
Es war ein besonderer Tag in diesem eher biederen Teil des Wedding, der seit über 100 Jahren „Afrikanisches Viertel“ heißt. Es ist geprägt von Kleingartenanlagen,von Kneipen, die „Zur gemütlichen Ecke“ oder „KIKI-die Partykneipe“ heißen und von Leuten, die sich im türkischen Aufbackshop Jumbo-Schrippen für 35 Cent kaufen. Wann schaut hier schon mal jemand vorbei?
Doch letzten Freitag war alles anders. Da war mein Viertel mal so bunt und vielfältig, wie es sein Name verspricht. Und an so einem besonderen Tag kam auch ein richtiger König zu Besuch. Etwa hundert Menschen aller Hautfarben und Nationen versammelten sich, um zwei neue Straßenschilder zu feiern. Auf dem einen stand „Manga-Bell-Platz“ auf dem anderen „Cornelius- Fredericks-Straße“. Beides Widerstandskämpfer gegen die Kolonialherrschaft, die von den deutschen Truppen ermordet wurden. Vorher stand da „Lüderitzstraße“ und „Nachtigalplatz“. Beides Namen von Männern, die für die grausame koloniale Vergangenheit Deutschlands standen. Es gab Life-Musik und die Stimmung war fröhlich und hoffnungsvoll. Alle hatten sich fein gemacht, um das Besondere des Tages zu unterstreichen: Nicht nur die Botschafter von Kamerun und Namibia. Auch Jean-Yves Eboumbou Douala Bell, König der Douala in Kamerun hatte sich trotz des nebelkalten Tages ein farbenfrohes Gewand angezogen und harrte darin tapfer die ganze, mehr als zwei Stunden dauernde Zeremonie aus. Zum Glück hatte einer seiner Untertanen daran gedacht, ihm zwar keinen Thron, aber immerhin einen soliden Stuhl mitzubringen, damit der greise Herrscher sich ab und zu mal setzen konnte. Die einheimischen Unterstützenden von „Berlin Postkolonial“ trugen zur Feier der Tages ihre beste Streetwear und Strickmützen in grellen Farben, oft von ausgesuchten Labels. Die neuen Straßenschilder waren mit einer handgewebten Ashanti-Hülle aus Ghana verdeckt, wie mir Viktor, der Inhaber der afrikanischen Modeschneiderei in meiner Straße kundig verriet. Er freute sich, dass sein Geschäft jetzt in der Cornelius- Fredericks-Straße liegt. „Schau mal. Der Vogel auf dem Stoff dreht seinen Kopf nach hinten. Das ist das Sankofa, ein Symbol für etwas, was man verloren hatte und wieder findet, oder sich wieder holt.“ Die vielen Redner bei der feierlichen Enthüllung ließen keinen Zweifel daran, was sie verloren und wiedergefunden hatten. Es sei die Würde der afrikanischen Menschen, die nach den Verbrechen der deutschen Kolonialmacht durch die Benennung zweier Straßen in der deutschen Hauptstadt mit den Namen afrikanischer Widerstandskämpfer wieder hergestellt werde.
Es hätte also für alle ein Tag des Feierns, der Freude und der Vergebung werden können. Versöhnung auch mit den Anwohnenden, die sich mit Widersprüchen und eine rechts gerichteten Bürgerinitiative gegen die Umbenennung gewehrt hatten. Dass die alten Gräben noch nicht zugeschüttet sind, merkte man an einigen älteren Frauen, die grimmig schauend an der Feiergemeinde vorbeihuschten und giftige Worte zischten und an den heftigen Reaktionen der Aktivisten darauf. Eine Frau riss sogar vor der Veranstaltung die Verhüllung von dem neuen Straßenschild und rief „Lüderitz ist einfach eine Stadt in Afrika.“, bevor sie abgedrängt wurde. Viele der Hiesigen sind aber auch für die Umbenennung. Auf der Feier ich finde ich genug Mitbewohnende, die, wie ich, froh sind „den Lüderitz los zu sein.“







Wenn da nicht, ja wenn da nicht die Berliner Verwaltung wäre. Bis auf eine Pressemitteilung vor zwei Wochen, in der baldige Information der Bürgerinnen und Bürger versprochen wurde, tat das Bezirksamt nicht viel, um die Anwohner über die Folgen der seit 2016 geplanten Umbenennung zu informieren. „Wir wussten absolut nichts, als wir vor ein paar Wochen unsere Praxis in die Lüderitzstraße verlegt haben.“, schüttelt Podologin Ilona den Kopf, die sich in unserer Straße neue Praxisräume angemietet hat. Sie deutet auf Kartons mit neuen Briefbögen, Rechnungsvordrucken und Notizzetteln, die in dem frisch renovierten Laden stehen. „Das können wir jetzt alles ins Altpapier werfen. Und die Autos müssen wir auch wieder ummelden.“
Dem Bezirksamt ist damit ein weiterer Schild-Bürgerstreich gelungen, der sich in die Reihe von ungeschickten bis arroganten Umgang mit den Anwohnenden bei dieser Umbenennung nahtlos einreiht. Auf die Widersprüche gegen die Umbenennung hatte es vor einigen Jahren Ablehnungen mit happigen Gebührenbescheiden gehagelt. So züchtet man sich Wut-Bürger. Auch jetzt gibt es nur knappe Handzettel, mit denen die Anwohnenden eine Woche vorher informiert wurden. Und das noch nicht mal für alle. Während der Nachtigalplatz vor einer Woche mit den recht allgemein gehaltenen Flyern des Bezirksamtes regelrecht zugepflastert wurde, blieb die Lüderitzsstraße die Straße der Ahnungslosen. Niemand hat hier einen Zettel gesehen. Wahrscheinlich war die Kraft der Bezirksamtsmitarbeitenden durch den Exzess am Nachtigalplatz schon verbraucht. Und vielleicht war das auch besser so. Denn die auf den Zetteln versprochene bevorzugte Terminvergabe im Dezember, zur Ummeldung beim Bürgeramt über die Bürgernummer 115, ist dort leider völlig unbekannt. „Ist ja schön, dass wir das auch mal erfahren.