Sommerfeste

Jetzt trifft man sie wieder: Die alten Freunde auf den alten Festen. Es ist noch nicht Sommer, es ist kalt, aber man wärmt sich aneinander. Jedes Jahr, genau Mitte Juni feiert ein Freund Geburtstag. Früher in abgeranzten Kneipen neben den besetzten Häusern in der Rigaer Straße, jetzt zwei Kilometer östlich, im handtuchgroßen Gartenstück hinter dem Reihenhaus. Die Leute sind die gleichen geblieben und die Sprüche die alten. Die Gesichter verschrumpelt, die Bäuche dicker, die Haare dünner. Aber es tut so gut, sie wieder zu sehen. Oder soll ich sagen: wieder gesehen zu werden? Die meisten hier treffe ich nur einmal im Jahr und trotzdem grüßen sie mich mit Namen. Und über die Jahre habe ich mir auch ihre gemerkt. Es sind seine Freunde, nicht meine, und trotzdem teilt man ein Stück Leben. Früher waren die Kinder dabei, jetzt steht ein stämmiger Mann am Grill, dem man nicht nur an der sonnenverbrannten Haut den Handwerker ansieht. „Conny?“, frage ich ungläubig, denn der Conny, den ich in Erinnerung habe ist ein feingliedriges, blondes Kerlchen, der mit meiner Tochter im Sandkasten saß. Artig und respektvoll tasten wir die gemeinsamen Lebensstationen ab. Ich merke, dass er stolz ist, von seinem jetzigen Leben berichten zu können und er erwähnt mit keinem Wort die Zeit in den Clubs, die Drogen und die Therapie. Davon höre ich später von seinem glücklichen Vater. Ich höre auch von Kindern, die wieder bei ihren Eltern eingezogen sind, weil sie keine Wohnung finden und von Enkeln, die in Singapur geboren wurden. Auch eine Ex des Gastgebers ist eingeladen. Was war das damals für ein Drama. On, off, on…monatelang. Nächte beim Bier als Lebensberater. Jetzt steht sie mit ihrem neuen Partner hier, der Comics zeichnet und ein guter Zuhörer ist. „Na, bist du wieder mit deinem Motorrad gekommen?“, schlägt mir einer von hinten auf die Schulter. Und ich darf Jürgen, der seit drei Jahren in Rente ist die ganze Geschichte von meinem Sturz, dem Krankenhaus und dem Verkauf meiner Maschine erzählen. Was für eine Wohltat. Was für ein Unterschied zu den gehetzten Lageberichten mit den Freunden, die noch in Arbeit sind oder den müden Telefonaten mit der Mutter meiner Kinder. „Meinen 60ten werde ich nicht feiern, da werde ich abhauen, irgendwohin.“, verrät mir der Gastgeber, während wir mein Moped aus dem Fahrradschuppen ziehen. Und dann bleibt er stehen. „Ich bleib noch, bis du den Motor angeworfen hast. Ich will wissen, wie deine neue Höllenmaschine klingt.“

