Schwarzbrottourismus

Schwarzbrot

„Was schauen Sie denn so versonnen aus dem Fenster?“, fragt mich die Seminarleiterin. Ich steh mit Mantel und Koffer in dem leeren Schulungsraum, fertig zur Rückfahrt nach Berlin. Die Zeit ist knapp, gleich fährt der Zug, aber ich wollte noch einen letzten Blick durch die Zinnen der mittelalterlichen Gemäuer auf meinen old man river werfen. „Ach, sag ich,  „ich freu mich nur, dass der Rhein wieder genug Wasser hat.“, und komme mir vor wie ein alter Bauer, der auf den Acker schaut, den er sein Leben lang bestellt hat und den er jetzt anderen überlassen muss.

Ich bin seit langer Zeit mal wieder am Rhein. In einem Weindorf, das wie das Dorf, in dem ich aufgegwachsen bin, davon lebt, so zu tun als wäre hier die Zeit stehen geblieben. Den Touristen, die mit Bussen und weißen Schiffen anlanden, wird eine butzenscheibige, fachwerksatte Wirtschaftswunderseeligkeit geboten. Und in den wenigen Stunden, in denen sie hier sind merken sie nicht, dass die Stadt längst jenseits der Fußgängerzone in das übliche Lidl, Rossmann, Aldi-Gewerbegebiet ausfranst. Aber warum sollten sie sich auch dafür interessieren? Solange es in den Konditoreien Schwarzwälder Kirsch,  Käsesahne und Kaffee im Kännchen gibt ist ihre Welt noch in Ordnung.

Ich bin hierher gekommen um auszuprobieren, ob ich noch so etwas wie Verbundenheit zu dieser Gegend empfinde, aus der ich mich mit 18 auf den Weg gemacht habe. Pflichtschuldig bin ich damals zwei, dreimal im Jahr zurück gekommen, um meine Eltern zu besuchen. Und als meine Tochter in dem Alter war, in dem sie sich gerne verkleidet hat, habe ich sie mit auf die Karnevalsumzüge genommen. Das hat uns beiden Spaß gemacht. Sie bekam ein Funkenmariechenkostüm und wir kennen heute noch alle Karnevalslieder. Abends gings dann mit meiner Schwester zum Manöverball in die Stadthalle. Ich habe damals daraus so eine Art Heimatgefühl für mich konstruiert, das ich nie hatte, als ich dort noch gelebt habe. Aber eigentlich waren wir damals schon  Touristen. Länger als ein Wochenende sind wir nie geblieben. Wir waren Touristen, wie alle andern auch, die am Wochenende mit Köln-Düsseldorfer Schifffahrtsgesellschaft kamen. Aber immer bin ich mindestens ein Mal runter zum Rhein gegangen, um zu sehen, wie es ihm geht, um das Wummern der Schiffsmotoren zu hören und um der Enge des Wohnzimmers meiner Eltern zu entfliehen.

Eilig rattere ich mit meinem Rollkoffer über das Verbundpflaster der Fußgängerzone zum Bahnhof . In einer Bäckerei will ich mir noch ein paar Brötchen für die Reise holen. Hinter der Verkäuferin sehe ich silberne Pakete, wie ich sie noch von unserm Dorfbäcker kenne: Rheinisches Schwarzbrot, von der Bäckersfrau selber in Silberpapier eingepackt und mit einem Gummi zusammengehalten. Das duftet in meinem Koffer nach, nach… Nachmittagen mit meinem Freund, dessen Mutter das dann abends immer mit Schinken und Majonaise aufgetischt hat, wenn wir vom Steinewerfen am Rhein zurückkamen.  Es duftet noch, als ich es in Berlin auspacke.

 

 

 

12 Gedanken zu “Schwarzbrottourismus

    • Ja, ich habe nur gemerkt, dass die Gefühle nicht durcheinander bringen sollte. Die Gefühle, die man als Kind in dem (Heimat)- Ort hatte und die Gefühle, die er heute auslöst. Was früher ein fantastscher Ort war, den es zu entdecken galt, ist heute für mich ein vom Zerfall bedrohtes trauriges Überbleibsel aus einer vergangenen Zeit.

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  1. Die Wehmut kenn ich auch, bei mir ist es die Ruhr und nicht der Rhein, aber was soll’s. Ob Schwarzbrot oder westfälisches Pumpernickel…die Düfte der Kindheit behält man in der Nase. Liebe Grüße!

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  2. Was authentisch war, hat sich eingegraben und bleibt. Und manchmal ist es erstaunlich, was es ist.
    Mein erster wirklich großer Fluss war auch der Rhein, wenn ich auch nie zum Steinewerfen hin bin, sondern immer als Tourist. Trotzdem.
    Danke fürs Erinnern!
    Liebe Grüße
    Christiane

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  3. Wunderbar geschrieben! Als (ehemals) Rheinkind schwemmst du eine Menge Erinnerungen hoch, die Krönung ist rheinisches Schwarzbrot mit Schinken und Mayo, wie konnte ich das nur vergessen?! Klar, hier gibt es kein rheinisches Schwarzbrot und hier ist ja auch der Rhein noch grün 😉
    herzliche Grüße
    Ulli

    Gefällt 2 Personen

  4. Schwarzbrot: hier in Ostfriesland kann man wählen zwischen Paketen eingepackt in goldenem Papier und in silbernem Papier, außerdem dünner oder dicker geschnitten, je nachdem was drauf soll. Wenn man natürlich Scheiben klappen will mit „was dazwischen“, dann sind dünnere Scheiben angebrachter. Aber das war ja nicht das Thema, sondern der Duft. Von dem kann ich nicht erzählen, sondern von dem Gummi, der das alles zusammenhält. Der wird aufgehoben und wiederverwendet. Außerdem sollte man noch erwähnen, daß dieses Schwarzbrot hier anscheinend nur Roggen, Salz und Wasser beinhaltet, keine Konservierungsstoffe, was ich manchmal nicht glauben kann. HB

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    • Also bei meinem steht über Inhaltsstoffe gar nichts drauf. Die Einpackfolien stammt wohl noch aus einer Zeit, als man dem Bäcker da noch (oder wieder, nach dem Ersatz-Brot der Kriegszeit) vertraute. 😉

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  5. Seit ich als Ingelheimer wieder in die alte Heimat zurückgekommen bin, ist der Fluss natürlich immer ein Thema. Mein Vater wohnt direkt am Rhein, in Bingen. Am Telefon heißt es dann, wenn sämtliche Gesundheitszustände der Familie durchdekliniert wurden: Wie hoch ist der Rhein? Im Sommer haben wir uns Sorgen gemacht, jetzt geht es wieder. Man sieht es vom Wohnzimmerfenster, weil die Sandbänke unterschiedlich lang über das Wasser ragen.

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  6. Du jonglierst echt wahnsinnig schön mit den Wörtern (ich hoffe das klingt nicht zu altbacken…) Ich bin zwar kein Rheinkind, aber bin oft in den „rheinischen“ Städten. Ich freue mich auf weitere Beiträge, die ähnlich schön geschrieben sind.
    Gruß,
    Siv ❤

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  7. Das Schwarzbrot als quasi einziges Element, das sowas wie Heimatgefühl wieder hochholte. Das ansonsten keine heimatlichen Gefühle entstehen, zumal sie ja schon nach dem Wegzug kaum mehr da waren, ist verständlich, denn die hässliche Ausfransung der Orte in Gewerbegebiete nimmt ja auch jeden Charme. Insofern ist es ein schön-trauriger Artikel.

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