Rotzlöffel

Wieder so ein Feierabend. Sonne scheint, Luft riecht gut der Himmel hängt hoch. Endlich! Aber keiner da für ein bisschen dummes Gerede in einem Biergarten, oder einem Café. Keine Kraft, jemand anzurufen, warum immer ich? Nach Hause will ich nicht. Nach einem Wochenende mit meinen lauten Jungs ist die Wohnung immer so leer und leise. Schnecken haben sie nochmal gesammelt, nachdem uns der Regen im Park überrascht hat. Sie haben ihnen noch mal Nester aus Blättern und Stöckchen gebaut. Aber dann haben sie sich zerstritten und die Tiere draußen im Hof ihrem Schicksal überlassen.

Also schlinger ich ein bisschen durch die Stadt. Kenn ich. Alles was ich sehe hab ich schon mal gesehn. Mal was Neues ausprobieren. SuperCoop? Da will ich nicht hin, muss aber. Muss man ja unterstützen, wenn sich 500 Leute zusammentun und einen Bio-Supermarkt gründen. Muss man? Die Idee käme aus New York, schreiben die jungen Rotzlöffel. Was wissen die denn. Hätten nicht nach Amerika fliegen müssen, die Klimaretter, hätten ich mal fragen sollen. „Wurzelwerk“ hieß der selbstverwaltete Bio-Laden im Friedrichshain, in dem ich schon in den 90ern im Vorstand war. Danach LPG und dann „Natürlich Bio“. Bis der letztes Jahr pleite ging. War nicht schade drum. Die überreifen Tomaten und welken Salate hab ich am Ende nur noch gekauft, weil ich die Besitzerin nach 10 Jahren nicht im Stich lassen wollte. Will ich mir jetzt wirklich wieder die Abende um die Ohren hauen wegen der Frage, ob man im Winter Paprika aus Ägypten ins Regal nehmen soll? Und dann sehen, dass deine Leute sie dann doch einfach bei Edeka kaufen. Es gibt kein richtiges Leben im falschen. Die Coop-Regale in der alten Fabrikhalle haben den Charme eines Lebensmittellagers vom Roten Kreuz. Nur keine Begierden wecken. Freundlich erklärt mir die junge Frau mit den kunstvoll vernachlässigten Haaren die Konditionen für den Kennenlernabend und den obligatorischen Arbeitseinsatz. Nur nicht sagen, dass sie mir gefällt. Nur keine Begierden wecken. Keine Lust hier zu stöbern, keine Lust, was auszuprobieren. Lieber wieder wie gestern unbekannte Früchte und verlockend glänzende Berge gerösteter Nüsse beim Baharat-Markt kosten als krümmliges Knabbergebäck zum selbst Abfüllen. Raus hier. Gehe heute lieber zu Ramona ins Café Kibo. Ramona war mal blond, heute hat sie eine schwarze, stachlige Punk-Frisur. „Du wirst immer schöner“, fange ich an. „Hab ich gemacht, weil ich Frust hatte.“, winkt sie ab. Ihre Tochter, die mit meinen Jungs in der Kita war, hab ich schon lange nicht mehr gesehen. Den Vater auch nicht. „Wie willst du deinen Kaffee?“ Ein Satz, und ich fühle mich willkommen. Die Bistro-Tische sind klapprig, die Farbe ist abgeplatzt, nebenan hat einer in der Shisha-Bar das große Wort. „Sagt der: Du hast Bankkaufmann gelernt, für einen Dönerladen bist du total überqualifiziert..“ Dann gehts weiter mit Autos und Tricks bei den Versicherungen. Der Sound des Wedding. Nach einer Ewigkeit kommt der Kaffee. Der schlacksige Kerl, der ihn zu meinem Tisch balanciert ist neu hier und hat einen drolligen französischen Akzent. „Tut mir leid, hab dich total vergessen. Ramona sagt, der Kaffee geht aufs Haus.“

4 Gedanken zu “Rotzlöffel

  1. Lernt doch jeder irgendwann, dass es weder richtiges, noch falsches Leben gibt, geschweige denn ein richtiges im falschen, oder falsches im nur richtigen. Sonder immer alles dazwischen. Mal nach der Seite geneigt, mal nach der anderen. Manche generell mehr nach der einen, andere sowieso nach der anderen. Muss ein Schaumschläger und Demagoge wie Adorno kommen und einem eine Theorie um die Ohren hauen, mit deren Hilfe er sich gesund beten wollte. Nicht mein Bier. Leider viel zu einflussreich.

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  2. Lieber Kafka, schön wieder von Ihnen zu lesen. Ich freue mich jedes Mal. Mit der Athmosphäre haben Sie das irgendwie raus. Da sitzen die Worte. Aber engen Sie auch nicht ein. Man spürt die Situation, es bleiben aber genug offene Stellen für eigene Gedanken. Danke

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  3. Danke, wenn das heißt, dass der Text bei ihnen weitere Gedanken auslöst, freut mich das. Mir selbst macht es Spaß, meine Gedanken zu verflechten und zu verdichten. So wie es sich gerade ergibt. Bin kein Freund ausufernder Geschichten.

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  4. Die Kunst des Alterns hast Du perfekt beschrieben. Warum immer ich? Kenn ich. In der Stadtplanung werden in Berlin Überlegungen angestellt die haben wir vor 30 Jahren in einem Wettbewerb gewonnen und kein Politiker hatte den Mut so etwas extremistisches anzugehen.
    Hier kommt am Samstag immer ein gesundheitlich sehr schlecht aussehender, rauchender, fahrender Biohändler vorbei und versucht seine abgehangenen Reste anzubieten. Natürlich kaufe ich manchmal etwas, sonst kommt er gar nicht mehr. Danke für Deine Bilder und halte Dich von wild aussehenden Mädchen fern. (lach) tom

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