
Ein grauer Umschlag liegt in meinem Briefkasten. Sieht amtlich aus und ist es auch: „Wahlbenachrichtigung“ steht drauf und der Stempel ist vom Bezirksamt. Jetzt ist‘s soweit, denke ich, jetzt wird die Wahl in Berlin wiederholt. Was für eine Katastrophe. Wie vielleicht einige informierte Leserinnen und Leser wissen, ist bei der Bundestagswahl im September in Berlin nicht alles ganz glatt gelaufen. Falsche Wahlzettel, Schlangen vor den Wahlbüros…. Die Wahlleiterin musste zurücktreten. Und jetzt das. Die Wahl eine Farce, die jetzt auch noch einmal wiederholt wird. Der Schaden für die Demokratie: Nicht wieder gut zu machen…. Das einzige, was ich sicher sagen kann: Ich war es diesmal nicht schuld!
Ich liebte Wahlen. Wenn ordentliche Bürger sich am Sonntagmorgen fein machen und mit einem wohlmeinenden Lächeln im Gesicht zur örtlichen Grundschule gehen, wo ebenso feine Bügerinnen und Bürger ihren Sonntag opfern, auf dass alles geregelt ablaufe in diesem Land. Das ist schön, wenn es klappt. Aber es klappt nicht immer. Zum Beispiel, wenn ich Wahlvorstand bin. Beim ersten Mal ist es noch gut gegangen. Das war zu der Zeit, als Gregor Gysi in meinem Wahlkreis gegen einen stumpfen SPD-Apparatschik antrat. Das war die Zeit als wir im Wahlbüro Besuch von der belarussischen Botschaft bekamen, die gleich um die Ecke lag. Weißrussische Wahlbeobachter bei der Wahl von Gregor Gysi in einer Plattenbauschule. Das hätte ihm gefallen, wenn ich es ihm denn gesagt hätte. “Wir sind noch eine junge Demokratie“ säuselte der junge Attaché. „Wir müssen unser Wahlsysem noch entwickeln.“ Ich rief den Wahlleiter an. Der sagte, da könne man nix machen. Wahlen seien halt öffentlich. Aber sonst lief alles gut. Zwei versierte Sachbearbeiterinnen vom Bezirksamt waren meine Beisitzer. Sie hatten mir gleich zu Anfang signaliert, dass sie das Verfahren aus dem FF kennen würden. Und so war es dann auch. Emsig wurden Wahlbögen hin und hersortiert und als es am Ende ein paar Zettel zuviel waren, wurde so lange hin und her gezählt, bis es stimmte und Gregor gewonnen hatte. Schön war´s.
Deshalb versuchte ich es Jahre später im Wedding noch einmal. Anna Lindh Grundschule. Ein heller, leicht in die Jahre gekommener Pavillionbau aus den 50ern. Auch hier gab es wieder zwei Frauen, die mir, diesmal mit großer Klappe verkündeten, dass sie das schon seit Jahren machen würden und ihre Tricks hätten. Ich sollte mir keine Sorgen machen. Doch als es dann ans Zählen ging und wir mit den Erst- und Zweitstimmen nicht überein kamen, da fingen sie an zu schimpfen „Wees ick doch ooch nich, was wa jetz machn solln. Sie sind der Wahvorstand.“ Wedding halt. Wieder rief ich den Wahlleiter an, abends um Neun, als wir alle glasige Augen hatten und fragte was ich denn jetzt machen solle. „Packen se den janzen Kram zusamm und komm ins Rathaus mit den Zetteln. Sie sind nicht der Einzige.“ Da saß ich dann mit der Mappe voller Wahlscheinen und musste das ungeordnete Bündel an genervte Beamte übergeben, die das ganze Chaos am nächsten Tag nachzählen durften. Seitdem halte ich mich aus Scham von Wahlbüros fern und mache Briefwahl.
Jetzt also nochmal? Weil das Durcheinander diesmal so groß war, dass es selbst rechtschaffene Berliner Beamte nicht mehr sortieren konnten? Ich schaue mir die Wahlbenachrichtiung noch mal genau an. Da steht nichts von Bundestagswahl. Da steht “Sie sind berechtigt, an der Wahl zum Senionrenbeirat im Bezirk Mitte teilzunehmen. Die Wahl findet im der Seniorentreffpunkt Otavistraße statt…“ Da hat die Berliner Verwaltung es doch tatsächlich mitgekriegt, dass ich älter geworden bin. Dass ich jetzt nicht mehr zu den Erstwählern gehöre. Wahrscheinlich kann ich mit dem Schein nach der Wahl in jedem Berliner Wirtschaft nachweisen, dass ich berechtigt bin, einen Seniorenteller zu bestellten. Jetzt ist es amtich.
Ich will mal so sagen: Wenn sonst nix klappt, aber unverschämt werden, das können sie
na wenns denn wenigstens geklappt hätte – wie bei gut 70 000 anderen war mein Wahlzettel dem falschen Bezirk zugeordnet …
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Die Senioren und innen sind bei Dir in besten Händen (lach)
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Über deinen letzten Satz musste ich sehr lachen.
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Das freut mich. Leider habe ich mich damit als mürrischer alter Mann geoutet😩
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Die Weißrussen haben zugeschaut? Dann ist da ja noch Hoffnung.
Im Ernst: Seniorenbeirat klingt wie Elternbeirat, das will keiner machen.
Hier im Dorf gab es alljährlich eine Seniorenfahrt. Da wollte auch keiner mit. Jetzt haben sie es umbenannt und es heißt Dorfausflug. Angeblich kommen jetzt mehr mit. Mir wäre ein ordentliches Dorffest einmal im Jahr viel lieber.Da kann ich kommen und gehen, wann ich will.
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hihi, ja DIE post habe ich auch bekommen und habe sicher auch leicht dusselich geschaut. nun warte ich auf die briefwahlmöglichkeit, denn die meisten orte sind nicht berollbar (rolli). inzwischen habe ich mir im netz so n bisken angeschaut wer da aktiv ist. altern ist halt echt nix für feiglinge ;o) schönen abend
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Am besten ist Stimmenauszählung bei Kommunalwahlen in Bundesländern, die Kumulieren und Panaschieren zulassen.
Da ist das wichtigste als Wahlvorstand, genug Cola und Essen zu organisieren, damit die Leute bis nach Mitternacht durchhalten. Dafür war der nächste Tag immer arbeitsfrei.
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Sehr löblich, sich für dieses Abenteuer zu melden. In BaWü hatte ich mich schon als Wähler überfordert gefühlt.
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Der Profi füllt den Musterstimmzettel zuhause aus, um nicht aus Versehen über 40 Stimmen zu kommen – und überträgt dann im Wahllokal nur mehr. 😉
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