Oh happy day!

Mellensee

Im Oberdeck des Regionalexpress, zurück nach Berlin. Tag der Arbeit. Meine Jungs haben mich zum dritten Mal beim Kartenspielen abgezockt. Das passiert mir sonst nie – zumindest nicht ohne Absicht. Ich muss mit den Gedanken woanders sein. Aber wo?

Ein Lied hat sich bei mir eingenistet, zuerst im Herz, dann im Kopf, der sich an die richtigen Zeilen zu erinnern versucht und dann wie ein wohliges entspanntes Gefühl im ganzen Körper. Ein schönes Lied am Ende eines schönen Tages. Alles hat gestimmt. Der Proviant hat gereicht, die Jungs haben kräftig mitgestrampelt auf der Fahrrad-Draisine. Der eine hin, der andere zurück. So dolle, dass ich mir dachte, gleich kippt einer vom Sattel. War aber nicht. Nur Freude und rote Backen. Am Wendepunkt gab’s einen romantischen Bahnhof aus der Kaiserzeit (sieht aus wie unsere Ritterburg) und eine Erfrischungshalle aus den 20ern mit einem Radler für den Vater und ein Eis für die Kinder. Ein Eis, das so schrecklich schmeckte, wie Eis in Brandenburg halt schmeckt. Wäre sonst Anlass für ein großes Drama, aber heute war alles gut. Die Hälfte durfte ich essen. Eine Runde Minigolf und sogar die botanischen Belehrungen für die armen Stadtkinder (Von welchem Baum ist dieses Blatt?) wurden begeistert aufgenommen. Und es war mir, als sähe ich Vieles selbst zum ersten Mal. Oder hatte ich je vorher enteckt, dass die Blütenblätter der weißen Kastanien gelbe und rote Punkte haben?

Kastanienblüte

Hab ich schon geschrieben, dass die Sonne schien und ein frischer Wind blies?
Und zwei Mal kam die Frage: Du, Papa, machen wir das noch mal? Ja, aber dann mit eurem kleinen Bruder. Ich hätte genau so gut Donald Trump vorschlagen können, einen Ausflug mit Kim Jong Un zu unternehmen. Aber selbst das wurde freudig begrüßt. Und es wurde sogar besprochen, wer den kleinen Bruder auf der Hinfahrt und wer ihn auf der Rückfahrt auf der Draisine festhält. Gäb’s einen Ritterschlag für Väter, das wär er gewesen. Ja, wenn der Vater mit den Söhnen.
Und dann das Lied. Schreib’s auf, sagte ich mir, nachdem ich die übersprudelnden Jungs bei ihrer Mutter abgegeben hatte, sonst ist es morgen weg. Das Lied und das ganze herrliche Gefühl, das uns durch den Tag getragen hatte. Hab ich aber nicht gemacht und mich in die warme Wanne gelegt. Aber am nächsten Morgen hatt‘ ich’s noch im Ohr. Und es schien wieder die Sonne und es schien wieder ein schöner Tag zu werden.

Aber nach dem Tag der Arbeit kam ein Tag der Arbeit.

Wo war die Vorlage von Montag geblieben? Warum ist sie nicht „nach oben“ gegangen? Wer hat sie wo nicht weiter geleitet? Geht das ganze auch ein bisschen kürzer? Nur Stichpunkte! Natürlich geht das. Haben sie heute Abend. Kein Problem. Und die nächste Vorbereitung gleich morgen…. Und als alle Kolleginnen und Kollegen weg sind, alle  Sachen da sind wo sie hingehören, will ich mich für das nächste Projekt ein wenig auffrischen. Den Kopf leer kriegen.
Aber der ist schon leer. Ganz leer. Das Lied ist weg! Ganz weit weg. Noch nicht mal die Melodie fällt mir ein. Kaffee hilft auch nicht mehr. Vielleicht ein Gang über den Flur, die leere Wasserflasche jonglierend? Der Rhythmus der Schritte. In der Teeküche das erste Wortpaar „Night and Day“ auf dem Rückweg das nächste „Sins Away“ Und dann an der Bürotür die volle Wucht. Yeah, es war ein Gospel. Ein Lied Freude und ein Lied der unterdrückten Arbeitssklaven. Ein Blick auf meinen Schreibtisch hat genügt, mich daran zu erinnern.
Und jetzt geht gar nichts mehr. My Lord! -Good God! *Fingersnipping*
Computer aus, die Punkte müssen morgen sortiert werden. Ich bin sicher, Jesus wird mir vergeben. He’ll wash my sins away…

Und weils so schön war, hier mit Aretha Franklin.