Herrentage

Als ich den Friseurladen Almaya betrete, sagt mir keiner „Guten Tag“. Ein Friseur ist mit einem. Kunden beschäftigt und summt leise die Worte des melancholischen arabischen Liedes nach, das durch den Raum dudelt, der andere sitzt auf einem Frisierstuhl und schneidet sich selber den dunklen Bart. Ich war lange nicht mehr hier. Der Laden hatte lange zu. Jetzt hat er mit neuen Leuten und neuer Einrichtung wieder eröffnet. Alles etwas protziger als vorher. Dunkle Stühle mit dicken Metallbeschlägen aus billigem Gold-Imitat. Eine Mischung aus Art-Deco und World of Warcraft. Ich setze mich auf das üppige Ledersofa und warte bis der junge Barbier mit seinem Bart zufrieden ist. Zeitungen gibt es nicht mehr, stattdessen liegt ein Zettel mit QR-Code auf dem Tisch. Endlich zieht er sich seinen Frisierumhang vom Hals und bittet mich auf seinen Stuhl. Endlich das Gebrumm der elektrischen Schneidemaschine auf meinem Kopf und die Hoffnung auf eine kleine Massage mit kühlem Haarwasser zum Abschluss. Endlich bin ich wieder in meinem Viertel, bei Männern, die es für ein bisschen Geld gut mit mir meinen. Gestern war ich auch unter Männern, beim Herrentagsausflug in Zühlsdorf in Brandenburg. Nur fünf Kilometer jenseits des Berliner Autobahnrings, aber in einer anderen, sonnenbeschienen, feindlichen Welt. Dabei hatten wir Glück. Nach einem langen Gezeter mit meinen Jungs waren wir mit unseren Freunden mit nur einer Stunde Verspätung zu unserer Radtour aufgebrochen, hatten uns auf dem unbefestigten Weg durch ein Sumpfgebiet über Stock und Stein gequält und tatsächlich eine offene Gaststätte an einem Bahnhof gefunden, vor der laut lachende Männer in Gruppen auf Bierbänken gegrillte Haxen und Würste aßen. Ein Vatertagsidyll. Aber Freude wollte bei uns nicht aufkommen. Nicht nur, weil es keine Pommes gab, auf die die Jungs sich während der Fahrt gefreut hatten, nicht nur, weil es natürlich in einer Brandenburger Vatertagskneipe kein vegetarisches Menü gab, wie mein Freund es erhofft hatte, sondern weil wir zuvor die breit ausgebaute Dorfstraße unter einem Spalier von AfD-Wahlplakaten entlangfahren mussten. Jeder dritte Mann hier wird im Juni zur Europawahl rechtsradikal wählen. Nur einigen von ihnen sah man an, dass sie sich von unserer Gesellschaft verabschiedet hatten. Grimmig dreinblickende Kerle mit Bärten oder Tatoos, oder beidem. Wenn man es romantisch sehen wollte, wozu man als Städter auf Landpartie neigt, würde man sie als Waldschrate oder Holzknechte sehen wollen, die nun mal hier am Rande der Schorfheide leben. 30 Kilometer stadteinwärts würde man sie korrekt als „Menschen die als Mann gelesen werden wollen“ bezeichnen. Sie selber schreiben sich ihr Mannsein lieber in Fraktur auf die Haut, damit es keine Diskussionen gibt. Aber erschreckender war die Vorstellung, dass auch die andern, die mit dem Rad oder mit dem Kremserwagen angereist waren, die scherzend wie kleine Jungs mit der Bedienung flachsten und von ihr genauso bestimmt und jovial zurechtgewiesen wurden, ihr Kreuz in einem Monat bei den Nazis machen werden. Es gibt in der Verfilmung von „Cabaret“ mit Liza Minelli eine Szene in einem sonnigen Biergarten, in den sich die Berliner an einem Sommertag verlustieren. Und in diesen Biergarten kommt eine Gruppe HJ in Uniform und singt ein deutsches Lied. Der ganze Biergarten applaudiert ihnen. Die AfD singt nicht. Aber sie bekommt stillen Applaus, der auf dem Wahlzettel sichtbar werden wird.

Der arabische Friseur hat sein Werk vollendet. Der arabische Sänger klagt immer noch aus den Lautsprechen, mäandernd wie ein gregorianischer Choral. Der schüchterne Lehrjunge fegt die Haare zusammen, die ich lassen musste. Meinem Kopf geht es besser. Nur das Finale fehlt noch. Ich deute auf meinen Kopf und sage „Haarwasser“. „Waschen?“, fragt mein Friseur. „Nein, Parfüm“, erkläre ich. „Ach so, Aftershave“, lacht er, besprüht mich mit etwas Kühlem, das gut riecht und massiert es in meine Kopfhaut ein. Es tut gut, verstanden zu werden.

