Ich hab heute so viel bekommen und weiß gar nicht, womit ich das verdient hab. Ist ja noch gar nicht Weihnachten. Und brav war ich auch nicht.
Fing damit an, dass mir heute morgen zwei Stunden im Bett geschenkt wurden, weil mein Telefon mir sagte, dass der Flug, der meine Tochter aus Peking zurück bringen sollte, eine dicke Verspätung hatte. Und als ich dann am Flughafen war und als die Aeroflot-Maschine weitere zwei Stunden ihre Runden über Berlin drehte, und als ihre Mutter und ich langsam Sorgen kriegten, weil ja gestern alle verrückt geworden sind und ein Türke den russischen Botschafter erschossen hatte, da war es das größte Geschenk, mein strahlendes Töchterchen doch noch in die Arme schließen zu können. Und fast noch schöner war, dass sie jedem ein Geschenk aus Peking mitgebracht. Ein Geschenk, ein ganz chinesisches, mit rotem Seidenpapier und Schriftzeichen drauf. Meine Tochter, von ihrem Geld – für uns! Bisher gabs immer nur große Augen und die aufgehaltene Hand. Heute einen handfesten Beweis, dass sie einen kleinen Moment, vielleicht im letzten Moment vor dem Abflug im Flughafen-Duty-Free, daran gedacht hat, wie sie uns eine Freude machen könnte. Ach, haben wir doch nicht alles falsch gemacht. Und der Geist der Weihnacht wehte uns an. Und als wollte die Stadt Berlin das Familienglück perfekt machen, lag heute auch mein neuer Reisepass auf dem Bürgeramt, als ich auf dem Weg nach Hause auf gut Glück dort vorbei schaute. Auf dass ich auch bald nach China fliegen darf, das Töchterchen zu besuchen. Hat nur zwei Monate gedauert. Da kann man nicht meckern.
Aber das mit dem Glück ist ja eine seltsame Sache. Hat man viel davon, will man noch mehr, will ausprobieren, wie weit die Glückssträhne reicht. Und leicht gerät man dabei in Gefahr, die Gunst der Götter zu verspielen, zu viel zu wagen und sich in die tiefste Verzweiflung zu stürzen. Das hätte ich wissen müssen, als ich das Geschäft für Anglerbedarf betrat, das plötzlich ganz unvermutet an meinem Weg zur U-Bahn lag. „Fishermans Friend“ stand über der Tür und schon dieser anbiederende, vertrauensheischende Name hätte mich mißtrauisch machen müssen. Doch ich war beschwingt vom fröhlichen Tag, sorglos und genau in der richtigen Stimmung, das größte Problem meines bisherigen Lebens zu lösen: Eine Jacke zu finden, in der ich mich wohlfühle. Nun, um zu erklären, warum ich mich damit so schwer tue und warum ich dieses Kleidungsstück ausgerechnet in einem Fischerladen suchte, müsste ich weit ausholen, müsste Bilder heraufbeschwören von fröstelnden Kindern im Regen in einer Neubausiedlung der 60er Jahre, von Kindern die trugen, was alle Kinder damals trugen: Annoraks. Und diese Kinder froren, wenn sie den ganzen tag draußen spielten, denn diese dämlichen Nylonjacken waren alles, nur nicht warm und wasserdicht. Deshalb war es, seit ich meine Kleidung selbst kaufen durfte, immer mein Ziel, eine in allen Jaheszeiten tragbare, wasserdichte Jacke zu besitzen. Kindertraumata sitzen tief. Ich hab alles ausprobiert: Ostfriesennerze (gehen nur bei Anti-Atomkraft-Demos) Seemannsjacken aus dicker Wolle (saugen sich voll und werden bleischwer), englische Lederjacken (total cool, aber halten nur englischen Regen aus), Bundeswehrparkas (grün und blau trägt jede Sau), Lodenjanker (politisch nicht korrekt) Wachstuchjacken (siehe Lederjacken, englische; reichten für eine schöne Lungenentzündung) und amerikanische Arbeiterjacken (man wird nass von innen und außen). Am liebsten hatte ich eine graue tibetische Filzjacke, die mir ein Freund aus Indien mitbrachte. Aber da war meine Müsli-Zeit schon vorbei und ich wollte mich nicht zum Gespött der Leute machen. Neidisch schaute ich auf meine Freunde, die die Jackenfrage völlig undogmatisch angingen, sich im Sommer eine leichte Baumwolljacke anzogen und sich einen Teufel darum scherten, ob sie vielleicht mal von einem Schauer überrascht würden. Da würde ich nie hinkommen. Ich brauchte eine andere Lösung. Mein Schwager war es, der mich auf einen schwedischen Wunderstoff aufmerksam machte, teils Baumwolle, teils Polyester, der leicht und wasserabweisend sein sollte. Manchmal würde man Army-Shops Jacken der schwedischen Armee finden, die aus diesem Material wären.
Und genau das versprach mir der Angler-Laden heute. Ausgemusterte Armeekleidung. Und weil heute mein Glückstag war, gab es tatsächlich schwedische Jacken dort. Nicht in verwaschenem olivgrün, sondern fabrikneu in einem wunderbaren satten waldwiesengrün. Schlank geschnitten, nicht ganz meine Größe, aber wenn ich die Knöpfe etwas nach innen versetzte und keinen Pullover drunterzog… Meine Sommer-Jacke! Ich war wie berauscht. Die Jacke hatte mich gefunden! Natürlich gab in dem Angler-Laden keinen Spiegel. Und deshalb konnte ich es kaum erwarten, den Treffer zu Hause anzuprobieren. Ich drehte mich vor dem Spiegel und wusste sofort, dass ich mein Glück mich blind gemacht hatte: Ich hatte übersehen, dass die Schweden auf die Rückseite zwei riesige Taschen aufgesetzt hatten. Für Munition, für Proviant, für erlegte Hasen – was weiß ich. Das sah aus wie Schwalbenschwänze – vorbei mit dem Glück, vorbei mit der Freude auf den Sommer.
Ich war traurig, verfluchte meinen unbedachten Kauf – dann machte kurz Klick im Kopf, und die Freude war wieder da: Das ist die ideale Traveller-Jacke! Das wird meine Reise-Jacke für China! Da schert sich keiner um seltsame Europäer. Und meine Tochter ist meine komischen Outfits schon gewohnt. In eine der Taschen tue ich eine DVD von „Toni Erdmann“. Die gucken wir uns dann zusammen an, damit sie weiß, was sie an ihrem skurilen Alten hat.
Man soll Geschenke nehmen, wie sie kommen. Froh sein und nicht fragen. Eher sollte man sie tragen wie Orden. So ähnlich, jedenfalls. Unter dem Strich eine wahrhaft schöne Bescherung für Dich (was man vom russischen Botschafter, dem Piloten der Aeroflott-Mascnine und andern auf dieser unserer Welt wohl nicht behaupten kann).
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Zwei Taschen auf der Hinterseite taugen gut für Kartenmaterial und einen kleinen Reiseführer für unterwegs 😉 LG Annette
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