Im Baggerloch

wirsindmehr

Als das am Wochenende mit den Nazis in Chemnitz hochkochte, da habe ich zusammen mit 10 000en „Nazis raus!“ gebrüllt. Hat nur keiner gehört. Denn wir standen in einem alten Braunkohle-Tagebau-Loch irgendwo im Osten.  Ich, mein Freund und die anderen guten Deutschen. Rund um uns alte Bagger. Und vorne die Toten Hosen. Sie erzählten uns, dass sie am Montag in Chemitz spielen würden. Und das wir alle kommen sollten. Und alle haben gejohlt. Und dann gab’s noch ne Zugabe, und dann haben alle ihre Pfandbecher abgegeben, sind zum Parkplatz gegangen, zu ihren Klein- und Mittelklassewagen, viele ziemlich neu und gut gepflegt, und sind weggefahren. Wir hatten unsern Spaß gehabt, noch mal gezeigt, dass wir die Wilden waren und jetzt ging das Leben weiter.

Mein Freund und ich, wir haben in unserem gemieteten Transporter geschlafen und weil es so schweinekalt war, machte ich mir warme Gedanken. Dass ich am Montag auch nach Chemitz fahren würde. Einfach im Büro anrufen: Chef, ich bin jetzt da, wo du auch sein solltest. Heldenträume. Und als wir am Morgen die Schiebetür aufmachten, schien die Sonne und der Parkplatz war nur für uns da. War schön. Beim Frühstück an der Tanke sagte mein Freund, dass er den Bus um drei in Berlin wieder zurück geben müsste, und ich dachte, dass ich am Montag ganz sicher im Büro gebraucht würde, wegen der einen wichtigen Sache, an der wir die ganze Woche gearbeitet hatten. Und so sind wir zurück gefahren nach Berlin. Ich legte mich in die Wanne um den Kohlestaub und die wilden Gedanken einzuweichen und dachte: Montag, das wird ein Dankeschön-Konzert für die paar Antifa-Hanseln, die da schon die ganzen Tage sind.

Am Montag war ich dann im Büro und die wichige Sache war gar nicht mehr so wichtig. Wichtig war nur, dass alle meine guten Deutschen, denen ich das gar nich zugetraut hatte,  in Chemnitz waren. Da hab ich mich ein bisschen geschämt, aber froh war ich auch, dass so viele da waren, in Chemitz. Und Campino hat im Radio gesagt, dass er nur ein Musiker sei, dass er tue, was er könne. Aber er singe jetzt schon seit 30 Jahren gegen die Nazis, und das können doch nicht alles sein, die Musik gegen rechts. Da müsse doch jetzt mal was von anderen kommen. Er klang ein wenig müde. Campino ist so alt wie ich. Und zwei Tote Hosen-Konzerte in drei  Tagen hätt auch ich nicht durchgehalten.

 

 

7 Gedanken zu “Im Baggerloch

  1. Also, bei der PK in Chemnitz wirkte Campino dann doch nicht mehr müde.
    Und ich setze mein volles Vertrauen in Dich, dass Du bei der nächsten wichtigen Demo mitläufst und nicht in der Badewanne in Zweifeln versinkst 🙂

    PS: Solche Texte entstehen in unserem Alter. Wenn das ein Trost ist. Isses aber wahrscheinlich nicht.
    Aber ich kann das so gut nachvollziehen. Bleibt ja jetzt als Alternative für den Protest das nächste Helene Fischer Konzert 🙂

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  2. Vielleicht sollte sich Campino mit Helene zum Duett….das wäre mal wirklich was anderes….Frage ist ob das nun zur Verständigung hilft oder in eine Massenschlägerei beider Fangruppen ausartet…Immerhin hat sich auch Frau Fischer geäussert und was immer man von ihr halten mag…das fand ich selbst ganz ok…Und recht hat Campino natürlich, ich bin auch schon vor 30 Jahren in der Lichterkette durchs Ruhrgebiet gestanden als Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit….und das war (ist) in Dortmund Dorstfeld durchaus nicht ohne (wir wissen wo du wohnst….) und dann dachte man es wäre jetzt gut…ist es aber nicht…es kocht wieder hoch und ich musste an die Worte meines alten Philosophielehrers denken wonach potentiell 20% jeder Gesellschaft mehr oder weniger rechts einzuschätzen ist…wenn dem so ist und schaut man sich in Europa um scheint es zuzutreffen ….dann darf der Protest dagegen nie aufhören…egal wie alt wir werden…oder müde…cool fand ich übrigens die Brandrede gegen die AFD von Herrn Kahrs im Parlament…der ist eigentlich ein eher rechter Hamburger SPDler…und so wütend geworden das die AFD den Saal verlassen hat…wer die Wahrheit nicht hören will macht halt affengleich Augen,Ohren und sonstiges zu….wäre übrigens auch gerne da gewesen und muss mich genauso schämen wie du…mag die Musik der Chemnitzer Band Tonbandgerät die ja das Konzert angestossen haben.
    Nachdenkliche Grüsse von Jürgen

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