Weihnachtswärme

Es war dunkel geworden. So dunkel wie es in einer Vollmondnacht in einer Vorortstraße eben werden kann. So dunkel, wie es das Lichterkettengeflatter und die beleuchteten Rentiere in den Vorgärten noch zuließen. Es war der erste Weihnachtstag und wir standen im bläulichen Halblicht an einer Straßenkreuzung. Wir wollten an die frische Luft und wir wollten weiter, denn wir hatten noch eine Pflicht zu erfüllen. Wir waren erst fünf Minuten von zu Hause weg, und standen erst am Anfang des Waldes, aber die Kinder wollten wieder zurück in den Keller, zu ihrer Spielkonsole. Also waren wir mutig und ließen sie ziehen. Natürlich nicht ohne sie fünf Minuten später anzurufen, ob sie angekommen wären. Uns führte der Weg tiefer und tiefer in den Wald. Bald schon hörte die Feldsteinstraße auf und wurde zu einer schlammigen Kraterlandschaft. In den wassersatten ausgefahrenen Schlaglöchern spiegelte sich der Mond. Hier war kein Durchkommen mehr für Menschen ohne Auto, und doch schlichen wir uns an den Rädern, durch Büsche und kleine Umwege weiter, immer bedacht, nicht bis zu den Knöcheln im feuchten Dreck zu versinken und nicht das Geschenk aus der Hand fallen zu lassen, bis wir die weißen Häuser sahen, die einsame Straßenlaterne und das offene Feld. Hunde bellten. Wir hatten es geschafft. Ich hätte das Geschenk jetzt einfach in den Briefkasten am wackligen Zaun vor dem etwas halbfertigen Fertighaus geworfen. Ich kannten die Leute hier kaum und wir waren nicht angemeldet. Aber die Mutter meiner Söhne klingelte. Wir sahen durch das große, gemütliche erleuchtete Verandafenster Menschen an einem Tisch in goldenem Licht. Aber sie bewegten sich nicht. „Ich bin sicher, die haben schon Besuch.“, flüsterte ich peinlich berührt meiner Gefährtin zu, aber die hatte schon das schief hängende Gartentor aufgeschoben und stapfte durch den Garten, in dem, das wusste ich vom Sommer, Füchse auf die Hühner des Hausherrn lauern. Über eine Metalltreppe kamen wir zum Hauseingang und klingelten noch mal. Es rumpelte drinnen und in der Tür stand ein breitschultriger Mann mit dichten Augenbrauen. Und er war kein bisschen überrascht, freute sich wirklich, uns zu sehen und bat uns herein in einen engen, mit Kinder- und Wanderschuhen vollgestellten Flur und dann in ein Wohnzimmer, das warm war und aussah wie die Dekoration zur Carmen-Nebel-Weihnachts-Show, die zur gleichen Zeit im Fernsehn lief, nur in echt. Ein stattlicher, glänzender Weihnachtsbaum an dem echte Kerzen brannten, Pfeffernüsse; Tannenzweige und Stolle überall auf dem festlich geschmückten Tisch, zwei Jungs in Weihnachtspullovern und mit großen Augen, die auf den unerwarteten Besuch gerichtet waren. Im Hause meiner Söhne hatte die Kraft dieses Jahr nur zur nüchternen, schiefen Mini-Tanne und einer Schachtel Schoko-Lebkuchen gereicht, die von der Mutter im Küchenschrank versteckt wurde, damit sie über die Feiertage reicht. Auch die Freude über unseren Besuch war echt. Anscheinend war es ihnen genau so gegangen wie uns Am Nachmittag des ersten Weihnachtstages war die Luft raus und die Kinder drehten etwas durch. Wir waren rechtzeitig zum Kaffee gekommen, der hier dünn war, wie ihn Schichtarbeiter trinken. Aber ich fühlte mich wie zu Hause, wie bei Muttern. Endlich Weihnachten wie ich es kannte. Wir ließen uns von der Gastgeberin immer wieder zu einer neuen Tasse nötigen während, der Hausherr das Geschenk auspackte, das ich ihm überreicht hatte, weil er mir vor zwei Monaten mein gebrochenen Schlüsselbein wieder zusammen geschraubt hatte. „Wie geht‘s dir damit?“, fragte er ärztlich routiniert. „Geht so, ist noch nicht zusammengewachsen.“ „Du musst Geduld haben.“, antwortete er und war gleich danach wieder bei seinem Lieblingsthema: Der Jagd. Eine halbe Stunde erzählte er uns vom Ansitzen, von den schrulligen Jägerkumpels und der Kälte. Ich kannte mal ein paar Jäger und konnte die richtigen Fragen stellen um seine Begeisterung richtig zu würdigen. Und ich hatte den Eindruck, dass die halbe Stunde, die wir ihm zuhörten, das schönste Geschenk für ihn war. Als wir gehen mussten, führte er uns noch nach draußen, und zeigte uns sein neues Nachtsichtgerät. „Schau mal da hinten, am Waldrand stehen vier Rehe.“ Trotz Vollmond hatte ich bisher auf dem weiten Feld nichts als Acker gesehen. Jetzt sah ich durch das Gerät vier helle Punkte – schutzlos durch die neue Technik und die Nacht brutal entzaubert. Ich dache an die Soldaten in der Ukraine und die Menschen in Israel und Palästina, denen noch nicht mal die Nacht mehr Schutz bietet. Ich hatte es plötzlich eilig nach Hause zu den Jungs zu kommen. Die waren froh, uns zu sehen, weil sie sich langweilten seit sich die Spielkonsole vor einer halben Stunde automatisch abgeschaltet hatte.
Aber Weihnachten war noch nicht vorbei. Kaum hatten wir die Schuhe aus, stand ein weiterer Freund vor der Tür und hatte eine Schale mit frischen schmalzgebackenen Krapfen für uns, die noch warm waren. Dabei hätten wir ihn beschenken sollen, denn er hat uns dieses Jahr geholfen, als wir Ärger mit der Versicherung hatten. Aber echte Freundschaft fragt ja nicht nach Gegenleistungen. Wir aßen sie vorm Fernseher, der einen Riss hat, weil ein Sohn vor ein paar Monaten Wut den Controller seines Computerspiels in den Bildschirm gehauen hat, während wir die Carmen Nebel Show schauten. Falsche Gefühle und Kitsch, aber mir war danach. Warm im Bauch, warm ums Herz, etwas Freude gegeben, etwas Freude bekommen. So hat sich Weihnachten sich für mich lange nicht mehr angefühlt.

