Wenige Tage nachdem ich in meine neue Wohnung eingezogen war, hatte ich einen seltsamen Traum. Zwei dunkle Wesen standen pötzlich in meinem Schlafzimmer und betrachteten mich. Sie waren nicht zufrieden mit mir, das spürte ich deutlich. Die Präsenz war so real, dass ich fühlte, wie sie mich anfassten… in Panik wachte ich auf. Ich brauchte eine Weile, bis ich merkte, dass da niemand war, packte meine Sachen und schlief im Wohnzimmer. Vorsichtshalber ließ ich das Licht an. In der nächsten Nacht der gleiche Traum, diesmal mit nur einem Besucher. Danach war ich bereit auszuziehen.
Irgendetwas stimmte nicht mit dieser Wohnung. Hatte nicht die Nachbarin erzählt, dass die Wohnung , obwohl frisch renoviert, unverständlicher Weise viele Jahre leer gestanden hatte? War es nicht sowieso seltsam, dass es keinen anderen Bewerber auf dieses Schmuckstück gegeben hatte und die Vermieterin sofort bereit war, mir einen weiteren Besichtigungstermin zu geben, nachdem ich den ersten verpasst hatte? Und das in Berlin, wo sich auf jede Wohnung hunderte bewerben? Ging es hier mit rechten Dingen zu? Hatte nicht die Frau unter mir, die schon seit vielen Jahren hier lebt und neun Katzen hat, neulich so verräterisch freundlich gelächelt, als sie mich sah? Das konnte alles kein Zufall sein. Es hätte mich nicht gewundert, wenn an den frisch geweißelten Wänden plötzlich ein Blutfleck aufgeschienen wäre oder ich die Stimme eines Geistes gehört hätte, der mir davon berichtete, wie er hier qualvoll zu Tode gekommen war; ein ungesühntes Verbrechen, das alle Bewohner dieser Wohnung dazu verdammte, hier ihr Unglück zu finden. Dabei habe ich noch nie ein Buch von Steven King gelesen und über das Gespenst von Canterville herzlich gelacht.
Eine Freundin, die ich dazu ins Vertrauen zog, riet mir einen Schamanen zu holen. Sie sei in eine Wohnung gezogen, in der sie nicht habe schlafen können. Der Schamane habe herausgefunden, dass zuvor ein Paar mit einer schlechten, verlogenen Beziehung in den Räumen gewohnt hätte. Der kundige Mann habe seine Rituale vollzogen und seitdem schlafe sie wieder gut. Sie gab mir seine Adresse.
Nun leben wir im 21. Jahrhundert, und wiewohl ich den Schamanismus für eine wirkmächtige Tradition halte, die tiefe Schichten der Seele zu erreichen vermag, suchte ich doch lieber nach einer Erklärung, die ich mit dem Verstand einigermaßen nachvollziehen konnte. Dabei kam mir eines Tages das Wort „Wohnraumbewirtschaftungsgesetz“ in den Kopf. Das mag nun einigen Menschen seltsamer vorkommen als ein Traum von verdammten Seelen und ungesühnten Verbrechen. Aber ich hab nun mal sieben Jahre meines Lebens den Rechtswissenschaften geopfert, und Juristen denken manchmal solche Worte. Ich schaute nach, und dieses Gesetz gab es wirklich. Es wurde 1953 erlassen, und erlaubte es den Behörden bei Wohnungsnot, Menschen in Wohnungen einzuweisen, in denen schon andere Menschen leben. Gleich kamen mir die Erzählungen meines Vaters in Erinnerung, der als schlesischer Flüchtling bei einer ostfrisischen Bauernfamilie eingewiesen worden war, die ihm das Leben schwer machte. Oder die Szene aus „Schindlers Liste“ als die vertriebene Familie im Warschauer Ghetto in eine kleine Wohnung eingewiesen wird, in der dann plötzlich noch eine vielköpfige Familie galizischer Juden in der Tür steht. So langsam kam ich meinem Unterbewußtsein auf die Schliche: Ich wurde nicht von bösen Geistern heimgesucht, ich hatte ein schlechtes Gewissen. Drei Jahre war ich in einer kleinen 1-Zimmer Wohnung prima klar gekomen. Nur wenn meine Jungs kamen, wurde es etwas eng. Und jetzt gönnte ich mir den Luxus von viel Platz in hellen Räumen, einem eigenen Zimmer für die Kinder, die nur wenige Tage im Monat da sind. Ist das nicht ein bisschen feist, in Zeiten in denen so viele eine Wohnung suchen? Sollten wir nicht alle ein wenig zusammenrücken?
