Trostpflaster

Wenn der Himmel grau ist und der Regen beständig nieselt, wenn die Wege, die du gehst die gleichen sind, die du schon seit Jahren läufst, dann ist es Zeit mal genauer hinzuschauen.
Ist das, was du jeden Tag mit Füßen trittst nicht ein wahres Wunderwerk? Ist das Grau, das sich auf den Straßen deines Viertels breit macht nicht ein Gemisch aus tausend Farben, ein Mosaik aus eitel Edelstein? Millionen Jahre sind die „Großsteine“, „Katzenköpfe“ oder „Kopfsteine“ vor deiner Haustüre alt. Sie waren das Blut der Erde, ihre brodelnde Glut , sind gestocktes Magma aus dem Erdinneren und jetzt steinhart und unverrückbar: blauschwarzer Basalt, rot gemusterter Prophyr, roter und grauer Granit und die Grauwacke verrät ihre Farbe selber. Ihre wilden Zeiten sind vorbei, und doch sind sie bunt und schön. Das solltest du dir zum Vorbild nehmen. Seit mehr als 100 Jahren sind sie in Berlin, liegen da, ohne sich zu beklagen. „Am Grunde der Moldau wandern die Steine…“ heißt es bei Berthold Brecht. Die Berliner Steine sind nur einmal gewandert: Vom schlesischen Steinbruch bis nach Berlin. Seither trampeln wir über sie hinweg, und sie bleiben liegen. „Das Große bleibt groß nicht, und klein nicht das Kleine…“ geht es bei Brecht weiter. Das stimmt. Auch die großen Steine gehen kaputt, wenn Bomben drauf fallen, oder Panzer darüber rollten, oder wenn sie rausgerissen werden, damit Räder schneller rollen können. Aber dann macht man kleine draus und setzt sie in das Pflaster der Gehwege, das typische Berliner Mosaik und wenn sie auch da auseinnander gehen, werden sie mit Beton vermischt und die gleiche Farbenvielfalt taucht in den Gehwehgplatten wieder auf. Sie sind nicht unter zu kriegen.

Was können wir also von dem Kopfsteinpflaster lernen? Das Liegenbleiben, das geduldig Sein und dass man die schönsten Sachen sehen kann, auch wenn man den Kopf hängen lässt.

Und noch etwas können uns die Steine lehren: Auch wenn nicht mehr das alte Feuer in einem kocht. Für einen Tanz auf dem Vulkan reicht es allemal (Unter Berlin gibt es tatsächlich unter all dem Dreck und Sand und Eiszeitgeröll einen erloschenen Vulkan, wer hät‘s gedacht?). Also bin ich in die U-Bahn gestiegen und tanzen gegangen. Tut auch gut gegen den Winterblues.

Ludmilla Seefried-Matejkowa „Tanz auf dem Vulkan“ Nettelbeckplatz, Berlin-Wedding Material: Grauer und roter Granit; Foto: Wikipedia CC-BY-4.0

13 Gedanken zu “Trostpflaster

  1. ganz, ganz liebevoll hervorragend, lieber rolf. und sooo schöne, stimmungsvolle fotos dabei. eine wahre augen- und seelenweide! und auch für die verlangsamung von allem: nur zu fuß sind diese steine zu genießen – schon das fahrrad hoppelt zu schnell darüber hinweg. ganz herzliche grüße! jupp

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  2. Danke, lieber Jupp, so ganz freiwillig ist das zu-Fuß-Gehen ja immer noch nicht. Das mit der Schulter ist immer noch nicht gut. Aber man sieht die Stadt tatsächlich mit anderen Augen.

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  3. Ein schöner Beitrag über den Belag auf dem wir stehen und laufen. In den 90iger hatte ich mit einem Entwurf für die Abfolge von Steinen, kleinen Steinen, Streifen für den Gehweg am Ku-Damm entworfen. Nach dem Regierungswechsel hat sich keiner mehr erinnert….

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  4. Schade, dein Muster hätte ich gerne gesehen. Mir ist aufgefallen, dass es in den schicken Straßen wie Ku’damm oder Linden weniger bunt und zusammengewürfelt aussieht, eher gradlinig und schwarz-weiß (Marmor?)

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