 

Euch einen glücklichen Tag.

 

 

8 Gedanken zu “Oh happy day!

  1. Danke, lieber Rolf,

    eine schöne, harmonisch idyllische Erzählung eures Tage.
    Ich hatte auch schon lange eingeplant, mit meinem Sohn Draisine zu fahren, aber wie das so ist, du hast es trefflich beschrieben, dann kommt dieses und dann kommt das und mit 23 Jahren haben Jungs andere Wünsche und so fahren wir über das Muttertagwochenende nach Stockholm, mein Sohn will dort Bouldern und mal schauen, was halt in Stockholm so los ist.

    Was deine Söhne wohl in erwachsenen Jahren zu deinem Bericht sagen?

    Ein sonniges Wochenende von Susanne

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    • Liebe Susanne, es ist wirklich eine spannende Vorstellung, was die Kinder aus dem, was die Eltern mit ihnen unternehmen in ihrem Kopf machen werden. Mit meinen Eltern sind wiroft am Wochenende in den Wald gefahren, Beeren sammeln. Was davon geblieben ist, ist die Erinnerung an stinkende Plastiksitze im Auto und die Tränen über einen umgeworfenen Becher mit Blaubeeren … Nein, halt: Der süße, harzige Geruch eines sommerlichen Waldes macht mich immer noch froh.
      Viel Freude mit deinem Sohn in Stockholm.

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      • Lieber Rolf,
        mein Sohn hat die Vorstellung, ich hätte ihm nur Donats zu essen gegeben. Was war ich froh als mein Bruder ihm widersprach und erzählte, wie ich mühsam das frische Gemüse und auch Fleisch und Kartoffeln mit dem Pürierstab für mein Kind zerkleinerte.
        Da er Donats gerne ist und ich diese rationierte, blieben ihm wahrscheinlich diese als besonderen Genuss in Erinnerung.
        Samstag geht es los nach Stockholm, ich freue mich.
        Viele sonnige Grüße von Susanne

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  2. Das klingt wirklich nach einem rundum schönen, gelungenen und perfekten Tag (auch wenn das Eis nicht so schmeckte)! Solche glücklichen Momente sollte man wirklich festhalten. Danke, dass du das auch für deine Leser gemacht hast.

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  3. Diesen Song habe ich mir vor langer, langer Zeit einmal als Vinyl-Single gekauft ( da gabs noch keine CDS), gesungen jedoch nicht von Aretha Franklin, sondern von den „Edwin Hawkins Singers“.
    Immer noch steht sie in meinem Plattenschrank.
    Oh ja, so ein „Happy Day“ ist etwas wunderschönes, unbezahlbares, kostbares, das man für immer in der Erinnerung abspeichert.
    So kann man sich in Zeiten, in denen es mal nicht so gut läuft, dieses traumhaft schöne Gefühl, dieses Glück und diese Freude in die Gegenwart zurückholen.
    Für einen Moment oder länger.

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  4. Hallo Rolf,
    ein sehr schöner Vater-Söhne Bericht…da kann ich als Vater mit einem Sohn kaum mithalten…aber halt : wir waren gerade 5 Tage auf Langeoog (die Hamburger haben 1 Woche Schulferien) und der Sohn hat alles prima mitgemacht…in einem aber war ich besser…Im Mensch ärger dich ( nicht) Contest habe ich ihn 9 zu 5 geschlagen…er war dafür in der Menge des verspeisten Frühstückrührei unschlagbar….Was er vom Urlaub behalten wird weiss ich nicht, aber ich versuche die Zeit zu nutzen in der er noch mit seinem Alten Urlaub machen möchte…. 🙂
    Lieber Gruss, Jürgen

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  5. Auf einem Gleis muss die Freiheit grenzenlos sein. Der Aufenthalt in der Natur hat grossen Eindruck auf Dich gemacht. Das Eis kam nicht aus der Stadt, hier gibt es inzwischen schon superleckere Eisläden.
    Das Eis kam direkt von der Industrie – wie oft auch das Essen in Landgaststätten. Warum ist das in Brandenburg nur so?

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