Falsche Friedensfreunde?

War es doch die falsche Demo? Endlich hatte ich mich samstagmorgens durchgerungen, gegen den Krieg auf die Straße zu gehen, da kriege ich abends von den Nachrichten um die Ohren gehauen, dass da die falschen Leute waren. Doch wieder falsch gemacht?
Ja, so richtig wohlgefühlt habe ich mich nicht bei der Demo, zu der Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer aufgerufen hatten. „Überwiegend lebensältere Menschen“ waren da, sagen die Nachrichten und soweit teile ich die Einschätzung. Überwiegend alte Männer, würde ich ergänzen. Die alten Meckerköppe, Besserwisser und sonstige Graubärte. Ein bisschen wie auf der Rosa-Luxemburg-Demo Ende Januar. Es wurde die linke Zeitung „Junge Welt“ verteilt, deren Schlagzeilen so jung sind wie die Männer um mich herum. Es fehlten nur die Kirchenleute, und es hätte es ein Klassentreffen meiner Generation sein können, die ‘83 in Bonn im Hofgarten für atomare Abrüstung demonstriert hat. Viele Fahnen mit Friedenstauben und die einzige Parole, die von den meisten mitgerufen wurde war „Frieden schaffen ohne Waffen“. Wie damals. Aber damals war Frieden – oder zumindest kein heißer Krieg in Europa. Es ging es darum, dass die Regierungen glaubten, dass der Frieden nur durch immer stärkere und immer mehr atomare Waffen erhalten werden konnte. Heute ist es vorbei mit dem Frieden. Russland hat die Ukraine überfallen. Und da klingt das schräg. „Wenn man angegriffen wird, und sich nicht wehrt, dann ist das kein Frieden sondern Besatzung.“, steht auf einem der vielen Mahnmale vor der russischen Botschaft. Ganz ehrlich: Ich bin froh, dass die Ukraine erfolgreich Widerstand geleistet hat. Denn nur deshalb kann ich mir jetzt auf der Straße unter den Linden einen zerstörten russischen Panzer anschauen. Und irgendjemand hat sogar daran gedacht an den Panzerketten ein Schild und Kerzen aufzustellen „Wir trauern um alle Toten des Krieges“. Denn auch wenn ich froh bin, dass der Panzer es nur als Schrotthaufen nach Berlin geschafft hat: In dem Schrotthaufen sind auch Menschen gestorben. Russen.
Auf der Kundgebung später sehe ich auch noch ein paar jüngere Menschen, mehr Frauen und weniger alte Zausel. Heftige Diskussionen: „Geht doch zurück in eure Scheiß-DDR!“, schreit ein sonnenbankgebräunter Mann in weißer Daunenjacke ein paar grau gekleidete Herren an. „Wenn für euch eh immer nur die Amis an allem Schuld sind.“ Tatsächlich konnte auch bei den Reden von der Bühne den Eindruck haben, dass es darum ging, die Rolle Amerikas zu kritisieren. Der Krieg habe schon 2013 angefangen, mit einer von der USA geplanten Entmachtung des ukrainischen Präsidenten Janukowitsch, wird da von einem US-Amerikanischen Professor steil behauptet. Das ist mir zu platt. Und endgültig abgehauen bin ich, als die Pfiffe kamen, gegen das Verbot, die Flaggen der Russischen Föderation zu zeigen – was aber nur wenige getan haben. Dafür gab es Deutschlandfahnen, was ich auf einer Friedensdemo noch nie gesehen habe. Und unter den Fahnen standen die Pfeifen. Und wenn man ganz genau hinschaute, dann waren bei einigen in das Schwarz-Rot-Gold ein Adler eingedruckt, ob’s der russische war, oder der des deutschen Kaisers konnte ich nicht erkennen. Das ist so die Art der Nazis, mit Verboten umzugehen. Warum er pfeife, frage ich einen feisten Mann in meinem Alter. „Darüber will ich nicht diskutieren.“, grinst er mich an und verschränkt die Arme. „Dann sind sie hier falsch“, gebe ich ihm zurück. Der will keinen Frieden, mit niemandem. Aber in Wirklichkeit bin ich hier falsch. Ich hätte ja auch gestern demonstrieren können, mit den Ukrainerinnen und Ukrainern. Aber ich will mich auch nicht unter die Fahne der Ukraine stellen, deren Vertreter von einem Siegfrieden auf der Krim träumen. Mich fröstelt. Ich gehe im Schneegestöber gegen den Strom der Demonstranten zurück. Vorbei gehe ich am sowjetischen Ehrenmal, an dem seit 1945 die Panzer stehen, die Berlin von den Nazis befreit haben. Viele Blumen liegen auch da. Rot und Weiß. Das ist der Krieg den ich kenne. Der Krieg, von dem meine Eltern erzählt haben. Ein Krieg, der vorbei war. Ich will keinen neuen.
Ich weiß es nicht. Wie schön war es doch, als man einfach für den Frieden sein konnte, ohne sich für eine Seite entscheiden zu müssen. Dass muss es doch noch irgendwo geben? Gestern Abend war ich auf einem Blues-Konzert in einer Kneipe. Auch was für alte Männer – aber für die Netten. Die Kneipe hieß „Idyll“.

