Zwei Mal Kommunion, mit Scharf

IMG_6484

Es war ein Sonntag vor ziemlich genau fünfzig Jahren. Ein Sonntag, den man bei uns „Weißer Sonntag“ nannte. Da lief ich im schwarzen Anzug mit einer dicken Kerze hinter unserem Pastor und neben meinen Mitschülerinnen in Weiß durch die Dorfstraße. Hinter uns lagen Monate des priesterlichen Katechismusunterrichts und viele Testläufe, wie wir einer nach dem anderen zum Altar schreiten sollten, wie wir die Zunge rausstrecken sollten, damit der Pfarrer die geweihte Hostie darauf legen sollte und wie wir in tiefer Versenkung gebeugten Hauptes unter den Augen unserer Eltern zurück zu den knarrenden Holzbänken schreiten sollten.
Vor uns lag die Dorfkirche, was Kleines zum Futtern (immerhin: der Leib Christi) , was Leckeres zum Trinken und ein Fest mit allen Tanten und Onkeln, fettem Buttercremekuchen und: Geschenke! Dafür machten wir ja das alles mit. Leider gab es von den Tanten vor allem Pralinen, nur manchmal einen 10-Mark-Schein und, immerhin, meine erste Uhr und mein erstes eigenes Fahrrad! Metallicblau und mit viel Chrom. Dieses Ritual, diese Bestechung und diese Gewissheit, endlich zu den Großen und Rechtgläubigen zu gehören, hat mich stramm auf Kurs gehalten, bis in die Pubertät. Ich bin brav in die Kirche gegangen, habe Lieder gesungen, die ich nicht verstanden habe und Sünden gebeichtet, die ich nie begangen hatte. Dabeisein ist alles.

Meine Söhne sind jetzt Acht, ungetaufte Heidenkinder und nicht im Schoß der hl. katholischen Kirche wachsen sie auf, sondern, zumindest wenn sie zu ihrem Vater kommen,  in der großen Stadt, die laut und verwirrend für sie ist. Wie kann ich ihnen das Gefühl vermitteln, dass aus sie jetzt schon groß sind und dazu gehören, zu der Welt der Erwachsenen? Am besten ohne lange zu überlegen, aus dem Bauch heraus.

Es ist Sonntag, der letzte Tag der Winterferien. Hinter uns liegen ein paar Tage in Bayern, in denen wir nur mit viel Glück ein paar verschneite Hügel gefunden haben. Es ist Mittag. Vor uns nichts als ein leerer Tisch und ein leerer Kühlschrank. Ich hatte nach zwei mal Umsteigen mit zwei Jungs und einem 20 Kilo schweren Koffer einfach keine Lust mehr, einzukaufen. „Wart ihr schon mal beim Döner?“, frage ich. „Na klar!“, kommt es zurück. „Kennen wir schon!“ Ich glaube den kleinen Großmäulern kein Wort. „Mit Mama? Bestimmt nicht“. Ein, zwei Fangfragen später ist klar: Es ist Zeit, meinen Söhnen die wirkliche Welt des Wedding zu zeigen. „Kommt, wir gehen in die Müllerstraße. Heute gibt es Döner zu Mittag.“ Ungläubige Kindergesichter hellen sich auf: „Echt jetzt? Das dürfen wir jetzt?“ „Ja“, sag ich, „los jetzt, in die Jacken, und vergesst die Mützen nicht, die ich euch zu Weihnachten geschenkt habe.“ Diese Mützen finden sie doof und wollen damit auf keinen Fall gesehen werden. Heute geht es ohne Murren. Mit Triumph und Vorfreude geht es, der Vater mit den Söhnen, die Müllerstraße runter. Wir haben was vor, ein Abenteuer! „Drei Mal Mini-Döner, zwei Mal Kräuter, ein Mal scharf, ohne Zwiebel“, bete ich vor den Augen meiner staunenden Zwillinge das Berliner Evangelium fehlerfrei vor dem Dönermann runter. Sie beobachten das heilige Ritual des Messerschärfens, des Absäbelns und das Grillen der Brote. Ich bin selbst ganz ergriffen. Hat der Dönermann nicht gerade gesagt „Nehmet, und esset alle davon?“, als er die kleinen Fladen über den Tresen reichte?  Nein, er hat gesagt: Die Getränke nehm se sich selbst ausm Kühlschrank.“ ‚Ruhig bleiben. Fanta und Sprite. Jeder darf sich  eine eigene Flasche aus dem großen Kühlschrank holen und trägt sie wie einen Schatz zum Tisch, auf den sie schon Gabeln und Messer gelegt haben. „Das ist Lamm, was ihr da esst“, schocke ich die beiden, die schon mit den Gabeln in den Brottaschen herumpicken. Glauben wollen sie es lieber nicht. Hab ich das mit dem Lamm Gottes geglaubt, damals? Nein, aber es hing ja auch nicht an einem Spieß und war knusprig braun.
So schnell, dass ich nicht gucken kann, haben sich die Jungs die Döner nach Berliner Sitte in die Hand genommen und beißen beherzt zu. Fällt kaum was auf den Boden. Schon fast wie die Großen. „Is nicht zu scharf?“ frage ich. „Nö“ kommt es echt cool (oder crash, wie das immer öfter bei ihnen heißt) von den harten Burschen an der anderen Tischseite. Hallelujah! Es ist vollbracht.
Die Flaschen jonglierend sprinten wir über die sonnige Straße zurück. Zuhause warten noch Geschenke auf sie. Zwei Armbanduhren, es ist das richtige Alter. Ich habe sie vom Roten Kreuz für’s Blutspenden bekommen. „Das ist mein Blut, dass ich für euch…“ Eine katholische Erziehung sitzt doch tiefer, als man denkt.