Belle Et Triste

Friederike Reinhold und Winfried Kellmann

BELLE-ET-TRISTE heißt die etwas versteckt gelegene Buchhandlung bei mir um die Ecke. Seit 40 Jahren führen Friederike Reinhold und Winfried Kellmann gemeinsam die einzige verbliebene Literaturbuchhandlung in diesem Teil der Stadt. Wie haben die beiden es geschafft, gegen alle Widrigkeiten zu bestehen? Und wie wird es die nächsten Jahre weiter gehen? Ein Interview über eine große Freundschaft, verborgene Bücher und einen Hund.

Wir sitzen schon seit einer Stunde zwischen den raumhohen Regalen mit Kinderbüchern und den Büchertischen mit Romanen und politischen Sachbüchern. Das Gespräch hat sich schon etwas von dem Interview entfernt, das ich für den Stadtteil-Blog “weddingweiser“ führe. Die Atmosphäre ist fröhlich. Der Humor ist brillant, knochentrocken und liebevoll. Es macht Friederike Reinhold und Winfried Kellmann sichtlich Freude, ein wenig selbstironisch ihre 40 wilden Jahre im Wedding Revue passieren zu lassen. Die Pointen sitzen. Hätten die beiden sich nicht den Büchern verschrieben, hätten sie eine Karriere im Kabarett machen können. Ein weißer, wuscheliger Hund (ein Westie) mit Knopfaugen legt sich unter Reinholds Stuhl.

FR: Das ist Lumpi, der berühmteste Hund des Wedding. Den kennt jeder, denn jeder kommt mal zu uns. Eine Mutter hat uns einmal berichtet, dass ihre Tochter Lumpi sogar in ihr Abendgebet mit aufgenommen hat.

WW: Ich kannte bisher nur Bibliothekskatzen, die gehalten werden, um die Mäuse zu fangen. Was macht ein Hund in der Buchhandlung?

FR: Lumpi hat sogar schon mal eine Ratte gefangen, die sich in der Tür geirrt hatte und sie mir dann stolz vor die Füße gelegt. Ich musste dann einen Kunden bitten, das tote Tier nach draußen zu bringen.

WW: Sie haben als einzige inhabergeführte Buchhandlung im Wedding 40 Jahre überlebt. Wie haben Sie das gemacht?

FR: Wir lieben Literatur – und wir müssen uns keine Tariflöhne zahlen.

WW: Die letzten Jahre müssen doch schwer für Sie gewesen sein. Die große U-Bahnbaustelle vor der Haustür, Corona und jetzt die Verunsicherung durch den Krieg.

WK: Corona war für uns, so ambivalent sich das anhört, erstmal gar nicht schlecht, da Buchhandlungen ja nicht schließen mussten. Wir haben viele Stammkunden. Und Leute, die neu im Wedding sind, suchen uns per Internet. Sie googeln „Buchhandlung Wedding“ und finden uns ganz oben. Aber ich möchte keine Werbung für Google machen. Ich empfehle unsern Kunden immer die Suchmaschine Swisscow. Sie schützt die Daten der Nutzer, anstatt sie abzugreifen und ist, nach unserer Erfahrung, genauso gut wie die Datenkrake.

FR: Die Krise durch den Ukraine-Krieg, die merken wir jetzt deutlich. Die Leute haben Angst, sind verunsichert, fürchten Wohlstandsverluste.

WW: Aber für Reisen wird doch jetzt viel Geld ausgegeben. Was können sie für den Urlaub im Sommer empfehlen?

FR: Das ist ganz unterschiedlich. Wir hatten ja immer schon ein sehr gemischtes Publikum. Da fragen wir nach und empfehlen was passen könnte.

WW: Ja, das stimmt. Das machen Sie sehr gut Als ich vor Jahren bei Ihnen ein Buch für einen langen Flug nach Asien gesucht habe, haben Sie mir zwei empfohlen: Donna Tart und Irvin Yalom. Und als ich mich nicht entscheiden konnte, sagten sie: Nehmen Sie eins für die Hin- und eins für die Rückreise. Das hat prima gepasst. Vielen Dank.

Aber jetzt doch mal die Frage: 40 Jahre zurück: Wie hat das alles angefangen?

Etwa 1986: Die langen Haare sind ab. Neustart in der Amsterdamer Straße

WK: Ich war 1982 mit dem Studium fertig (Französisch und Sozialkunde) und wir haben dann den Buchladen „Setzling“ in der Brüsseler Straße übernommen. Der war dort, wo jetzt das „Escargot“ ist. Schon damals war die Brüsseler Straße recht alternativ. Mit Naturkostladen und so weiter. Unsere erste Schaufensterdekoration, noch während der Bauphase, war das aufgeschlagene „Kapital“ mit Bildnis von Karl Marx. Hat niemanden gejuckt, aber es fand außer uns auch niemand witzig.