20 Gedanken zu “Falsche Friedensfreunde?

    • Ich glaube, sie war genau da richtig, wo sie war. Das „Geht doch nach drüben“ nutzt nix. Wir müssen die Auseinandersetzungen bei uns führen. Aber vielleicht würde mir ein Besuch in der Ukraine bei der Meinungsbildung helfen.

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      • Ich glaube, so ein Besuch in der Ukraine kann tatsächlich helfen.
        Und zumindest im Westen des Landes ist es ja noch relativ sicher. (Ich war zuletzt im Juli 2022 in der Ukraine, hatte aber auch schon 2019/2020 längere Zeit dort verbracht.) Allerdings braucht man viel mehr Zeit als früher, weil weit weniger Busse und Züge fahren (sowohl das Personal als auch die Busse sind im Krieg) und weil nachts Ausgangssperre ist (außer in den Karpaten).

        Vielleicht das Wichtigste, was ich in der Ukraine gelernt habe, ist, dass die ethnischen oder ethnisch-linguistischen Zuschreibungen weitgehend irrelevant sind. Die meisten Leute sprechen Ukrainisch und Russisch und verwenden (bzw. verwendeten) beide Sprachen, je nach Gesprächspartner und Gesprächssituation. Trotzdem will niemand von Russland bombardiert werden.
        Ich war zB längere Zeit in Odessa, wo man mehr Russisch als Ukrainisch hörte. Aber trotzdem will dort fast niemand Teil Russlands werden, vor allem nicht durch Bombardierung. Ganz im Gegentum, die Menschen empfinden sich als Europäer, und nicht zu unrecht, wenn man Odessa sieht: https://andreas-moser.blog/2022/03/26/odessa/
        Zum Teil ist es auch eine Frage der Bildung. Manche Studiengänge wurden in der Sowjetunion nur auf Russisch und nicht auf Ukrainisch angeboten. Also sprechen die (älteren) Leute auf Russisch, wenn sie über Weltraumflug oder Bakteriologie sprechen, aber auf Ukrainisch, wenn sie kochen.
        Beim Schachspiel spricht man Russisch, beim Fußball Ukrainisch.

        Diese Idee aus dem Ausland, dass man irgendwelche Tabellen vergleichen kann, wer wo welche Sprache spricht und dann Gebiete zuteilt, das ist vorsintflutlich (wie noch zur Sudetenkrise oder bei anderen „Heim ins Reich“-Bewegungen), ignoriert die Mehrsprachigkeit der meisten Menschen in der Ukraine und übersieht, dass es auch andere identitätsstiftende Merkmale geben kann.

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      • Danke für den Beitrag aus eigener Erfahrung! Das mit dem „Nation-Building“ ist eine Frage, die mir auch durch den Kopf gegangen ist. In vielen europäischen Ländern ist das ja auch nicht so klar. z.B. in Belgien. In der Ukraine ist es wohl so, dass die Nation, die verteidigt werden soll, durch den Krieg erst geschaffen wurde. Ein wenig war es ja auch in Deutschland so durch den Kampf gegen Napoleon. Ich freue mich auf unser Gespräch.

