Der Zaun

Eigentlich haben wir es schön. Wer hat schon in Berlin einen so großen Garten, wie ihn unser Häuserblock umschließt? Nicht so einen dämmerigen Lichtschacht wo sich Mülltonnen und Fahrräder den Platz streitig machen und ein paar mickrige Kletterpflanzen auf der Suche nach Licht nicht über den ersten Stock hochkommen. Nein, ein halbes Fußballfeld, Wiese, riesige alte Bäume, sogar einen Sandkasten für die Kinder. Doch dann wurde der halbe Block verkauft, an eine Immobiliengesellschaft, die das Brandenburger Tor im Briefkopf trägt und auf ihre hundertjährige Tradition verweist. Und dann kam der Zaun. Grün, stabil und mannshoch teilte er den Garten in der Mitte. Aber immerhin gab es noch eine Tür. Als ich einzog, war die Tür noch auf. Aber die Welten hatten sich schon getrennt. Bei uns nur deutsche Nachnamen auf dem Klingelschild auf der anderen Seite, Namen aus Tausend und einer Nacht. Auf der einen Seite sah man Frauen mit Kopftuch Wäsche aufhängen und halbwüchsige Jungs wild Fußball spielen oder apathisch abhängen. Auf unserer Seite: Leere. Ab und zu mal ein paar Nachbarn, die ihren Hund ausführten und die Gärtnerin aus dem Erdgeschoss, die sich in dem Erdstreifen unter ihrem Balkon ein üppiges Blumenparadies geschaffen hatte. Eimal flog ein Fußball über den Zaun. Dann waren sie da. Drei freche Dreikäsehoch mit lockigen schwarzen Haaren, vielleicht zehn Jahre alt, die von mir und meinen Jungs den Ball wieder haben wollten. Vielleicht, dachte ich, wären es gute Spielkameraden für meine Jungs, die damals nur halb so alt waren. Deswegen fragte ich sie nach ihrem Namen. Ich verstand sie nicht, deswegen ließ ich sie ihre Namen auf einen Zettel schreiben. Krakelige, ungelenke Buchstaben. Ein Name fing mit einem X an. Schöner Name, sagte ich. Sie prahlen mit ihren Fußballtricks. Ich ließ es auf ein Spiel ankommen. Nach fünf Minuten waren meine Jungs überrannt, nölten und wollten nicht mehr mitspielen. Als sich die drei wieder hinter ihren Zaun trollten, sagte einer: „Ich würd mir wünschen, dass mein Vater auch mal mit mit Fussball spielt.“

Ein paar Monate später war die Tür zugeschweißt. Es sei wegen dem Müll, erzählte mir die Nachbarin, die alles weiß. Die Hausverwaltungen hätten sich in die Haare gekriegt. Angeblich würde unsere Seite ihren Sperrmüll heimlich auf die andere Seite bringen, dort wo sich immer wieder ganze Zimmergarnituren neben den Mülleimern ablagerten. Blöd für uns. Denn auf der anderen Seite ist das Tor, durch das man von außen in den Garten kommt. Jetzt können die Gärtner nicht mehr mit dem Rasentraktor rein, sondern müssen einen kleinen Handrasemäher durchs Treppenhaus tragen, und statt großen Containern stehen seither kleine Mülleimer bei uns, die mehr kosten. Am Sperrmüll auf der anderen Seite hat sich nichts geändert. Vielleicht werfen ihn die unseren jetzt nachts einfach über den Zaun.

X habe ich noch ein paar mal wieder gesehen. Jedesmal leuchteten seine Augen. Stolz präsentierte er mir sein neues Fahrrad, so ein Angeberding, mit viel Chrom und vielen Speichen. Schön, sagte ich. Beim letzten Mal hat er mich nicht mehr angeschaut. Er war mit ein paar Kumpels auf der Straße. Er ist jetzt 14 oder 15. Vielleicht war es ihm peinlich, einen so alten Mann zu kennen.

