
Auf der Karte sah alles so einfach aus. Wein, Wasser, Sonne. Von Naumburg nach Nebra, den Unstrutradweg entlang. 25 Kilometer mit zwei Elfjährigen. Das müsste doch zu machen sein. Nein, sagten die Elfjährigen, nachdem wir eine flache Teststrecke an der Saale probiert hatten. Das sei zu anstrengend, die Leihräder zu schwer und überhaupt, warum wir nicht einfach noch eine Runde „Siedler von Catan“ im großen sozialistischen Speisesaal unserer Jugendherberge in Naumburg spielen wollten? Doch, entschied ich, Bewegung muss sein, Bildung auch und nachdem meine Söhne neugierig das Nietzsche-Haus erobert und dem Audio-Guide durch den Naumburger Dom gefolgt waren, sollte nun die Himmelsscheibe von Nebra das Highlight werden. Wie alles in diesem Urlaub wurde es ein Kompromiss: Mit dem Rad zum Bahnhof, Zwischenstation in der Eisdiele am Markt (die von Birgit Böllinger empfohlen worden war, und die der eigentliche Grund für unseren Aufenthalt war), weiter mit der Bahn. Als dann auf dem Weg zur Bahn bei mir die Kette absprang, unkte der Zwilling, für den das Glas immer halb leer ist, dass er doch recht gehabt hätte, und dass wir die ganze Geschichte lassen sollten. Das würde bestimmt nicht gut ausgehen. Natürlich sollte er nicht Recht behalten, aber das wollte er noch nicht einsehen. Wie hieß der Nieztsche-Spruch, neben dem mich meine Söhne fotografiert hatten? „Ich bin kein Mensch, ich bin Dynamit.“ Eben! Wenn die Aufklärung aller Geheimnisse des Sternenhimmels winkte, durfte kein Wagnis zu groß sein. Deshalb gab es ein Machtwort und wir fuhren los. Doch mehr noch als dem großen Denker ähnele ich Donald Duck, dem Comic-Helden meiner Söhne, dessen mit aufbrausendem Gemüt gefassten Basta-Beschlüsse meist im Chaos enden. Das Chaos begann mit einem Wort, das uns aus Berlin vertraut war: Schienenersatzverkehr. Irgendwo, weit vor Nebra, endete der Zug, den wir mit ukrainischen Familien mit riesigen Einkaufstüten teilten, Ersatzbusse warfen brummend ihre mächtigen Motoren an und wir schaukelten im Halbschlaf weiter an den verwaisten Bahnhöfen vorbei. Irgendwann hörte ich auf, sie zu zählen – und das war ein Fehler. Aus dem Augenwinkel sah ich noch das gelbe Schild mit dem roten Balken über dem Namen Nebra, als ich auch schon vorne beim Busfahrer stand und ihn fragte, wo er jetzt hinführe. „Ich Wangen“, antwortete er und ich verstand schnell, dass die Haltepunkte seiner Linie die wenigen Worte waren, die er auf Deutsch sagen konnte. Aber seine Gesten zeigten deutlich, dass er sich fragte „Ich hab doch alles richtig gemacht. Warum meckert wieder ein Deutscher an mir herum?“ Und dann tat er, was kein deutscher Busfahrer je gemacht hätte: Er hielt mitten auf der Strecke an. „Raus?“ fragte er. Raus! nickte ich und wanderte mit meinen Söhnen auf einer engen Straße zwischen engen Leitplanken eingeklemmt, von Autos gejagt zurück in die Stadt. Immerhin gab es wilde Mirabellen am Straßenrand. Wo es denn zur Himmelsscheibe gehe, fragte ich den einzig lebenden Menschen, der uns ohne Auto begegnete. Ach, sagte der, die sei gar nicht in Nebra, sondern in Wangen. Aber man könne dahin gut laufen, nur 4 Kilometer über den Radweg. „Weißt du überhaupt, in welche Richtung wir gehen müssen?“, fragten mich meine Söhne respektlos, als ich ihnen die Neuigkeit eröffnete. „Um ehrlich zu sein, nein.“, antwortete ich, „Aber ich würde sagen, in die Richtung, in die der Bus gefahren ist. Der wollte ja nach Wangen.