Der haarige, dunkle Mann wischt sich erst ein mal die Rotze von der Nase, schmiert sie mit der Hand an sein Kaputzenshirt und fragt: „Wie lang?“ Ich sitze in einen Stuhl gepresst, einen Umhang um meine Schultern, und etwas in mir sagt mir, dass ich am besten hier schnell verschwinden sollte. Aber das Gefühl hatte ich schon oft, und doch ist meistens alles gut gegangen – meistens. Die Neugier siegt über den Ekel und ich antworte mechanisch „Neun Milimeter“. Der Mann grunzt und legt los. Mit einem Gerät, das an einen Faustkeil erinnert, fährt er grob über meinen Schädel. Mein Kopf nickt und schwankt willenlos. Ich bin beim Frisör.
Jeden Monat einmal stürze ich mich dieses Abenteuer. Vom abgeschabten „Salon für den Herrn“ mit Wirtschaftswunderinterieur über die ungezählten türkischen oder arabischen Barbiere bis zu hippen Salons, die so kreative Namen wie „Ware Schönheit“ führen: Ich probiere die Haarkünstler in meinem Kietz aus. Friseurläden gibt es im Wedding noch häufiger als Handy-Shops, Spätis oder Dönerbuden – und das will was heißen. Und wenn ich etwas liebe, dann ist es mich in einem überreichen Angebot treiben zu lassen und die Vielfalt zu genießen. Angst verunstaltet zu werden habe ich dabei nicht. Mit dem Alter wächst nicht nur die Freifläche auf meinem Haupt, sondern auch der Wagemut. Und den brauche ich. Denn lange konnte ich keinen Friseurladen betreten, ohne schmerzhaft das kindliche Trauma zu spüren, das der Dorffigaro meiner Jugend in und auf meinem Kopf hinterlassen hat. Es trägt den Namen „Faconschnitt“. Das ist jene one-size-fits-all-Frisur der späten Sechziger, die bei mir immer dazu führte, dass sich meine Haare am Hinterkopf wie elektrisch aufgeladen in die Höhe stellten. „Sträußchen“ nannte das meine Mutter. Meine Schulkameraden hatten weniger schmeichelhafte Worte dafür. Nun sind die Zeiten vorbei, an denen ein Friseur an meinen Haaren etwas ge- oder verunstalten könnte. Vorbei auch die Zeiten, in denen ich mich darauf verlassen konnte, dass die Menschen, die mit Messer und Schere an meinem Kopf hantieren ihr Handwerk auf ordentliche Weise gelernt hatten. Heute darf das jeder. Aber das macht die Sache für mich erst richtig spannend. Schon mit der Art, mit der mir die Kreppapierkrause umgelegt wird, merke ich, ob der Haarkünstler in meinem Nacken in seinem vorherigen Beruf Schafe geschoren hat oder ob er sein Fach von der Pike auf gelernt hat. Wenig Hoffnung, heil aus der Sache raus zu kommen habe ich mittlerweile bei schlecht blondierten Damen, die ein 400-Euro Job in das Gewerbe gelockt hat. Sie schnippeln und schaben so lange hilflos auf meiner empfindlichen Haut herum, bis sie in meinem Nacken aussieht wie bei einem Ferkel mit Rotlauf. Aber was mich immer wieder für die kleinen Mißgeschicke entschädigt, ist das wohlige Gefühl, wenn ich an einen Meister gerate, der mit Liebe bei der Sache ist und mich für 8 Euro verwöhnt, als säße ich bei Udo Walz persönlich. Der das Rasiermesser (und eine frische Klinge) auspackt und die Übergänge fein säuberlich nacharbeitet, der sich um Ohren und Augenbrauen kümmert und mich vielleicht noch mit kühlendem Rosenwasser erfrischt. Wenn ich dann frisch frisiert auf die Straße trete, fühle ich mich wie ein gepflegter Mann von Welt. Viel zu schick eigentlich für den schäbigen Kietz.
Mittlerweile hat mein haariger Meister im Salon „Haarbibi“seine Arbeit wortlos beendet. So wie er meinen Kopf hin und hergeworfen hat, gehört er ganz eindeutig zu der Sorte „Schafscherer“ und ich ahne nichts Gutes. Ich bedeute ihm, den Spiegel von der Wand zu holen, damit ich sein Werk betrachen kann. Sieht gut aus, erstaunlich gut. Er merkt meine Zufriedenheit und sagt: „An der Seite habe ich 6 Milimeter gemacht, da sind die Haare dicker.“ Es gibt viele unentdeckte Künstler im Wedding.
🙂 Schöne Geschichte. Und die Frisur sieht auch okay aus, was man davon sehen kann. 🙂
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Danke, dass du da eine Frisur siehst. Ich sehe da eher eine Billiardkuge. l;-)
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🙂
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Na, dann hat der Rotzlöffel doch einen guten Job gemacht. 😉
(Ich mag es übrigens nicht, zum Frisör zu gehen. Leider aber muss es sein, denn meine Kurzhaarfrisur erfordert den etwas häufigeren Kontakt.)
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Da sind Männer eindeutig im Vorteil. Die „Kurzhaarfrisur“ stellt sich meist von selber ein und ist dann recht plfegeleicht 😉
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Mit Verlaub, das sind doch nie im Leben 9 Millimeter 🙂
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Die Diskussion kenne ich eher von anderen Körperteilen. 😉 aber sei versichert: da wo auf meinem Kopf noch was wächst sind es 9 Millimeter.
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Haarbibi … Ostern ist gerettet.
Frohe Ostern! 😉
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Ja, ich fand es auch fantastisch, dass auch die Araber mit den Wortspielen deutscher Friseure gleichziehen, 🙂 Ich sags ja: Wir können viel von einander lernen.
Frohe Ostern dir
Rolf
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Ich liebe es zum Frisör zu gehen und bedaure, dass meine Haare nicht noch schneller wachsen, sonst ginge ich jede Woche. Frisch geschoren und dann gegen den Strich gekrault werden- wunderbar.
Leider hab ich das erst wenige Male gehabt im Leben, meist sind die Haare länger.
Schön geschrieben (Ferkel mi Rotlauf 🙂 )
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Danke Über ein Lob von dir freue ich mich sehr. Quiek 🙂
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Das freut mich 😉
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