Meine Jahre mit Bernd

Wir sitzen zusammen im Auto. Er hat den alten Kombi an
die Seite gefahren. Der Motor schnurrt weiter, aber es wird still, denn er hat aufgehört zu erzählen.
Er hat mich wie immer zum Bahnhof gebracht, aber ich habe noch nicht gemerkt, dass
unsere gemeinsame Fahrt vorbei ist. Ich will, dass es weitergeht. Seit Stunden
höre ich ihm zu. Und ich erwarte, dass er die letzte Geschichte zu Ende
erzählt. Aber für ihn ist Schluss. „Und was habt ihr gemacht, als dann die
Polizei kam?“, frage ich, wie ich seit Stunden immer wieder frage, um immer
neue Geschichten aus ihm herauszulocken. Ich will mehr als seine
Stammtischsprüche und die abgeschliffenen Worte, mit denen alte Männer die
Heldentaten ihres Lebens erzählen. Aber jetzt kommt nichts mehr. Es muss was
mit der Nachricht auf seinem Handy zu tun haben, auf die er jetzt gehetzt
schaut. Von seiner Frau? Vor Verwirrung vergessen wir, uns mit einem kräftigen Handschlag zu
verabschieden, wie wir es sonst tun. Ich stehe auf dem kalten Gehweg und er
dreht den Wagen auf die öde Brandenburger Landstraße. Dabei waren wir eben noch
in der Pizzeria im alten West-Berlin wo vor fast fünfzig Jahren sechs Rocker
seine Freundin (Weeste, die sah verdammt jut aus, ne echte Puppe) blöd
angemacht hatten. Und er und sein Kumpel sind, na klar, mit den Kerlen vor die
Tür, und dann gab’s Schläge, bis dreie auf der Straße lagen. Na klar, ein Kerl
wie Bernd lässt sich nicht verarschen. Und Bernd gewinnt immer.

Zu Bernd, der natürlich nicht Bernd heißt, fahre ich mindestens einmal im
Jahr. Durch ganz Berlin bis in den Süden, irgendwo zwischen Autobahnkreuzen,
zwischen dem Berliner Ring und dem neuen Flughafen, in den schäbigen Hallen der
ehemaligen Motoren-Traktoren-Station hat er seine Werkstatt. Bernd ist mein
Schrauber. Wer, wie ich, ein vierzig Jahre altes Motorrad am Laufen halten
will, brauch jemand wie Bernd. Einen, der sich noch auskennt mit der alten
Technik italienischer V-Motoren, der einen beruhigt, wenn man mal wieder leerer
Batterie irgendwo liegengeblieben ist und der einem, wenn mitten in der
Hochsaison, eine Woche vor der geplanten großen Tour nach Italien, Öl vom
Zylinderfuß tropft, sagt, dass man sofort vorbeikommen kann. Aber Bernd ist
auch eine Diva. Er entscheidet, was für mich und meine Maschine gut ist. Wenn
ich einem neuen Drehzahlmesser will, bekomme ich gesagt: „Wer eine Guzzi fährt,
braucht keinen Drehzahlmesser, der hört auf den Motor.“ Und wenn ich verchromte
Blinker haben will, baut er schwarze dran, weil er die noch auf Lager hatte. Er
ist der Meister, ich der Eierkopf. Aber ich weiß, dass ich bei ihm in guten
Händen bin.