Friederike hat im Laden noch auf ihr Examen (Germanistik und Politik) gelernt.

WW: Sie kannten sich schon vorher?

FR: Ja, schon von der Schule in Münster.

WW: Und, waren Sie damals ein Paar?

FR: Erst Ja, dann Nein und dann wieder Nein.

WK: Hm, Hm. Brumm brumm

WW: Vertragen sich Liebe und Beruf nicht miteinander?

WK: Nein, unsere Partner hatten etwas dagegen. (lacht).

FR: 1986 sind wir dann in die Amsterdamer Straße gezogen und haben uns vergrößert. Eine Zeit lang hatten wir nebenan auch noch ein Spielzeuggeschäft und eine Filiale im Rathaus Wedding.

Expansion: Das Belle Et Triste kommt groß raus.

WW: Hat sich die Kundschaft verändert mit der Zeit?

FR: Wir haben Stammkunden seit den 80ern. Einer von ihnen hat die „Andere Bibliothek“ abonniert, seit Beginn.

Natürlich ändern sich auch die Wünsche der Leserschaft. Die Komplett-Ausgaben, mit denen Zweitausendeins mal groß rauskam, sind nicht mehr gefragt.

WK: Die brauchen zuviel Platz im Regal und werden zu selten geöffnet. Auch ich bin immer mehr für’s Taschenbuch. Auch für broschierte, durchaus auch aufwendig hergestellte Bücher. Die sind schmaler, als ein gebundenes und die „gebundenen“ sind in der Regel auch nur geklebt und eben nicht fadengebunden.

WW: Und der Online-Buchhandel. Was hat der verändert?

FR: Wir sind ja schon lange online

WW: Wenn ich ihre Website anschaue, fühle ich mit tatsächlich zurückversetzt in die 1990er Jahre.

WK: Das stimmt. Wir mögen halt keinen Schnickschnack wie laufende Bilder, oder „das könnte Sie auch interessieren“. Dieses Content-Management für Klick-Affen machen wir nicht mit. Seit letztem Jahr findet man auf unserer Seite minutenaktuell unseren Lager-Bestand. Ich glaube, damit sind wir, als stationäre Buchhandlung, einzigartig.

FR: Und seinen Bestellstatus kann jeder online einsehen. Auch das ist, nach meiner Kenntnis, bisher einzigartig im örtlichen Buchhandel. Wir haben außerdem viel mehr Bücher vorrätig, als wir im Laden frontal ausstellen können.

WW: Verborgene Bücher?

WK: Das trifft es genau! Die werden oft nicht wahrgenommen. Die Kunden lieben es, zu stöbern. Doch nehmen sie dabei meist nur die frontal präsentierten Titel war. Ganz oben im Regal kann auch niemand stöbern, da braucht’s die EDV. Unsere Kunden erwarten oft gar nicht, dass wir neben den Auslagen auch andere Bücher vorrätig haben und sind überrascht, wenn sie das gewünschte Buch gleich mitnehmen können. Natürlich haben wir nicht alles. Doch mit der Nase stößt man nur auf aktuelle Titel, die frontal präsentiert werden. Wenn man beim AmaZoni suchen kann, kann man es auch bei uns. Wir werden bald einen Bildschirm im Laden aufstellen, an dem jeder auch selbst, wie auf unserer Website, in unserem Bestand suchen kann.

WW: Mir gefällt ja besonders ihr großer Bestand an Literatur aus dem Wedding und über den Wedding. Das findet man nirgendwo sonst.

FR: Die Weddinger sind außerordentlich regionalbewusst. Gerade die Neuen interessieren sich für die Geschichte und Geschichten aus dem Wedding. Die historischen Bildbände von Ralf Schmiedecke und auch die Bücher von den Autoren der Lesebühne „Brauseboys“. Oder Neukrantz’ „Barrikaden am Wedding“. Wir fördern das auch ein bisschen. Vor 20 Jahren kam Horst Evers zu uns mit einem zusammengehefteten Bändchen mit Geschichten und fragte, ob wir die in Kommission auslegen könnten. Das haben wir gemacht.

WW: So wie ich vergangenes Jahr mit meinem Bändchen. Vielen Dank, das ermutigt zum Schreiben.

FR: Mit Heiko Werning und anderen haben wir auch Lesungen bei uns im Laden gemacht. Das kam gut an.

WW: Sie fühlen sich also der Literatur im Wedding verpflichtet. Ist „Belle et Triste“ auch eine poetische Reminiszenz an diesen traurigschönen Stadtteil?

WK: Könnte man meinen. Aber es kommt von „Belletristik“ und Belletristik

kommt von „belles lettres“ im Französischen.    Deshalb ist es ein deutsch-französisches Wortspiel: „belle et triste“.

WW: Und wie lange wird es „Belle et Triste“ noch geben?

FR: Bis uns einer hier rausträgt.

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