Où sont les neiges d‘antan…?

Ich schalte das Radio aus, das mir erzählt, dass es heute wieder Demos gegen Rechts in der Stadt gibt. Es ist 12 Uhr. Die ersten Demos haben eh schon begonnen und das Programm meiner Waschmaschine scheint mir heute besser für meine Nerven. Müde beobachte ich wie sich eine kleine rote Kinderunterhose keck gegen die Übermacht des Dunkelblau und Oliv behauptet. Ich war mit meinen Jungs in Bayern – auf der Suche nach Schnee. Gab keinen Schnee mehr. Vor sechs Jahren sind wir in Füssen im Allgäu direkt vor der Jugendherberge im Schnee ertrunken. Jetzt mussten wir mit der Seilbahn 500 Meter höher fahren, um noch ein paar weiße Flecken zu finden. Mit dem Bus sind wir dann nach Österreich, nach Reutte. Wir waren die einzigen Fahrgäste. Am Bahnhof schaufelten sie mit Frontladern den übriggebliebenen Schnee auf Lastwagen, um damit die Skipisten weiß zu halten, wie uns der einsame Busfahrer erzählte. Auch am übernächsten Tag sind wir wieder seine einzigen Gäste auf dem Weg zur „Alpentherme“. Irgendwas muss ich den Kindern ja bieten, wenn sie schon nicht rodeln können. Der Busfahrer, der mich entfernt an den alternden Elvis erinnert, scheint sich für seinen für seinen Job zu schämen. „Wenn schlechtes Wetter ist, ist der Parkplatz hier voll. Dann stehen die Autos bis runter in die Stadt.“, berichtet er stolz, als er uns vor der Therme abliefert. Ich frage ihn nicht, ob sein Bus dann auch voller ist. Der Himmel war strahlend blau und wolkenleer. Ich bahne für meine Jungs einen halbwegs sicheren Weg über den halbvollen Parkplatz durch die Autos zum Schwimmbad. An einen Zugang für die Fußgänger von der Bushaltestelle hat hier keiner gedacht.

Das Blau und das Oliv werden immer dunkler. Die Trommel dreht sich mit beruhigendem Brummen. Aber nur durch den kleinen roten Fleck merke ich zu ersten Mal, dass die Trommel bei jeder zweiten Umdrehung die Richtung wechselt. Ist mir noch nie aufgefallen. Dachte immer, das geht nur in eine Richtung. Plötzlich fängt die ganze Maschine an zu rumpeln. Das schmutzige Geschirr, das ich auf die Maschine gestellt habe, beginnt hell zu klirren, während unten die Trommel immer mehr Unwucht bekommt und den ganzen Apparat in ein bedrohliches Stampfen bringt. Dabei habe ich die Drehzahl schon auf 800 runtergedreht. Die Maschine fängt sich wieder und das Schleudern hört auf. Sanft surrt der Motor von links nach rechts. Auf der Website der Berliner Polizei sehe ich, dass es heute eine Menge Demos gegen Rechts gibt. Vielleicht schaffe ich es heute Abend ja noch zu einer Lichterkette.

https://youtu.be/VR5dRbx18fM?feature=shared

Das ist die erste Version des Liedes Où sont les neiges d‘antan von Ulrich Roski. In eine spätere Version hat er als Schlussstrophe „Und käme der Vorjahresschnee wieder her, so wär er so weiß wie früher nicht mehr.“ verwendet, die mir die Idee für den heutigen Blogbeitrag gab.

Kein Ort nirgends

Wir sitzen am Sonntagnachmittag im sonnigen Schrebergarten und trinken Kaffee. Die Bäume spenden Schatten und es gibt Kekse. Es ist ein Ort, von dem man glauben will, dass man hier alt werden wird. Hier eine Hecke, dort ein Beet; Bäume, die man wachsen sehen möchte. Ein paar Kinder auch.

Doch die Gespräche passen nicht dazu. Es geht um unsere Reisen nach Skandinavien, es geht um Fluchtpunkte. „Nordschweden ist so gut wie unbesiedelt, da könnte man noch hin.“ “Vergiss es. Da leben schon jede Menge Deutsche und du wirst da von den Mücken aufgefressen. Und außerdem wirkt dort der Klimawandel noch stärker als hier.“ Finnland ist auch nicht mehr der Traumort, seit hier die Fortsetzung des „Fortsetzungskrieges“ von 1941 gegen Russland möglich scheint. Mein stiller Geheimtipp war der Urwald an der Grenze zwischen Polen und Weißrussland. In einem Roman von Olga Tokarczuk hatte sich die Hauptfigur dort versteckt, weil dort nur ein paar Naturforscher leben und die Polizei einen nicht mehr findet. Seit dort syrische Flüchtlinge über die Grenze getrieben wurden, liegen in dem Wald Leichen und es gibt mehr Polizei als in Berlin am 1. Mai. Die Orte, wo man sich vor dem ganzen Wahnsinn verstecken und überleben kann, werden also knapp. Mittlerweile gibt es sogar Bücher, die europäische Flüchtlingsströme nach Zentralafrika vorhersagen, weil es dort nach dem Klimawandel am erträglichsten sein soll.