Ja, sollten wir. Heute parkte ein bis unters Dach vollgestopfter Citroen Berlingo vor meiner Tür ein. Die Fahrerin brauchte drei Anläufe, aber dann stieg sie stolz mit roten Backen aus und umarmte mich. Meine große Tochter ist mit dem Bachelor fertig. Wenn ich es richtig verstanden habe, hat sie im März ein Praktikum und bis dahin weiß sie nicht so recht was machen und wohin. Und was macht man als guter Vater? Man trägt die Kartons, in denen sich vor allem ungezählte Paar Schuhe in unterschiedlichen Phasen des Zerfalls befinden, brav nach oben in mein größtes Zimmer, den schweren Futon hinterher und die roten Ölfässser, die der Vater in seinen wilden Zeiten zu einem Schreibtisch zersägt hatte und die von der Tochter in Ehren gehalten werden. Ich hoffe, dass mich die mißgünstigen bösen Geister jetzt in Frieden lassen. Ruhiger wird es wohl trotzdem nicht werden, in meinem Zuhause .
Die Töchter kommen gerne zum Vater.
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…und Väter haben das gerne ;.)
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Wie schön! Das wird bestimmt eine ganz besondere Zeit!
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Oh ja, ich bin gespannt 😉
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Ui, das wird spannend. Am Ende wahrscheinlich ein ganz reibungsloses und unspektakuläres Zusammenwohnen? Auf jeden Fall wird das eine Zeit, an die man sich später einmal nicht allein erinnert. Viel Spaß!
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Statt böser Geister hast du nun eben einen guten Geist zuhause. Ich wünsche euch eine gute Zeit miteinander – das ist bestimmt spannend!!!
Dass du wegen des „Wohnraumbewirtschaftungsgesetzes“ schlecht geschlafen hast, kann ich gut nachvollziehen: Als ich nach Jahren in Studenten-WGs und Zimmern in Kellern eine schöne Wohnung mietete, hatte ich (und habe bis heute) ein schlechtes Gewissen – wenn mich jemand das erste Mal besuchen kommt, erkläre ich immer noch weitschweifig, dass ich das zweite Zimmer ja zu meinen Zeiten als Selbstständige als Büro gebraucht habe etc. pp.
Trotzdem: ich weiß nicht, wovor ich mich mehr fürchte – vor Juristen oder vor Schamanen 🙂
Liebe Grüße Birgit
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Ach, ich dachte, du hättest „nur“ Söhne. Wird ja immer interessanter. Finde auch Juristen und Schamanen gleichermaßen, na ja, je nachdem, kommt immer auf den Einzelfall an. Selbst bin ich inzwischen (nach sowieso naturgegebener Skepsis) nach einer großen Offenheit für alles wieder von den meisten esoterischen „Theorien“ abgekommen und es geht mir damit besser, weil ich nur noch auf mich höre. Ich bedaure auch so Einiges, was man mir als notweniges „Ausmisten“ nahegelegt hat. Was dich betrifft: Hautpsache, Tochter und Söhne kommen gern zu dir und fühlen sich wohl.
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Wenn man darüber nachdenkt, wie schlecht es anderen Leuten geht, mag man manchmal nicht mehr in den Kleiderschrank schauen… Ich verstehe das Dilemma vollkommen. Aber irgendwie will man ja doch ein bisschen Luxus haben. Und wenn man sich den verdient hat, ist das meiner Meinung nach auch kein Problem. Zumindest solange man auch an die denkt, denen es schlechter geht. Ich habe ein Problem mit Leuten, die reich geboren wurden und anschließend ihr Leben lang nichts gemacht haben, aber trotzdem in Luxus leben. Aber bei dir scheint das ja nicht der Fall zu sein… Von daher genieße die ersten Früchte deines Lebens und vergiß nicht, ab und zu auch etwas abzugeben. 🙂
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Prima, da haben die bösen Geister keine Chance mehr gegen vereinte Vater-Tochter Kräfte…geniesse die Zeit !
Lieber Gruss, Jürgen
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in mein größtes Zimmer – guter Mann. Alle Achtung!
Du, drei Wochen später… her mit der Bilanz: Wie ist es, wieder in einer WG zu wohnen? Ich werde glatt nostalgisch.
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Meine Tochter gehört zur „Generation der Liegenden“. Der anstrengende Urlaub, die tolle Abschiedsparty: Davon muss frau sich erst einmal erholen. Wenn ich morgens zur Arbeit gehe, klopfe ich an ihre Tür. Wenn ich Lebenszeichen höre, freue ich mich.
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