Dass ich bei diesem Bild sofort an Mann und Frau und Trennung denken muss, liegt nicht daran, dass ich zur Zeit bei allem an Mann und Frau und Trennung denke, sondern an der Geschichte, die mir der derbe Verkäufer vor vielen Jahren zu dieser Maschine erzählte, bevor ich sie aus seinem Antiquitätenladen mit dem vor Understatement strotzenden Namen „Just Junk“ für 20 schottische Pfund in unseren „Kunsttransporter“ lud, der nichts anderes war als eine klapprige weiße Kasten-Ente, die einem Holländer gehörte und deswegen auch einen kontinentalen Linkslenker hatte und die er mir und meinem Freund, der gerade aus Indien zurückgekommen war, und der dabei ein so kantiges Gesicht bekommen hatte, dass die Frauen ihm zu Füßen lagen, uns, die wir seit Jahren nur Fahrrad fuhren, in verantwortungsloser Weise anvertraut hatte um einige seiner klobigen Skulpturen (heute malt er kleine Miniaturen) von Edinburgh nach Maastricht zu transportieren.
Diese Geschichte, die er uns mit der Herablassung eines überlegenen Unterdrückten erzählte, weil sie von Engländern handelte, bei denen, so habe man ihm erzählt, es als größte Liebesbeweis eines Ehegatten gegenüber seiner Gemahlin gelte, wenn er sie vor der morgendlichen Toilette, noch im Bett schlummernd mit einer Tasse frisch zubereiteten Tees überrasche, diese Erzählung sparte nicht mit hämischen Bemerkungen über die närrischen Sitten der ungeliebten Besatzer Schottlands, sondern war auch gefüllt mit Spott darüber, wie diese Sitten mittlerweile verkommen seien, da nämlich nun der englische Gentleman eine Maschine ersonnen habe, eben jene, die er mir gerade für einen lächerlichen Preis überlasen habe, die ihm, dem Engländer, das mannhaft frühe Erwachen abnähme, indem sie mittels eines simplen Wippenmechanismus in Verbindung mit einer elektrischen Uhr das Wasser im Kessel zu einer vorgegebenen Stunde zur Wallung bringen würde, auf dass es sich in die Kanne ergieße, die nun, seufzend unter dem neuen Gewicht, die Wippe nach unten drücke, was die Stromzufuhr im Kessel sofort unterbräche.
Auch an dieser Stelle fehlte es der Erzählung nicht an derben Zoten über die allbekannte Prüderie in den Schlafzimmern jenseits des Hadrianswalls und den fehlenden Qualitäten englischer Liebhaber. Endgültig unvergesslich aber machte er mir die Geschichte, als er mich hoch erregt an der Schulter packte und grob schüttelte um mir leiblich zu demonstrierten, wie allmorgentlich der unwillige Gatte unter dem infernalischen Weckton und den grell blinkenden Lampen der Maschine seiner Frau ins Ohr brüllte „Love wake up, tea’s ready!“
Solcherart feixend (Ya know, mate! Ya know, mate!) gab er mir die Maschine in die Hand, die ich, damals ein bis zur Selbstaufgabe treuer Verehrer und Sammler sämtlicher Relikte des untergegangenen Empires, auf Händen nach Hause trug, nachdem wir den wackligen Transporter, in dem wir hunderte von Kilometern Linksverkehrs nahe des Straßengrabens überlebt hatten, dem Holländer wieder zu treuen Händen ließen. Stolz präsentierte ich das Wunderwerk aus elfenbeinfarbenem Bakelit auf einem Ehrenplatz in meiner Küche und versäumte es nicht, zu festlicher Gelegenheit meinen ratlosen Besuchern die Funktion des dampfenden und blinkenden englischen Meisterwerks zu präsentieren. Natürlich nicht, ohne dazu die deftige Geschichte des alten Schotten zu erzählen, was bei den Herren zur Erheiterung und bei den Damen zu grämlichen Gesichtern führte.
Irgendwann, nein nicht irgendwann, sondern genau an jenem Tage vor sieben Jahren, als ich mit der Mutter meiner Kinder in die schöne helle Wohnung zog, aus deren dunklen Keller ich sie neulich bei meinem Auszug wieder ans Licht brachte, verlor sie ihren Ehrenplatz. In der gemeinsamen Küche war nurmehr Platz für einen „Thermomix“, ein Gerät, dessen Versprechen auf universelle Glückseligmachung der Frauen künftigen Generationen ähnlich skurril anmuten wird, wie jene Mechanisierung der englischen Ritterlichkeit, die ich, wieder auf Händen, durch die Trödelläden rund um die Malplaquetstraße im Wedding trug, um sie jedem anzudienen, der mir noch ein paar Euro dafür gäbe. In meiner neuen Wohnung will ich Neues sehen. Das Verherrlichen alter Zeiten ist vorbei.
Die „Teasmade“, so ihr simpler englischer Name steht jetzt in einem der neuen Künstlercafés am Leopoldplatz. Wenn ich den Umzug hinter mir habe, gehe ich mal hin, und erzähle dem Barista ihre Geschichte.
Köstlich, und köstlich erzählt und süchtig machender Erzählton -und fluß.
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Ich werde nach der Teasmade Ausschau halten.
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Hallo Alice, schau mal hier,
https://wordpress.com/read/feeds/52813536/posts/1659396139
Das Antik Cafe am Leo hat gerade aufgemacht und die Teasmade hat einen Ehrenplatz (ganz nach unten scrollen).
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du hast also eine neue wohnung gefunden – glückwunsch! wünsche dir frohes umziehen. so ein umzug ist optimal um auszumisten, es bleiben meist genügend kartons übrig zum schleppen. finde dieses tee-dings da oben dennoch sehr interessant. 🙂
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Ja, ich bin auch froh, einiges los zu werden. Aber an jedem Ding hängt auch immer eine Geschichte.
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Ja, das stimmt. Bei manchen Dingen kostet es Überwindung, bei andren ist es ganz leicht. „
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Wow, der erste Absatz ist ein einziger Satz – verschachtelt und verwoben und trotzdem mit einer klaren Linie, die den Leser die Umschweife entlang führt. Wunderbar.
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Kleist lebt!
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Danke für das Kompliment, ich wusste doch, dass ich den Stil irgendwo her kenne 😉
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Aus jedem Ding spricht die Poesie. An altem Klump sollte Mann nicht zu lange hängen.
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Da muss ich unweigerlich an die famose Tea-Sequenz aus „The Who Sell Out“ denken: WHAT’S FOR TEA, DAUGHTER??!
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Exactly-das ist der Ton, den ich im Ohr hatte. Und diese abgedrehte Platte von The Who kannte ich noch gar nicht. Danke.
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Grandios erzählt! Was hätte ich für diese Maschine gegeben!
Glückwunsch zum Einzug und alles Gute Dir!
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[…] Kafka on the road Mysterious Machine […]
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Liebe tickerscherk, vielen Dank für den Link! Ich muss heute mal was anderes schreiben als mein Blog, aber das beschwingt.
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Dank tikerscherk habe ich heute deinen Blog entdeckt. Dein Erzählfluss ist süchtigmachend, also folge ich dir jetzt…
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Herzlich Willkommen und vielen Dank.
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