Wir schauen beide träge aus dem Zugfenster in die brandenburgische Monotonie. Ich entdecke ein kleines, verfallenes Backsteinhaus. „Ich würde ja gerne in einem alten Bahnwärterhäuschen wohnen“, sage ich so daher. „Dann machs doch einfach“, erwiedert er tonlos, „das sagst du doch schon seit ich dich kenne.“ Da hat er Recht, und ich denke ernsthaft über seinen Vorschlag nach. Immerhin hat er in seinem Leben schon drei Häuser gekauft, und zwei wieder verloren, und ich hänge noch meinem alten Traum nach. Und er hat Recht: Wir kennen uns schon lange. Die 20 Jahre, die wir in Berlin leben. Unglaubliche Jahre. Oft bin ich bei ihm untergekrochen, wenn es mir mal wieder dreckig ging. Manchmal war er der Grund, weshalb es mir dreckig ging. Und neulich stand er bei mir vor der Tür und suchte Unterschlupf.
Unsere Frauen haben uns zusammen gebracht, damals zum Geburtsvorbereitungskurs im Frauenzentrum Frieda. Und später zu den gemeinsamen Urlauben mit den Kindern. Die Frauen sind nicht mehr unsere Frauen und die Kinder werden dieses Jahr ihren 20. Geburtstag feiern – ohne uns. Jetzt sitzen wir im Zug, um zusammen ein wenig durch den Spreewald zu radeln. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Ich hab wieder kleine Kinder zu Hause, er eine kranke Mutter in Hamburg. Aber die zwei Tage haben wir uns rausgeschnitten. Ich hole meine Stullenbüchse raus und er linst hinein. „Was du wieder für herrliche Sachen dabei hast“, begeistert er sich. Ich weiß, dass ich jetzt wieder meine Stullen los bin, und er wird sich darüber freuen wie ein Kind. Er hat mir schon oft den Kühlschrank leer gefressen und ich hab mich dabei gefreut, ihn so glücklich zu sehen.
Mit ihm kann ich so herrlich ins Blaue fahren, ohne nachzudenken. Er ist wie ein großer Bruder für mich. Mit Einsneunzig und kahlem Schädel ist er eine beeindruckende Erscheinung. Bei ihm fühle ich mich sicher, und er verlässt sich auf mich. Leider auch beim Kartenlesen. Deshalb sitzen wir jetzt bei pladderndem Regen auf der Terrasse eines verlassenen Cafés und wissen nicht, wo wir sind. Na, egal. Er packt seine Zeitung aus und wir machen es uns gemütlich. Wir werden schon irgendwo hin finden. Vor Jahren sind wir mal ohne Zelt zu einer mehrtägigen Tour aufgebrochen. Irgendwann wars dunkel und er fragte: „Was machen wir jetzt?“ Ich antwortete nur: „Wir legen uns ins Gras.“ „Und wenn`s regnet?“ „Dann werden wir naß“, erwiederte ich unbekümmert. Darauf hat er sich eingelassen. Und als uns morgens um fünf tatsächlich der Regen weckte, lud ich ihn zu einem Kaffee in die nächste Tanke ein, und die Reise konnte weiter gehen.
Und so auch jetzt. Die Wolken verziehn sich, wir finden auf den Weg zurück und gönnen uns abends in Cottbus das beste Schnitzel der Stadt, und er sagt, dass es das beste Schnitzel seines Lebens gewesen sei. Und ich freu mich wieder für uns.
Ach ja: Eigentlich wollten wir gar nicht in den Spreewald, sondern nach Istanbul. Aber drei Tage vorher stellten wir fest, dass sich keiner von uns sich um einen Flug gekümmert hatte. Egal, so wars auch schön.
Ihr seid ganz schön entspannt Ihr Zwei. Toll zu lesen. 🙂
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Danke. Entspannt sind wir nur drei Tage im Jahr. Den Rest der Zeit machen wir uns Sorgen 😉
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🙂 Ich hab gelacht.
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Schön… So was ähnliches habe ich auch mal gemacht, der Mensch, mit dem ich unterwegs war, wollte sich damals nach seiner Scheidung und zunächst ohne Bleibe ein Bahnwärterhäuschen zulegen, stand auch in den Verhandlungen und erfuhr dann, dass das Haus keinen Anschluss an die Kanalisation hatte, so dass das Geschäft platzte. Wir wollten damals ursprünglich per Regionalzug in den Odenwald und endeten per Auto bei Köln.
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