Einfach abhauen, sich verstecken, an einem einsamen Ort, an dem das Weltgeschehen einfach vorbeiläuft: Das ist seit langem eine Exitstrategie, ohne die ich nicht leben kann. Ich bin groß geworden mit den Erzählungen meines Vaters, der als Kind in Schlesien im Winter 45 zuerst von den deutschen, dann von den sowjetischen und dann endgültig von den polnischen Soldaten aus seinem Vaterhaus vertrieben wurde. Das wollte ich nicht erleben. Schon im Kalten Krieg habe ich deshalb dem Frieden nicht so recht getraut und mich in das alte Bauernhaus eines Freundes im Hunsrück verzogen. Eine menschenleere Gegend zwischen Rhein und Saar. Doch kaum war ich da, beschloss die US-Armee, genau dort ihre atombestückten Cruise Missiles zu stationieren. Damals haben wir uns noch gewehrt. Demonstriert, blockiert und gesungen. Irgendwann waren die Cruise Missiles weg, sie wurden dann später auf Bagdad abgefeuert, aber ich suchte mir lieber einen neuen Fluchtpunkt: im Osten. Hier, soviel war nach dem Mauerfall klar, würde es so bald keinen Krieg mehr geben. Die Geschichte war zu Ende, und es gab jede Menge verlassene Gebäude, in denen man sich hätte einnisten können. Kleine Bahnwärterhäuschen hatte ich besonders im Auge, weil die mich an den Film “Die Stunde Null“ von Edgar Reitz erinnerten. Hier ziehen am Kriegsende die Amis und die Russen einfach an einer solchen Eisenbahnersiedlung vorbei. Das Glück wollte ich auch haben. Das Gleiche las ich in Stefan Heyms Roman “Schwarzenberg“, wo ein kleiner Ort im Erzgebirge am Kriegsende von den Siegermächten einfach vergessen wird. Ich erinnere mich auch an eine Reihe von Filmen nach den 90ern, alle mit Joachim Król, in denen die Flucht nach Osten als idealem Ort durchgespielt wurde. “Wir können auch anders“, „Zugvögel“ oder später irgendwas mit Schamanen in Sibirien. Aber weiter als Berlin bin ich nicht gekommen. Und alles weiter östlich ist gerade nicht mehr so attraktiv.

Was also tun? Im Keller wieder Kohlen, Kartoffeln und selbst Eingemachtes lagern, wie das meine Eltern gemacht haben? Dazu müsste ich erst einmal wieder einen Ofen haben und keine Gas-Therme, die diesen Winter kalt bleiben wird. Rausgehen „Into the Wild“ (auch so ein Flucht-Film) und mir eine Hütte bauen? Das habe ich schon bei den Pfadfindern nicht gemocht. Wahrscheinlich mache ich das, was ich immer schon gemacht habe: Hoffen, dass das alles irgendwie gut geht. In den Filmen gibt es ja auch immer ein Happy End.

How to be good

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Wieviel Leid muss der Mensch ertragen können, um die Welt zu retten?

Ich wollte meine Tochter besuchen, die gerade in Venedig studiert. Und ich wollte das so machen, wie ich das immer mache: Da wo ein Zug hinfährt, muss ich nicht hin fliegen. Und die kluge Tochter hat es mir vorgemacht und ist mit dem Nachtzug von München nach Venedig gefahren. Das ist ein Zug, den man im Fahrplan der Deutschen Bahn vergeblich sucht und erst findet, wenn man bei der Österreichischen Bundesbahn nachschaut. Aber immerhin, es gibt ihn. Und ich liebe es, mit dem Nachtzug zu reisen. Reine Nostalgie, ich weiß, aber es ist auch ein gutes Gefühl , dem Klima ein paar Tonnen Kohlendioxid zu ersparen und  auch noch eine dramatische Alpenüberfahrt bei Nacht gratis dazu zu bekommen. Ganz großes Kino!

Doch ich bin zu spät. Der Klimawandel hat nicht nur mein Reiseziel unter Wasser gesetzt, er hat auch den Alpen einen Sturzregen beschert, der die Gleise unterspült hat. Seit Tagen bekomme ich von der ÖBB Nachrichten, die mir Umleitungen und Verspätungen ankündigen. Doch wer bin ich, dass ich mich von solchen Kleinigkeiten von einer Reise abhalten lasse? Mit Zugverspätungen in südlichen Ländern verbinde ich die wunderbarsten Erinnerungen an Zeiten, in denen man noch mit anderen Rucksackreisenden und ein paar Clochards in den Bahnhofshallen übernachten konnte. Aber in der Mail von gestern war eine weiter Warnhinweis: Streik bei der italienischen Trennord. „Viva lo sciopero!“ war ein extra Kapitel in meinem Reiseführer „Anders Reisen Italien“, mit dem ich in den frühen 80ern das Land bereiste. Es lebe der Streik, jawoll! Jeder Streik ein weiterer Schlag in die Fresse des Kapitals. Natürlich waren wir solidarisch mit den Genossen der Eisenbahngewerkschaft. Heute unkt meine sozialdemokratische Kollegin „Da wollen bloß ein paar gut bestallte Bahnbeamte durchsetzen, dass sie weiter mit 58 in Rente gehen können.“ So weit ist es mit der internationalen Solidarität gekommen.

Und ich? Ich muss zugeben, dass die Aussicht auf einem nasskalten norditalienischen Bahnhof Ende November mit ungewissen Aussichten über Stunden hinweg auf meinem Gepäck zu sitzen mich nicht wirklich begeistert. Warum streiken die Kollegen nicht im Sommer?

Also doch fliegen? Als fliegender Streikbrecher und Klimasünder gleichzeitig?
Wer sonst könnte das entscheiden als die Generation, von der wir unsere Erde angeblich nur geborgt haben? Ein paar SMS hin und her und meine Tochter schickt mir eine Verbindung von easyjet, 150 Euro hin und zurück. Und sie sagt mir, dass ich Zusatzgepäck buchen soll. In Venedig braucht man Gummistiefel.