I’ m still standing!

Es ist der 9. November. Gestern war ich auf einer „Mauerfallparty“ in einer Kleingartenanlage nahe der Bornholmer Brücke, da wo vor 36 Jahren die Mauer aufgegangen ist. Gemeinsam mit Ossis und Wessis habe ich zu alten Schlagern getanzt und noch mal „Zeit, die nie vergeht“ mitgejohlt. Ja, Bier gabs auch. Deswegen reibe mir die Augen, als ich heute morgen nicht weit weg davon, am Humboldhain plötzlich vor einem riesigen, goldglänzenden Gebäude stehe. „Das kann doch nicht wahr sein. Ist das Wirklichkeit, was ich hier sehe, oder bin ich in ein Zeitloch gefallen?“ Vor mir steht ein Wiedergänger: Der Palast der Republik, Erichs Lampenladen! In dunklen Kupfertönen glänzt die gerasterte Thermoverglasung, die sich wie ein Band um das ganze Gebäude zieht, hell leuchten die senkrechten Treppenhäuser aus Naturstein, die der Fassade etwas Aufstrebendes geben. Kein Zweifel: Er ist wieder da! Deutlich kleiner als früher (Liebling, ich habe den Palast geschrumpft), aber wie herübergebeamt vom Marx-Engels-Forum (heute Schlossplatz). Dieses Gebäude, dessen Ende 1990 beschlossen wurde, ist seit 2010 vom Erdboden verschwunden. Von Politikern zerredet, von Asbest verseucht wurde es von Baggern und Presslufthämmern endgültig aus der Geschichte entfernt. Kein Krümel Beton sollte mehr an ihn erinnern. Und doch ist er es, der hier vor mir steht, unverkennbar! Ein leichter Grusel überfällt mich. Totgesagte leben länger. Oder ist er gar nicht tot? Hat er heimlich „rübergemacht“ und Asyl im Westen bekommen? Vielleicht hat er sich auch der flehentlichen Klagen seiner Jünger, die sich derzeit unter dem fast schon religiösen Credo „Der Palast ist Gegenwart“ hinter der Stadtschlossfassade versammeln, erbarmt und ist aus dem Architekturhimmel wieder herabgestiegen. Aber warum ist er gerade im Wedding gelandet, in der Gustav-Meyer-Allee, gleich gegenüber dem Volkspark Humboldthain? Der Wedding war, nur die Älteren erinnern sich, schließlich ein Teil der „Frontstadt“ West-Berlin, lag direkt an der Berliner Mauer. Und West-Berliner waren, um es mal milde zu sagen, nicht gut zu sprechen auf Sachen, die aus dem Osten kamen. Jahrelang boykottierten sie zum Beispiel die S‑Bahn, nur weil sie von der DDR-Reichsbahn betrieben wurde. 

Das Rätsel lüftet sich ein wenig, als ich beim Berliner Zentrum für Industriekultur nachschaue. Der Bauherr dieses Palastes hieß nicht Erich, sondern Heinz, Heinz Nixdorf. Ein sehr erfolgreicher Computer-Pionier aus Paderborn. Und als solcher war er frei von West-Berliner Dünkeln. Nixdorf war ein begeisterter Anhänger der modernen Architektur, der Mies van der Rohe verehrte und persönlich traf. Und sein Paderborner Hausarchitekt Hans Mohr entwarf alle Nixdorf-Gebäude im transparenten „Internationalen Stil“. So auch die letzte Nixdorf-Produktionsstätte, gleich gegenüber den ehemaligen AEG-Werken von Peter Behrens, ebenfalls eine Architekturikone im Wedding. Der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen legte 1984, acht Jahre nach Eröffnung des Palastes der Republik, den Grundstein und redete etwas von Beginn des „Silikon Wedding“, woraus leider nichts wurde. Zur gleichen Zeit, als die DDR verschwand, verschwand auch die Nixdorf AG. Anfang der 1990er-Jahre ging Nixdorf mit Siemens zusammen. Und hinter den braunen „Schwedenglas“-Fenstern arbeitete die Verwaltung der Berliner Sparkasse. Jetzt steht er leer.

Doch nicht nur diese Äußerlichkeiten teilt der Weddinger Palast mit seinem verschwundenen großen Vorbild auf dem Schlossplatz. Bald könnte ihm ein ähnliches Schicksal blühen wie dem Volkshaus in Berlin-Mitte. Die  Investorengruppe Coros hat das Gelände gekauft, und will es „entwickeln“. Was für den Palast im Wedding ganz konkret den Abriss bedeuten soll.

Aber der Abrisstermin war 2024 und nichts ist passiert. Und jetzt steht er auf der Roten (!) Liste der bedrohten Gebäude. Vielleicht hilft ihm ja das aktuelle Revival der Post- und Ost-Moderne, dem ich dieses Jahr allerorten auf der Spur war. Dass ich einen so prächtigen und unversehrten Vertreter dieser Architekturgattung ausgerechnet in West-Berlin bei mir um die Ecke finde, freut mich natürlich um so mehr. Aber Coros hat sich noch nicht von seinen Plänen verabschiedet. Stolz präsentieren sie auf ihrer Website den Abschluss des Planungs- und Anhörungsverfahrens.

Also, um es mit einer Parole aus den 1980ern zu sagen: Besuchen Sie den Palast, solange er noch steht! 

Das Gelände in der Gustav-Meyer-Allee ist sehenswert und frei zugänglich.

Elefant im Raum

Klöster, Kirchen und Klösterkirchen. Im Burgund gibts davon so viele, dass brave katholische Bauern die grauen Gemäuer als Scheune benutzen.

Ein Frevel, den man sonst nur den gottlosen Sowjetkommunisten zugetraut hätte. Und gleichzeitig gibt es hier Städte, die aussehen als wären sie auf dem Reißbrett sozialistischer Planer entstanden. Diese Rotunde inmitten von Plattenbauten könnte doch glatt in Novosibirsk oder auf dem Berliner Alexanderplatz stehen.

Aber wenn das der Alexanderplatz ist, dann müsste ja gleich um die Ecke ein Kulturpalast, ein Дом Культуры oder gar ein Palast der Republik stehen. Et voilà:

Das Monstrum heißt ganz elegant «Espace des Arts» und hat mir meinen letzten Tag vor der Abreise aus Chalon sur Saône versüßt. Die Türen standen schon früh am Morgen offen und ich war der einzige, der unter den wachsamen Augen von zwei erstaunten Aufpasserinnen den herrlichen Ausblick aus dem Lampenladen in die umliegenden Sozialwohnungen genießen durfte. „Il est allemand.“ raunte die eine der anderen zu, als würde das mein verrücktes Herumknipsen erklären.

Und wenn der Klotz der kleine Bruder des Berliner Palastes ist, dann war da bestimmt doch auch was mit Asbest…? Richtig. Vor 5 Jahren wurde er grundsaniert. Und um ehrlich zu sein, sah er da am besten aus. Mehr Fotos von Benjamin Chelly.

Und um mich endgültig auf meine Heimreise einzustimmen, fand ich vor dem Bahnhof auch noch einen französischen Dönerstand mit Fleisch, das garantiert „halal“ war und aus Pfungstadt kam. Aber schmeckte natürlich nicht wie in meiner Döneria in Berlin. In Berlin ist mehr Salat.

Und warum ich das alles im 13. Stock der Berliner Charité mit Blick auf den Fernsehturm schreibe ist eine andere Geschichte, die ein andermal erzählt werden soll…