“, versucht es eine freundliche Call-Center-Mitarbeiterin bei der 115 mit Berliner Galgenhumor, als ich nach der Zeremonie am Nachmittag einen Termin beantragen will. Ich kann ihnen einen Termin am 27. Januar 2023 in Lichtenberg anbieten.“ Aber ihr Interesse ist geweckt. Sie stellt mich in die Warteschleife und will sich erkundigen. „Da geht keiner mehr ran.“, entschuldigt sich die Dame nach zwei Minuten am Telefon. „Die sind Freitag nur bis 14:30 Uhr da.“ Der versprochene Rückruf erreicht mich nie. Am Abend will ich auch meiner Bank online meine neue Adresse mitteilen. „Diese Adresse ist uns leider unbekannt.“, lehnt die Eingabemaske die Cornelius-Fredericks-Straße ab. Google bietet mir eine Straße in Namibia an. Meine Schwester, die bei der Post arbeitet, rät mir, mir selbst einen Testbrief an die neue Adresse zu schreiben, bevor ich die Päckchen mit den Weihnachtsgeschenken für meine Kinder ordere. „Wenn die Post das nicht weiß, klappt das bei den Online-Händlern auch nicht.“ Ich hoffe, dass es für meine Nachbarn und mich nach dem frohen Fest am 2. Dezember auch ein Frohes Fest am 24. Dezember geben wird.
So wird eine schöne Geste zum bürokratischen Monster.
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Lieber Rolf, das ist wieder typisch Berlin!
Ich habe mich ja ein wenig über das Bürgeramt amüsiert aber eigentlich tun sie mir leid. Denn teilweise können sie gar nichts für den Zorn, den sie auf sich laden.
Das Ergebnis des Testbriefs interessiert mich sehr!
Einen schönen Vorweihnachtsnachmittag von Susanne
Was hälst du von Mittwoch, dem 14.12. von einem Mittags-Kaffee?
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Ja, da hat sich der grüne Bezirksbürgermeister und seine Nachfolgerin nicht mit Ruhm bekleckert. Mittwoch klappt leider nicht, lass uns telefonieren und einen anderen Termin finden. Gestern war ich bei Modulare und hab mir grüne und gelbe Tinte gekauft. Macht Spaß. Deine Bilder inspirieren. 😉
Grüße
Rolf
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Das freut mich, Rolf. Gün und Gelbe Farbe hört sich gut an.
Es wird dann leider bei mir dieses Jahr mit Kaffee trinken knapp. Unsere neue Küche wird in einer Woche endlich geliefert, davor und auch danach sind die Aufräumungsarbeiten noch erheblich. Aber lass uns telefonieren, vielleicht finden wir noch was.
LG Susanne
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Einen Termin im Bürgeramt wird es wegen der Wahlvorbereitung wohl in nächster Zeit nicht mehr geben. Viele Bürgerämter sind deshalb geschlossen. Ein bisschen im Verborgenen leben ist doch zeitgemäß. Ein Freund der im Verborgenen leben musste nannte sich bei allen Anmeldungen Gantebein. Schöner Artikel aus Berlin, danke fürs zeigen….tom
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Lieber Tom, ich bin ja ein ängstlicher Bürger, der sich vor Sanktionen der Obrigkeit fürchtet. Kafka halt. Also habe ich mich ans Telefon gehängt und heute tatsächlich einen Sondertermin erhalten. Doch ich wäre besser deinem Rat gefolgt: Jetzt ist mein Personalausweis zwar umetikettiert, aber die Änderung im Melderegister wird erst nach der Wahl am 12. Februar durchgeführt. Jetzt klaffen also Dokument und Datenbank auseinander, und alles ist schlimmer als vorher. Und obwohl ich alles richtig gemacht habe, drohen mir jetzt mehr Schwierigkeiten als jemand, der nichts getan hat. Kafka hätte es sich nicht besser ausdenken können. Ich hoffe, dass ich bis nächsten März keinen Ärger mit der Polizei bekomme („Zeigen sie mal ihre Papiere!….)
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[…] Ein König im Wedding […]
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[…] Heute übernimmt das Beobachten und Kommentieren von Berlin Kafka. Er ist ein guter Beobachter mit leicht melancholischer Art. Immer bereit für die kleine Geschichte dahinter. Kostprobe gefällig? Einfach auf diesen Link klicken. […]
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Danke😀
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[…] Bedeutung gibt. Für die Anwohner es ist allerdings Stress, da das alles im Berlin-Style abläuft. Herr Kafka berichtet […]
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Ein Testbrief an die eigene Adresse, das ist eine schöne Idee!
Man bekommt ja sowieso viel zu selten persönliche Post.
Ich habe mir nur einmal aus dem Urlaub selbst eine Postkarte geschickt: https://andreas-moser.blog/2015/06/23/eine-postkarte-an-mich-selbst/ , was man vielleicht auch öfter machen sollte.
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