Friede, Freude, Götterfunken

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Ach, es ist doch schön, wenn die Welt mal wieder in Ordnung ist – und seis nur auf dem Berliner Gendarmenmarkt. Die Sonne scheint, die Fahnen wehen. Gepflegte, gebildete und gut gekleidete Menschen treffen sich zwischen klassischen Musentempeln  und singen gemeinsam die Ode an die Freude – und das schon seit sieben Sonntagen. Seit drei Wochen bin ich dabei. Kein Wunder, dass  die Fremdenhasser und Europaspalter in Scharen zu uns überlaufen. In den Niederlanden eine Schlappe für Wilders, im Saarland schlappe 7 Prozent für die AfD. Das sind doch klare Erfolge. Wer kann schon dem Charme einer Französin widerstehen, die von den Stufen des Konzerthauses Geschichten aus ihrer Deutsch-Französischen Ehe preisgibt (dass ihr Vater beim ersten gemeinsamen  Badeurlaub geschockt war von der deutschen Freikörperkultur, aber sich dann seiner Badehose entledigte mit den Worten „Pour l’honeur de la France“). Oder den Klängen von Giora Friedman, der vergangenen Sonntag spielte, als es aus Kannen goss und er uns aufmunterte „I never played in front of so many umbrellas.“ Ja, schön ist das, wenn alle das Gute, Wahre und Schöne  wollen. Und Freiheit und Frieden.

Und dann wird mir von den edlen Reden schlecht, wie von zu viel gutem Kuchen. Ich klettere den Französischen Dom hoch und bringe 30 Meter Höhenluft und 100 Stufen zwischen mich und meine Völkerfreunde. Von oben sieht es dann wieder sehr bewegend aus und ich atme durch. Denke an all den Spaß, den ich vor 10 Jahren hatte, als ich eine irische EU-Delegation betreut habe und vergesse den ganzen Abstimmungsirrsinn, der damit zusammen hing.

Ich bin rechtzeitig wieder unten, als die Fanfaren der Eurovision erklingen. Das finde ich nun sehr geschickt gemacht von den Veranstaltern des „Pulse of Europe“. Man kann ja von Brüssel halten was man will, aber gemeinsam Fernseh gucken, das will sich doch keiner nehmen lassen. „Spiel ohne Grenzen“ war einer der Höhepunkte meiner Jugend. Da dufte die ganze Familie lachen, wenn  Franzosen wie Engländer auf Schmierseife in Wasserbecken ausrutschten. Das war die Zeit, als der Eurovision Song Contest noch „Grand Prix d‘ Eurovision de la Chanson“ hieß.  Und wenn nach der Eurovisions-Fanfare „Aktenzeichen XY“ begann mit der Frage „Hallo Wien?, hallo Zürich? Da merkte ich: Europa ist groß, aber mit der modernen Technik mit einer allwissenden Einrichtung, die Interpol heißt, die manchmal sogar bis in die ferne Stadt Wien kommt, werden wir alle Verbrecher fangen.

Ach, Europa! Ich spanne meinen himmelblauen Schirm auf, auf dem EU 2007.de steht, damit mich meine Freunde wiederfinden. Die richtige Europahymne wird angestimmt, wir singen bis zur zweiten Strophe. Und dann bin ich auf einmal traurig: Denn die heißt am Ende:

Ja, wer auch nur eine Seele

sein nennt auf dem Erdenrund

und wer’s nie gekonnt hat stehle

weinend sich aus diesem Bund.

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Also: Europa ist was zum Party machen. Und wer nicht dazu gehört, wer nicht mitfeiern will, der soll draußen bleiben? Mit etwas an Brüssel geschultem Feinsinn beruhige ich mich: Der Text der Ode ist ja nie offiziell Teil der Hymne Europas geworden. Aber der Eindruck bleibt: Ein bisschen viel Erasmus-Stipendiaten hier, die sich ihrer schönen Zeiten erinnern. Bitte keine Zweifel. Alles freundliche, aufgeschlossene Leute. Für sie ist Europa ein Lebensraum. Mit Pulse of Europe kommt davon zum ersten Mal etwas dieser sich selbst genügenden Welt der professionellen Europäer an die Öffentlichkeit. Das ist schön. Aber es kommt nicht über den Gendarmenmarkt hinaus. Ich stelle mir die Veranstaltung gerade mal in Marzahn oder in Neukölln vor. Das würde wirken wie eine Sekte.

 

 

4 Gedanken zu “Friede, Freude, Götterfunken

  1. Ich bin klar für ein Europa ohne Grenzen, aber „pulse of Europe“ wurde von Leuten gegründet, die prächtig an neoliberalen Projekten wie z.B. dem Verramschen öffentlicher Güter verdient.

    Und man sollte nicht vergessen, dass die EU Bürokratie teilweise klar gegen die Interessen der Bürger agiert (wie z.B. bei den sog. Freihandelsabkommen)

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    • Ja, der Politik der EU fehlt das Soziale. Mal abgesehen von den. Milliarden Euro, die über den europäischen Sozialfonds verteilt werden. Aber ich bin trotzdem dafür, sie gegen rechte Hetzer zu verteidigen.

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