Comfortly numb

Wenigstens Aldi bleibt zuversichtlich. Wenn sogar Aldi Nord und Aldi Süd zusammen arbeiten können, dann sollte es doch auch woanders klappen. Das Schild sehe ich auf dem Parkplatz, der der Treffpunkt der Autofahrer in der Vorstadtsiedlung ist. Mehr kriege ich von der Weltpolitik gerade auch nicht mit. Nach 14 Tagen Kinderkram und Teenagergeheule im Eigenheim kam gestern meine Ablösung im silbernen Audi hereingeschwebt: Die Schwiegermutter übernimmt meinen Part als „bad guy“ im Haus der Mutter meiner Kinder.
14 Tage im Morgengrauen drei Jungs aus den Betten werfen, die natürlich bis in die Nacht Bücher gelesen/Radio gehört/Handy gespielt haben, die ich nicht rechtzeitig unter ihren Kopfkissen/Matratzen/Schlafanzughosen gefunden habe, dazwischen ein bisschen Homeoffice und die kranke Mutter zum Arzt fahren, ein bisschen über Pädagogik streiten und über die Frage, ob das jetzt Pubertät oder seelische Erkrankung ist. Ein bisschen Einkaufen und der Versuch eines gemeinsamen Abendessens, der meist scheitert. Danach dann Posten beziehen vor den Kinderzimmer, dass nicht wieder einer ins Bad abhaut, und auf dem Klo sein Handy rausholt, oder bei der Mutter unten Drama macht (um das weggenommene Handy wieder zu kriegen). Dazwischen Einlagen in Freistil-Ringen zwischen mir und zwei 13-Jährigen. Zwei Mal 13 gegen ein Mal 63, das geht nicht gut, das wird laut, abends um 10 oder 11. Und danach noch ein müdes Gespräch zwischen den Eltern. Und dann lange kein Schlaf. Zum Glück hat mir der Arzt „Fathers Little Helpers“ verschrieben, damit ich wenigstens ein paar Stunden die Augen zu machen kann.

Jetzt wieder in Berlin. Bis in die Puppen geschlafen. Der Kopf ist leer. So leer, dass ich mir nicht vorstellen kann, noch mal einen klaren Gedanken zu fassen. Kein unangenehmes Gefühl, wenn man nichts vorhat. Um drei Uhr wenigstens einmal raus auf die Straße. Und an dem, was ich mache, merke ich, was mir gefehlt hat. Einmal zu Tobis Backwaren, einer Bäckerei mit 60er Jahre Einrichtung, die jetzt von einem munteren türkischen Paar geführt wird. Der junge Chef ist ein lustiger Alleinunterhalter, der einfache, laute Sätze macht und spielend von Deutsch ins Türkische wechselt, mit einer Kundin flirtet, seine Frau, deren grünes Kopftuch alles andere als züchtig um den Kopf drapiert ist, in den Arm dabei nimmt und als ein stark schwäbelnder Gast meckert: „Noch einen Cappucino bitte. Der erste war ein bisschen klein!“ kontert er lachend: „Der war zu gut! Den haben sie zu schnell getrunken.“ Dann dackele ich weiter zum City Kino. Die letzten Monate habe ich „Mufasa – König der Löwen“ und „Sonic, the Hedgehog 3“ und viele YouTube-Clips mit Fußballsongs sehen müssen. Deshalb wäre Art House Kino jetzt mal wieder schön, aber jenseits meiner Auffassungsfähigkeit. Die Einladung zur Berlinale hab ich ungenutzt zurückgegeben. Neben dem Kino ist eine Telefonzelle, die zur Bücherbox umgebaut wurde. Dort setze ich mit einem alten dtv-Bändchen: Der Jesus -Prozess. Ein bisschen Verschwörungstheorie geht immer. Sonst lese ich nur noch Krimis. Die Bücherbox ist rege besucht am Sonntagnachmittag. Menschen meines Alters grüßen mich freundlich, geben sich höflich die Klapptüre in die Hand und ich frage mich, was sie gerade von dem müden Mann auf der Bank denken, in seinem blauen Marine-Parka und der ollen Jeans mit dem vergilbten Bändchen in der Hand. Aber auch der Gedanke bleibt nur kurz im leeren Hirn hängen. Als ich nach Hause komme, stellt meine Nachbarin zwei Flachbildschirme in den Flur. Die Großmutter, von der sie den alten Mietvertrag von 1956 übernommen hat (640 Euro brutto kalt), ist im Altersheim gestorben. Jetzt habe ich nach 10 Jahren wieder einen Fernseher, geschenkt! Vielleicht kommen meine Jungs dann wieder mal zu mir, um Sportschau zu gucken.