Zäh wie Leder…

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Schön, wenn zum eintönigen Arbeitsalltag auch mal ein Auftrag gehört, der einen mitten ins Ruhrgebiet bringt. Nach Essen zu ThyssenKrupp. Krupp! Unglaubliche Bilderwelten tun sich da auf. Adolf Menzels Bild vom Stahlwerk aus meinem Geschichtsbuch, Sozialistischer Realismus: „Golden fließt der Stahl“, „Die Aura der Schmelzer“, „Wie der Stahl gehärtet wurde“- und natürlich Kanonen, „Dicke Berta“ und so. Mein Gott, was habe ich mir in meiner Industrie-Nostalgie alles in den Kopf gezogen. Und ja, das alles gibt es noch in Essen: Da rackern sie noch mit der feurigen Ursuppe des Kapitalismus, da sprühen die Funken, da schafft der menschliche Wille neue Werke: In Bronze gegossen stehen die Arbeiter da. Als Relief gegenüber der Straßenbahnhaltestelle „ThyssenKrupp“.  Und danach kommt erst mal nix als grüne Wiese. Da wo früher aus Koks, Erz und Männerschweiß der Stahl entstand steht jetzt auf freier Fläche ein nagelneuer Bürokomplex in den gebügelte Büromenschen emsig ein und aus gehen. Ich hinterdrein.

Und dann geht es den ganzen Tag um nix anderes als um das bisschen Stahl, das in Deutschland noch produziert wird- nicht in Essen sondern in Duisburg (ja, ja, Horst Schimanski, der war auch so ein Kumpel und Männerideal)  und wie man den Rest rettet vor den Indern und Chinesen. Und natürlich um die Stahlarbeiter. Die paar Tausend, die es noch gibt, müssen mal wieder Angst haben, dass sie noch weniger werden, müssen mal wieder die Autobahnen besetzen, wie damals in Rheinhausen. Alles keine schönen Aussichten.

Betrübt fahre ich zu meinem Hotel am Bahnhof. Herbert Grönemeyer singt in meinem Bauch „Komms du vonner Schicht, gibt wat besseres nich als Currywurst“ . Ja, könnt ich jetzt eine gebrauchen. Bei Thyssen gab es vegetarische Wraps. Aber auch die Arbeiterwurst hat die Krise wohl nicht  überlebt. Hier haben die Türken übernommen. Ich sehe nur noch Döner-Buden. Zurück zu den Schnöseln an der Hotel-Bar will ich aber auch nicht. Ich finde einen Spätverkauf, der ein paar Tische in die Fußgängerzone gestellt hat, fische mir ein Bier aus dem Kühlregal und beschließe so den Tag zu beschließen. Allein: Die Flasche hat einen Kronkorken (ThyssenKrupp Verpackungsstahl, Werk Andernach) und ich weiß nicht, wie ich ihn aufkriegen soll. Den weltfernen Studenten, der hier die Kasse bedient, brauche ich erst gar nicht nach einem Öffner zu fragen. Die üblichen Männer-Utensilien, mit dem man alles hinkriegt (Feuerzeug, Schweizermesser, 17er Schlüssel) habe ich gegen ein Telefon getauscht, das alles kann -nur das nicht. Aber der Kumpel neben mir, der mit den verfilzten Haaren, dem metallisch stinkenden Trainingsanzug, der fünf leere Bierdosen auf den Thresen legt, der wird mir doch weiter helfen können. Auf meine Frage nimmt er wortlos meine Flasche, haut seine Zähne in den Kronkorken und biegt Zacke um Zacke nach oben. Als er zwischendrin abrutscht setzt er nochmal an. Er wills mir beweisen und er kriegt es auch hin. Stolz reicht er mir mein Bier. Wir gehen gemeinsam auf die Straße. Er winkt zufrieden grunzend zum Abschied. Ich wische mit der Hand seinen Sabber vom Flaschenhals  und nehme einen satten Schluck.

Die verstehen was vom Stahl, hier in Essen.

9 Gedanken zu “Zäh wie Leder…

  1. …hart wie Kruppstahl, schnell wie Windhunde. Das ist ein Spruch den die Nazis damals propagiert hatten und an den viel zu viele noch bis weit in die 60er Jahre des letzten Jahrtausends geglaubt haben. Da musste der Himmel über der Ruhr blau werden. Denn da begann unwiederuflich das Zechensterben (nicht nur an der Ruhr). Alles hängt mit allem irgendwie zusammen.

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  2. Essener Hof, Handelshof oder Ibis – welches war’s? Oder eins von denen weiter runter Richtung Schützenbahn (da soll gefährlich sein mittlerweile, dauernd Drogenrazzien.) Wenn ich nicht total fehlgeleitet bin taugt in der Innenstadt abends wenigstens die kleine Pizzeria gegenüber der Theaterpassage. Nützt dir jetzt aber auch nichts mehr, oder?

    (Mein Großvater war Kumpel auf Emil Emscher.)

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      • Ausgerechnet das sagt mir jetzt gar nichts (oder wurde das Ibis umgemodelt?) Von der Barbeschreibung wäre ich jetzt im Kopf beim Handelhof gewesen. Wo du mittags gut essen können sollst – wenn du nochmal hin müssen solltest und die Zeit hast – ist beim CVJM in der Hindenburgstraße. Gehst/fährst du die Hachestraße, das ist die am Hbf von Handelhof weg auf die Post zu (Sichtrichtung meine ich jetzt) bis Ende (?), jedenfalls große Kreuzung und dann rechts. Ziemlich weit durch, hinter der Herrhausen-Brücke (die ist auf Höhe Sanitätshaus Luttermann), aber noch vor dem Cinemaxx und dem Einkaufszentrum, linker Hand, ist groß angeschlagen. Die bieten Mittagsmenü von den Bewohnern gekocht an. Soll gut sein, ist auch wenn ich heutzutage da vorbei muss immer voll. Ich habe zwar selten, aber gelegentlich noch in Essen zu tun und hinter der Herrhausen-Brücke ist das ganze Süchtigen- und Suchthilfegedöns etc., von daher kann ich mich da noch orientieren.

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  3. Schöne Geschichte , fast aus meiner alten Nachbarschaft (Dortmund Marten, genau zwischen Bochum und Dortmund) Ruhrgebietsplattdeutsch und echte Typen, einige Zechen arbeiteten noch und das Stahlwerk in Dortmund verpestete noch die Luft …alles war irgendwie grau-braun , auch die Leute so ab 40…die jüngeren hingegen schreiend bunt angezogen…heute gibts dort kein Stahlwerk mehr sondern einen See mit hübschen Häuschen drumherum und blauem Himmel und alle fahren silberne Autos…irgendwie so wie überall…das ist der Fortschritt ?
    LG Jürgen

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    • Na, und ob. die dreckigen Stahlwerke stehen jetzt in China. Ich erinnere mich an Willi, den Vater eines Schulfreundes, der bei Thyssen im Walzwerk arbeitete. Irgendwann Ende der 70er war er dann weg und baute die alte Anlage in China wieder auf. Wurde damals sehr belächelt.

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