“ Die Antwort war ein improvisierter Sitzsstreik auf dem menschenleeren Bahnhofsvorplatz von Nebra. Verzweifelte Anrufe ergaben, dass das einzige Taxi des Ortes gerade unterwegs war. Also blieb uns nichts anderes, als auf den nächsten Schienenersatzverkehr zu warten. Nach einer Stunde erschien der bekannte weiße Bus mir dem bekannten Fahrer. Erleichtert stiegen wir ein. Er würdigte uns keines Blickes, aber alles würde gut werden. Doch nachdem der Bus die Wendeschleife hinter dem Bahnhof gedreht hatte, fuhr er in die entgegengesetzte Richtung weiter -zurück nach Naumburg. „Halt, Halt!“, schrie ich nach vorne. Und wieder tat er, was kein deutscher Busfahrer getan hätte: Er hielt an. „Steht doch dran“, fluchte er, und verwies auf das kleine Schild in der Windschutzscheibe, das einen unbekannten Ort angab. Wahrscheinlich der, an dem wir aus dem Zug mussten. Aber er machte die Tür auf und wir standen wieder auf der Straße. Nur um zu sehen, dass der Bus in der richtigen Richtung gerade an uns vorbei fuhr. „Halt, Halt!“, schrie ich wieder und lief ihm mit winkenden Armen hinterher, Kinder und Anstand vergessend. Und wieder machte der Busfahrer, was kein deutsche Busfahrer getan hätte. Er hielt an, mitten auf der Brücke. „So geht das nicht!,“ knurrte er mich an, als ich außer Atem, mit meinen mir instinktiv hinterhergelaufenen Kindern den Bus betrat. Aber dann grinste er freundlich und hieß uns Platz zu nehmen. Als wir in Wangen ausstiegen, wollte ich ihm einen Fünfer in die Hand drücken, für seine Rettungsaktion. Freundlich lehnte er ab. Wo er herkomme, fragte ich ihn. „Aus Bulgarien“, antwortete er.
Meine Jungs waren ganz aufgekratzt und fröhlich. „Wenn wir mit Papa unterwegs sind, geht immer etwas schief.“, frohlockte der abenteuerlustigere unter den beiden. Zur „Arche Nebra“ mussten wir über eine Brücke, dann ging es dann noch mal einen Kilometer gut bergauf. Natürlich gab es in Wangen an der Busstation dazu kein Schild. Kein Mensch rechnete mit Besuchern, die mit dem Bus kommen. Aber wir sahen sie, das moderne goldene Gebäude, das über dem Dorf mitten auf einem Hügel thronte wie das himmlische Jerusalem. Dann sahen wir den großen Parkplatz und den Biergarten und den Rummel, der um die Himmelsscheibe gemacht wurde. Das war der einfachere Weg. Mit Auto und Navi. Das kann jeder. Wir aber waren auf dem rechten Weg, auf der Himmelsleiter, auf der der liebe Gott die Aufsteigenden ermuntert und den Ermattenden seine Hand reicht auf ihrem mühevollen Weg, der oft über Prüfungen und Umwege führt, sie dafür aber dann zielgenau in den Himmel bringt. Auch wenn man einen an der Scheibe hat.
Glücklich, wer auf seinen Irrfahrten Kinder und nicht den Ehemann motivieren muss, der eh nicht gern mitkommt und unterwegs immerzu wissen will, ob man weiß, wo es lang geht (was man tapfer mit Ja beantwortet ). Und der irgendwann stehen bleibt und streikt. 🤬 während man ihm doch eigentlich nur eine wunderbare Neuentdeckung zeigen wollte.
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Ich habe mich köstlich über deinen Bericht amüsiert, lieber Rolf. Diese Fahrt nach Nebra, auch nein, Wangen, werden due und deine Jungs bestimmt nie vergessen und sie wird in die Familiengeschichte eingehen. Ich hoffe, es hat sich gelohnt!
Einen schönen Sonntagabend von Susanne
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Solche wunderbaren, abenteuerlichen, chaotischen und ereignisreichen Erlebnisse vergisst man nie. Ganz bestimmt werdet ihr euch irgendwann in der Zukunft gerne und mit Lachen daran erinnern und ins Schwärmen geraten. Wie langweilig und öde hingegen doch eine Fahrt mit dem Auto plus Navi von A nach B ist.
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Alls well that ends well. Ich glaube auch die Busfahrer im Unstruttal werden noch lange von den dem Verrückten mit den Zwillingen erzählen😖
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Genau das ist es, was das Leben ausmacht.