10 Gedanken zu “Der Zaun

  1. Ich habe so viele Analysen über das Zusammenleben gelesen, so viel über Integration. Ihr kleiner sehr lebhafter Text lieber Kafka stellt das alles in den Schatten, ganz einfach und ganz bildlich. Und leider sehr sehr traurig.

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    • Danke. Ja, das ist traurig. Die Welten hier leben getrennt. Dazu braucht es keinen Zaun. Man trifft sich nur im Gemüseladen oder auf der Straße. Und die wichtigste Diskussion unter den deutschen Eltern: Wie kriege ich mein Kind auf eine Schule, auf der nicht so viele Ausländer sind?

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  2. Wie schade…Es könnte alles so einfach sein, isses aber nicht.
    Erzählt mir ein Saunagast, dass seine hochintelligente Mutter sich weigert, Deutsch zu lernen. Aus Prinzip. Aber als der Doktor eine ihr ungenehme Diagnose stellte, „machte sie ihn in lupenreinem Deutsch fertig „, protzte er. Ich biss mir auf die Zunge und sagte aus Höflichkeit nicht, dass ich Leute, die sich aus Prinzip weigern die Sprache ihres Heimatlandes lernen zu wollen, strunzdumm finde. Nichts baut bessere Brücken als ein gelegentlicher Schnack übern Kulturgrenzzaun, oder? Hätte ich gerne gesagt, doch schwieg nachdenklich und dachte: Deine Mutter.
    Mit meiner türkischen Nachbarin ganz anders: jeden Abend Gartenschnack, Frauensachen usw. Wir redeten über Religion, Kopftuchaversion, Kopftuchgründe, tauschten Gebratenes griechisches Zitronenhuhn gegen gebratene knusprige Sardellen, lernten voneinander, stießen an Vorurteilsgrenzen und klopften unsere Religionen nach Ähnlichkeiten ab. Sie lehrte mich Türkischbröckchen, ich brachte ihren Sohn in Englisch weiter, schleifte ihn zum Laternesingen mit. Zwei ganz normale Familien mit ähnlichen Verhaltensmustern, nur unterschiedlichen Glaubensausrichtungen. Noch nie zuvor erhielt ich so tiefe Einblicke in eine muslimische Familie. Da wollte ich an das Gelingen der Integration glauben. Aber es gehören zwei dazu und auch Vertrauen. Und das fehlt viel zu oft auf beiden Seiten.
    Famoser Text.
    Danke…
    Liebe Grüße
    Amélie

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  3. Eine Geschichte über Menschen, die ihre Rechtecke verkleinern, in denen sie ihre inneren Zäune nach außen bringen. Wie traurig das doch immer wieder ist!

    Dabei aber fiel mir ein Bild ein: als ich vor vielen Jahren durch die Straßen einer kleinen Straße ging, schaute ich in einen Innenhof, dort saßen viele türkische Frauen – jung und alt und mittig – im Kreis, jede mit einer Handarbeit beschäftigt. Sie tratschten und lachten miteinander. Mir gefiel das. Sehr! Und ich erinnerte mich damals, dass in meiner Kindheit noch viele Menschen gen Abend mit ihren Stühlen oder auf Bänken vor ihren Häusern saßen und miteinander schwatzten. Alles vorbei. Jede und jeder in und vor ihrem Kasterl.

    Herziche Grüße, Ulli

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    • Ja, vorbei. Auch weil wir uns nicht mehr dazu gesetzt haben. Wir wollten raus aus dem Dorftratsch, rein in die freien aber anonymen Städte. Hier in Berlin setze ich mich abends manchmal vor die Haustür, einfach so, weil ich den Tag im Freien unter Leuten ausklingen lassen will. Die meisten Passanten finden das verwirrend. Manche grüßen und ein schwäbisches Touristenpaar fragte: „Geht es ihnen gut?“

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