektes Stilleben mit dem frisch gewaschenen Obst vom Türken. „Stilleben mit Radiator“- Cezanne wäre stolz auf mich. Ich hab doch noch etwas geschaffen heute. Jetzt kann ich beruhigt schlafen gehen. Nur meiner Schwiegermutter werde ich das zufriedene Gefühl nicht erklären können.

5 Gedanken zu “Still leben

  1. Meine Kunstlehrerin hätte dich mal wieder Banause genannt (und das obwohl nicht nur Cezanne sondern auch der Heilige Joseph dir wohl applaudieren würden dürften), aber die hatte, da waren sich immer alle einig, so polarisiert sie sonst hat, auch keine Ahnung von kreativem Fluss oder dem zufriedenen Gefühl von Erfolgserlebnissen. 🙂

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