Dicke Hintern

Der Fotograf schaut mich von unten mit seinen braunen Hundeaugen an, als ich mich im grellen Neonlicht Schicht für Schicht vor ihm entblättere. Er ist nicht wirklich interessiert und kümmert sich lieber um die Kleine mit dem dunklen Bob, die aufgeregt vor einem Bildschirm steht. Sie scheint nicht zufrieden zu sein mit dem Shooting, das er mit ihr gemacht hat. Flott sieht sie aus, hat Fön und Schere in den Händen, mit denen sie wie mit Pistolen in die Luft zielt. Das ganze „Foto Image“-Studio ist voll von solchen kreativen Bildideen des Künstlers. Eine schwarze Schwangere mit einem Sprühsahneherz auf dem prallen Bauch, eine Frau im weißen Hochzeitskleid, die sich pathetisch über eine Parkbank wirft, während sie die Hand ihres erstarrten Bräutigams hält. Solche Bilder. Sie füllen den Raum und laufen in Dauerschleife auf dem Bildschirm. Der Fotograf redet mit seiner Kundin was auf Türkisch, dann fallen sie ins Deutsche. Erst als ich Schal, dann Helm, dann Mütze ausgezogen habe, bemerkt er mich und grunzt ein Geräusch des Wiedererkennens. Es ist sein Recht, sich gleich wieder schlecht gelaunt hinter seinem Monitor zu vergraben, denn keiner erkennt seien wahre Meisterschaft und ich will auch nur Passfotos.
„Wird das ein Prospekt für Ihren Friseursalon?“, frage ich die Frau neben mir, um ein bisschen Konversation zu machen, bis der Meister geruht, nach meinen Wünschen zu fragen. „Nein, sagt sie, ich bin mobile Hundefriseurin. Aber ich habe auch ein Zimmer bei einem Tierarzt. Und da soll jetzt das Foto hin…“ „Damit ihre Kunden sehen, dass sie nicht beißen“, ergänze ich, verwundert über meinen Sprachwitz kurz nach Feierabend. „Ist das hier im Wedding?“ „Nee, im Wedding gibt’s ja nicht mehr so viele Deutsche. Und Türken haben kaum Hunde.“ Bevor ich richtig anfangen kann, Smal Talk zu machen, kommt der Fotograf wie eine schlecht gelaunte Kröte hinter seinem Tresen hervor. Es ist klar, dass er jetzt bald den Laden zumachen will. „Zufrieden?“, macht er eine Kopfbewegung  zu der Frau hin. Sie nickt. „Du hast wenigstens meinen Leberfleck im Gesicht gelassen. Ich war bei einem anderen, der hat auf dem Foto alles weggemacht. Als ob das was Schlechtes wär. Das gehört doch auch zu mir.“ „Da warst du bei einem Türken“, erhebt der Meister belehrend seine Stimme. „Die machen alles mit einem Klick weg, das ist ein Programm, da drücken die nur einmal drauf. Geh nicht zu Türken.“  Und es ist klar, dass es für ihn billige Türken gibt, und gute Türken, so wie ihn. „Ich bin doch selber Ausländerin, kommt es zurück. Aber die haben nicht gefragt. So ein Leberfleck ist doch schön, oder?“ Sie blickt mich fragend an. „Ja,“ sag ich,  war früher sogar Mode, sich Schönheitsflecken ins Gesicht zu kleben.“ „Jetzt sind dicke Hintern Mode“, kommt es von der anderen Seite des Tresens. Die kleine Frau nickt. „Mit so was kleinem wie meinem, guckt dich keiner mehr an.“ Der Fotograf erklärt mir das neue Berliner Schönheitsideal. „Da hatte ich die Tage eine schwarze Frau, und die haben ja sowieso schon…“ Er macht mit seinen Händen die Geste einer aufgehenden Sonne. „Aber die sagte: Kannst du das nicht so machen, dass es ein bisschen nach mehr aussieht, sonst gefällt das meinem Freund nicht.“

Dann winkt er mich in sein Atelier, das nur durch einen Glasperlenvorhang vom Laden geteilt ist, sagt mir, wie ich biometrisch schauen soll und knipst ein paar Mal. Kommentarlos gibt er den Druckauftrag in die riesige Entwicklermaschine hinter sich. Auf den Bildern, die sie ausspuckt, sehe ich aus wie ein Typ aus „Breaking Bad“ und das sage ich dem Meister auch. „Reicht jetzt“, zischt er, nimmt meine 10 Euro und schließt die Ladentür hinter mir zu.

9 Gedanken zu “Dicke Hintern

  1. Ich hab mein Passfoto direkt in dem im Bürgerbüro stehenden Automaten gemacht.
    Diverse Piktogramme zeigten mir ausführlich und unmissverständlich, wie und was ich machen muss, damit das Foto vorschriftsmäßig ist.
    Das war alles kostenlos.
    Und was soll ich sagen?
    Auf dem fertigen Foto sehe ich genau so aus, wie ich aussehe.
    🙂

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