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Was für ein schöner gesamteuropäischer Beitrag. Ich würde mir nur wünschen, dass auch deutsche Fahrer in näherer Zukunft bei euch die Busse zum Stehen bringen würden. Und sonst wäre ich einfach gerne dabei gewesen. Tolle Story.
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Lieber Oschlenkert, tatsächlich ist der Servicebereich auch im im Burgenlandkreis sehr international. Das bringt einen auch manchmal zur Verzweiflung. Aber „Von den Deutschen will ja keiner hier arbeiten.“, klagte eine Mitarbeiterin unserer Jugendherberge.
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Da fühl ich mich mit Tochter grad recht entspannt. Im klimatisierten Kleinbus mit Fahrer, wahrscheinlich zu irgendwelchen klimatisierten Einkaufszentren voll Glitzertand.
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sehr schönes erleben der gegend dank nur teilweiser information vorm starten. die bubne werden ewig an solche ausflüge denken und sich immer wieder am gelungenen tag erfreuen.
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Lieber Jupp, mit dir wär mir das nicht passiert. Dafür vieles andere. 😉
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[…] Herr Kafka ist auch wieder unterwegs. Er ist auf dem Weg zur Himmelsscheibe in Nebra. Dass das nicht einfach ist, stellt sich erst mit der Zeit raus. […]
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Herrlich! Und ich hoffe, ihr habt dann am Abend noch den sozialistischen Speisesaal mit „Stairways to heaven“ gerockt! Hat das Eis geschmeckt? Ich hoffe doch (die besten Sorten habe ich natürlich schon weggegessen)!
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Liebe Birgit, mit Deep Purple habe ich mich nach diesem Tag mit Kopfhörern in den Schlaf gerockt. Es war auch noch genug Eis da, um die Jungs zur Kultur zur bestechen. Wirklich sehr lecker. Danke nochmal für den Tipp. Das Nietzsche-Haus haben meine Jungs regelrecht gestürmt. Aber vor allem, weil sie wohl noch nie in so einem alten Haus waren. Die Dame am Empfang war sehr gerührt über den quirligen Besuch. Und ich hätte mir vorstellen können, auf der umrankten Veranda als Stadtschreiber von Naumburg zu residieren…
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Ich habe mich schon gewundert über die Nietzsche-Affinität der Jungs, aber wenn so ein altes Haus neu für sie war, dann erklärt sich das. Wegen der Veranda wäre ich aber vorsichtig: Die wurde ja angebaut, damit der bereits kranke Nietzsche wenigstens etwas Luft bekam, aber offenbar machte er dort ja auch lautstark seinem Wahnsinn Luft … wer weiß, ob da noch was in der Luft hängt … also, da würde ich eher eine Stadtschreiberstelle im Augsburger Brechthaus empfehlen, gutes Eis gibt es da auch, aber leider haben wir keine Stadtschreiber 🙂
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Die Birgit hat mich auf Deinen Beitrag hingewiesen. Ich lasse hier einfach mal Grüße aus Naumburg von einer „Arche Nebra“-Kennerin. Ja, die öffentlichen Verkehrsmittel sind hier nicht ganz so dolle und es gibt immer mal Probleme mit der Unstrutbahn. Aber die Region lohnt sich wirklich, gibt nämlich noch ganz viele Burgen zu entdecken und Kanu lässt sich hier auch prima fahren. Mit dem Wein wird’s dann bei Heranwachsenden etwas problematisch 😉 Viele Grüße
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Ich habe mitgefühlt und gegrinst!
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Die Himmlische Scheibe zeigt doch den Weg! Richtig herum halten sollte sie der Vater….
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Zum Glück hat unsere Reise zur Scheibe mich so lange gedauert, dass wir uns an den Sternen hätten orientieren können. 🤓
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Ein Hoch auf osteuropäische Busfahrer, die noch nicht die Standardantworten ihrer deutschen Kollegen auf solche Extrawünsche gelernt haben: „Wenn ich für jeden woanders halte, komme ich nie rechtzeitig an“ und „das geht aus versicherungsrechtlichen Gründen nicht“.
In Kanada kann man sogar mit der Eisenbahn unterwegs aussteigen, man muss nur rechtzeitig Bescheid geben. (Da sind allerdings auch die Haltestellen 200 km voneinander entfernt.)
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