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  1. Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, eine Demo bringt noch keinen Frieden. Aber ich wäre schon auch hingegangen, trotz Husten und Schnupfen, trotz der zu erwartenden vornehmzurückhaltenden oder höhnischen oder offen-aggressiven Kommentare, trotz der womöglich falschen Mitherumstehenden, trotz der unergiebigen Reden und der fehlenden musikalischen Anfeuerung, trotz Schneeregen und Zweifeln am Sinn. Aber 2000 km waren mir dann doch zu viel. Ich wäre hingegangen, weil mir auch nichts besseres eingefallen ist als Alice Schwarzer beim BILD-Interview (auch so eine alte Zauslerin wie ich): wie ist dies Schlachten zu stoppen?
    Ich frage im Ernst: Warum macht es die Ukraine nicht wie damals die Tschechoslowakei: sich in zwei Gebiete zu trennen und jeder geht friedlich seines Wegs? Oder jedenfalls wie Zypern, nicht ideal, aber immerhin fiel seit 1974 kein Schuss mehr… Oder meinetwegen auch wie Jugoslawien, das sich nach dem Gemetzel als 7 unabhängige Staaten wiederfand? Oder wie Kosovo und Serbien, auch nicht ideal, aber besser als…Oder wie Bosnien-Herzegowina … . Oder wie China und Taiwan. Es gibt so viele mögliche Wege, die besser sind als diese täglichen Hekatomben und das Ausprobieren neuer Waffensysteme, wenn die Restbestände der alten aufgebraucht wurden, verfeuert in die lebendigen Leiber von Menschen. Ich habe dies Geschrei, „es lebe die Ukraine“, so satt, während seine Menschen sterben. Die Grenzen wurden schon so oft verschoben, die Menschen leben nur einmal.
    Pardon, das wurde lang.

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    • Lang, aber ergiebig. Danke. Wenn ich die Analysen in den Öffentlich Rechtlichen und in meinem Wochenblatt lese( mehr mute ich mir momentan nicht zu), wird es irgendwann auf eine „Land gegen Frieden-Lösung“ hinauslaufen müssen. Aber es fehlt noch jemand, der das einfädelt und vermittelt. Schön ist das nicht, vor allem nicht für die Menschen, die in diesen Gebieten leben. Aber besseres alle anderen Aussichten.

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      • Bei jeder Lösung müssen die dort ansässigen Menschen gefragt werden, und keine Lösung darf verhindern, dass die Menschen ihre politische Vertretung auf demokratischem Wege durch Wahlen bestimmen. Das Instrument des Plebiszits unter internationaler Kontrolle wird doch auch sonst abgewandt. Warum nicht hier? Warum fragt man die Menschen nicht? Weil, so fürchte ich, um die Menschen gar nicht geht, sondern um Territorien, Rohstoffe, Handelsvorteile, Machtpositionen, Innenpolitik, Waffengeschäfte, Profite, Vertuschungen eigener Verbrechen….. Ich höre schon auf.

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    • Warum soll ein Teil der Ukrainer sich einer Diktatur unterwerfen?
      Noch dazu einer, die sie täglich bombardiert?

      Es geht doch nicht um die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Staat, sondern um die Wahl zwischen Demokratie (und europäischer Perspektive) und Diktatur (ohne jegliche europäische Perspektive auf absehbare Sicht).

      Deswegen ist auch die aktuelle Situation ganz anders als 2014. Damals hatte auch die Ukraine noch keine europäische Perspektive, und manche Ukrainer im Donbass dachten tatsächlich: „Na gut, dann gehören wir halt in Zukunft zu Russland. Da sind wenigstens die Renten höher.“
      Das hat sich mit der erfolgreichen Maidan-Revolution, mit den Reformen in der Ukraine, mit der Annäherung an die EU (Visumsfreiheit seit 2017) und vor allem mit dem fortgesetzten russischen Krieg vollkommen geändert.
      Wenn es 1992 oder 2014 vielleicht noch keine einheitliche ukrainische Nation gegeben hat (Und gibt es die in Deutschland? In Belgien? In Italien? Dürfen diese Länder deshalb angegriffen werden?), so gibt es sie jetzt.

