Früher

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Wäre ich nur 500 Meter weiter gegangen, hätte ich es über die Grenze geschafft. Dort wo die Straße den Berg hoch geht – den Prenzlauer Berg. Dort, wo sich die Baristas hinter U-Boot großen Espressomaschinen verschanzen und wo die Luft erfüllt ist von diabolischem Zischen. Dort hätte ich einen Kaffee nach meinen Wünschen bekommen.

Aber ich musste ja unbedingt am wimmeligen, engen Ende der Invalidenstraße in diesen schäbigen, schmalen Laden, der sich zwischen den Nobel-Food-Läden und der Ackerhalle gehalten hatte. „Backen wie früher“ versprach er mir auf seinem Schild. Und rein optisch ging dieses Versprechen auch sofort in Erfüllung. Früher muss ja nicht ganz früher gewsen sein. Es reicht nach 30 Jahren ja die Zeit direkt vor dem Mauerfall. Ja, und so sah es hier auch aus. Eine abgeschabte Ladeneinrichtung aus wuchtigem Resopal, Stehtische mit zerlesenen Zeitschriften, Glasvitirine mit handgeschriebenen Schildern und ein Blick in eine Backstube, in der noch weiße Knetmaschinen für echten Brotteig stehen. Kein Firlefanz mit Ährenkränzen und dem Bild von wogenden Weizenfeldern. Ein Sperrholzregal mit vier Brotsorten, von denen eine „Scharfe Kruste“ heißt und Schluss.

Aber heißt „Backen wie früher“ auch Kaffee wie früher, also ganz früher? Ich wage es und bestelle einen Milchkaffee. Und weil ich nicht weiß, wie weit der Geist der Cafelatte–Enklave auf dem Berg schon bis hierher heruntergeschwappt ist sage ich vorsichtshalber „ohne Schaum“. So war das nämlich früher, schwärme ich der Verkäuferin vor, als Milchkaffee noch „Cafe au Lait“ hieß. Ganz Connaiseur schwadroniere ich von einem „Noir“ den man mit gleichen Teilen Milch auffüllen muss, natürlich heißer Milch…  Die Frau hinter dem Tresen schaut mich in ihrer Kittelschürze ungerührt an und raunzt: „Ohne Schaum kann die Maschine nich.“

„Also früher…“ hebe ich wieder an, komme aber nicht weit weil ich unwirsch von einem jüngeren Herrn im wieder modischen Halbmantel unterbrochen werde: „Früher gab’s mehr Lametta.“ Spricht’s und drängelt sich vor mit seiner Bestellung, natürlich Vollkornbrot, und lässt mich sprachlos. Depp! Das hieß doch ganz anders. „Früher war mehr Lametta“ polterte doch der preußische Opa bei Klimbimm. Aber was weiß so ein junger Schnösel schon von früher? Und für eine schmissige Antwort ist es eh zu spät. Dafür dauert es in meinem mit Erinnerungen überfüllten Gehirn zu lange.

Also wat wolln‘ se nu?, drängelt die Berliner Bäckereifachverkäuferin. „Einen Kakao, einen heißen, stammle ich perplex.  „Dit jibt’s nich“ kommt es direkt zurück. „Wir ham Kakao nur kalt, hier in Flaschen.“ „Hier, auf ihrer Tafel steht’s doch.“, raunze ich ich jetzt auch. Nach 25 Jahren in Berlin bin ich im Zurückbellen geübt. Aber ich habe es  mit einer einheimischen Fachfrau für Höflichkeit zu tun. „Könnse nich lesn?“, blafft die Herrscherin über eine jämmerliche Baumarkt-Kaffeemaschine. „Da steht heiße Schokolade. Also wat wolln‘ se nu?“

Na das garanitert nich: Mich noch mal anblaffen zu lassen, so wie früher. Mein Weg führt mich über den früheren Mauerstreifen zurück in den heutigen Wedding. Zu freundlichen Falaffel-Bäckern und gut gelaunten Youngstern.
Von früher vermisse ich nichts mehr.

Ach ja, wer mehr über Berliner Bäckereiromantik lesen will, dem empfehle ich den Roman „Schmetterlinge aus Marzipan“ von Daniela Böhle. Eine Frau kämpft sich durch die Backstube zum Glück. Gar nicht süßlich, sondern sehr handfest.

11 Gedanken zu “Früher

  1. Du bist einfach ein unverbesserlicher Nostalgiker.
    Früher hat meine Mutter den wenigen kostbaren Kaffee in einer Kaffee-Mühle aus Holz mit aufgesetztem Drehgriff gemahlen. Aus der Schublade unten wurde pro Tasse ein Teelöffel in den Filter aus Papier in einer Keramik-Halteform gelöffelt. Das kochende Wasser wurde aufgebrüht in der Zwischenzeit wurden Geschichten erzählt: früher hat der Opa (also der Vater meiner Mutter) Gerste geröstet – das war ein Kaffee an dem sie sich als Kind gerne erinnerte.

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  2. War „Lametta“ nicht Loriot statt Klimbim? Bin zu faul zum Gugeln. Und was ist eigentlich mit euch Berlinern los? Volkssport Anblaffen, oder wat? Oder hab ich zu viel Pestarzt gelesen? Hier in HH sind immer alle so höflich vergleichsweise. Wüsste echt gern, wo das historisch herkommt.

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  3. Wir hatten in meiner Kindheit gar keine Kaffeemaschine und natürlich auch keinen Porzellan- Kaffeefilter. Jedesmal einen neuen Papierfilter zu verbrauchen, nein, das empfand meine Mutter als zu teuer.
    Mein Papa mahlte die Bohnen auf einer hölzernen Kaffeemühle mit kleinem Schubkästchen unten.
    Pro Tasse gab es einen gestrichenen (!) Teelöffel voll in die Kaffeekanne, dann kochendes Wasser darauf – fertig!
    Nun musste man ihn etwas stehenlassen und schließlich kam ein Teesieb zum Einsatz, mit dessen Hilfe der Kaffee dann in die Tassen gegossen wurde.
    Die Erwachsenen bekamen „echten“ Bohnenkaffee , wir Kinder bekamen „Lindes“-Kaffee aus einer blau-weiß-karierten Packung ( halb Lindes und halb Milch).
    War kein Bohnenkaffee im Haus, gabs den auch für die Erwachsenen….

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    • …und in der Konditorei gab’s nur Kännchen und dazu Kondensmilch. Das bestelle ich heute noch manchmal, mit einem dicken Stück Buttercreme, wenn ich mich an die Ausfüge mit meinen Eltern erinnern will 😉

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      • Hahaha…genau so ist es.
        Buttercremetorte war der Lieblingskuchen damals.
        Selbstgebacken natürlich. Zum Geburtstag bekam das Geburtstagskind jeweils die Jahreszahl oben in die Mitte platziert.
        Ich liebte das.

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