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      • Ich denke, du bist nicht direkt betroffen, oder? Mein Vorschlag wäre, die Menschen zu fragen, die betroffen sind.
        Zur Frage der Bombardierung von Städten: Vorgestern sah ich einen Bericht aus der Krim, von einem amerikanischen Fernsehteam: die Brücke ist wieder intakt, die Menschen leben dort in Frieden, wenn Kiev und der Westen sie lässt. Die „Rückeroberungs“-Pläne würden sie in die Hölle stürzen.

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      • Opfer sind die Menschen. Auf sie möchte ich blicken. Auf sie kommt es an, nicht auf die großen Pläne der Mächtigen. Die kommen am Ende zum Halt. „Und gehn sie einher auch wie blutige Hähne, es wechseln die Zeiten, da hilft kein Gewalt“ (Bertold Brecht, Lied von der Moldau)

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      • Und im Jahr 2023 auf der Krim Leute zu befragen, was sie denken, ist schon ziemlich verlogen.
        Schließlich hat Russland seit 2014 die dort lebenden Ukrainer, Tartaren und jeden, der eine andere Meinung hat, vertrieben oder eingesperrt.

        Komischer Begriff von „Frieden“, den du da hast, während Russland sogar Innenpolitik wie Krieg betreibt.

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  2. Ich denke, wir (Mensch) haben alle Angst.
    Es ist eine neue Situation und ich ziehe vergleiche mit der Weimarer Republik, was meine Angst nicht gerade lindert.
    Ich denke nichtsdestotrotz, dass Putin nicht aufhören würde, wenn er nicht früh in die Schranken gewiesen wird. Auch, wenn wir das Geld sicher für andere Dinge nötiger bräuchten als für Rüstungsgüter, die anderen Dinge nützen uns nichts, wenn Putin an unsere Tür klopft.
    Ja, ich wünsche mir nichts mehr als Frieden, in der Ukraine genauso wie in Syrien und überall auf der Welt. Aber ist der ohne Waffen zu bekommen, solange es Diktatoren gibt? Ich weiss es nicht. Die Situation ist für uns neu, für unsere Eltern nicht. Können wir aus den Fehlern der Vergangenheit lernen?
    Es sieht wohl nicht so aus.
    Ich wünsche dir trotzdem einen schönen Sonntag. Ich dachte mir schon, dass du zur Demonstration gehst und habe mich über deinen sehr ehrlichen Bericht hier gefreut.
    LG Susanne

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  3. Dimitri Anatoljewitsch Medwedew / Wladimir Wladimirowitsch Putin / Dmitri Walerjewitsch Utkin / Wladimir Michailowitsch Gundjajew….Сергей Викторович Лавров

    Die Lektionen für den Kreml, der aus den historischen Erfahrung, durch Genozid an der eigenen Bevölkerung, unter Иосиф Виссарионович Сталин nichts gelernt hat. Stalins Genozid in der Ukraine: „Eine Wahrheit, die man jahrzehntelang zu vertuschen versuchte“ Der Genozid und der Terror in der Ukraine geht weiter.

    Die neoimperialen Angriffskriege des Kreml sind ein Verbrechen.

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  4. Es wird immer schwieriger, temporäre Idyllen zu finden. Nichts ist mehr eindeutig, nicht mal mehr die Friedensbewegung. Alte Heldinnen wie die Schwarzer sind schon lange vom Sockel. Manchmal wünsche ich mir meine Naivität der 80er-zurück, als man noch ganz unbefangen bei Friedensketten mitmachte und „Amis, go home“ brüllte. Weder die eine noch die andere Großmacht ist mir geheuer. Schwarzer und Wagenknecht auch nicht. Aber ziemlich eindeutig ist: Dieser Krieg ging von Putins Russland aus.

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