Aber auch ein Mann wie Bernd braucht Trost. Von Anfang an war seine Ansage:
„Wenn de hier vorbei kommst, musste ooch Zeit mitbringen zum Quatschen.“ Und
weil ich so bin wie ich bin, werden es bei uns keine „Benzin-Gespräche“ unter
Motorradfahren, sondern habtherapeutische Beziehungsgespräche. Bernd will
reden. Seit mehr als zehn Jahren klagt mir Bernd sein Leid. Zwei gescheiterte
Ehen, eine schmutzige Scheidung, bei der er sein ganzes Vermögen verlor, der
Sohn, der mit Mühe und der Unterstützung des Vaters gerade mal so die
Ausbildung als Kfz-Schlosser geschafft hat und jetzt auf Abwegen im
türkisch-arabischen Kiffer-Milieu von Kreuzberg herumlungert. „Kriegt nix
Ordentliches auf die Reihe.“, sagt Bernd und ich weiß, dass ihm das halbseidene
Herumgewurschtel seines Sohnes schwer zu schaffen macht. Aber auch meine
Geschichten kennt Bernd: Die Zwillinge und ihre Mutter waren schon in seiner
Werkstatt, als er noch die Motorradfahrer zum Saisonende zu seinen 
Feiern einlud, für die er seine Werkstatt liebevoll dekorierte. Er hat unseren Polo gekauft, als wir für die Jungs ein
größeres Auto brauchten (er läuft heute noch) und er hat meine ganze Geschichte
mit der Trennung und dem Umzug mit väterlichen Ratschlägen begleitet.

Das ist lange her. Heute erzählt nur noch Bernd.
Und seit heute weiß ich Sachen über ihn, die ich lieber nicht wissen
wollte. Oder doch? Dass Bernd in seiner Jugend selber Rennfahrer mit einem
hochgezüchteten Rennboliden war, wusste ich. Aber bisher dachte ich, dass er
sich diese teure Leidenschaft mit dem Reparieren und Frisieren anderer
Sportwagen verdient hat. Dass seine Kunden Rechtsanwälte und Bordellbetreiber
aus der West-Berliner Unterwelt waren, die sich die großen Geldscheine, die ihre Frauen für
sie verdienten auf Tabletts servieren ließen, um sie dann achtlos unter das
Bett zu werfen, wusste ich auch. Aber heute erzählte er mir, dass er nicht nur
für „den dicken Hartmann“ gearbeitet hat, in dessen Puff sich
Berliner Senatoren mit Baulöwen und Immobilienhaie trafen, sondern auch als
Schläger für einen Spekulanten. Mit einem Grinsen im Gesicht erzählt er mir von
einem Angriff auf ein besetztes Haus, das die Polizei nicht räumen durfte. Ein
Schuss mit einer abgesägten Schrotflinte habe gereicht, um die Besetzer zu
vertreiben. Und als die Polizei kam, von den Besetzern gerufen, habe man sie
gemütlich begrüßt. Das Gewehr war natürlich nicht mehr zu finden. Bernd kann
keener. Vor meinem Auge entsteht eine Welt von breitschultrigen Männern mit
langen, fettigen Haaren und Schnurrbart, Kerle in Lederjacken und
Cowboystiefeln. Die 70er-Jahre „Johnny Controletti“-Unterwelt von der
Udo Lindenberg noch heute singt. Von Kurierfahrten nach England erzählt er, bei
denen er auf der Rückfahrt im Lüftungskasten seines Lieferwagens
Yorkshire-Terrierwelpen geschmuggelt habe. Ohne Papiere natürlich. Die habe ihm
ein Tierarzt auf der Rennbahn Marienfelde besorgt, für den er einen Porsche
Carrera aufgemotzt habe. Und die Hunde habe er für das Dreifache an die Mädchen
im Puff vom dicken Hartmann verkauft. Kleine, bauernschlaue Geschäfte,
schmutzige Tricks und plumpe Gewalt. Bernd gewinnt gegen den Rest der Welt. Und
kein schlechtes Gewissen. Das was er heute ablegt ist keine Lebensbeichte,
sondern klingt wie ein genüsslicher Monolog über große Taten und
Jugendsünden. Er ist stolz auf all das, was ihn heute bei seinem Sohn zur
Verzweiflung bringt.

Was fange ich an mit diesen Geschichten? Eigentlich ist es eine
Groschenheftgeschichte, ein B-Movie aus den 70ern „Wilde Kerle, heiße
Mädchen, schnelle Motoren“. Aber es ist eine halbwegs wahre Geschichte aus dem
wirklichem Leben. Ich liebe solche Geschichten und ich glaube, Bernd wäre nicht abgeneigt, wenn ich ihm anbieten würde, sie aufzuschreiben. Aber ich will sein Ego nicht noch mehr pampern. Und
ich weiß, dass Bernd mich bescheißt, so wie er alle bescheißt. Nicht nur bei
den Reparaturen, wenn er teure Spezialteile ausbaut, und gegen Standardware
tauscht, sondern auch bei den Geschichten. Ich fahre nicht mehr gerne zu Bernd,
denn das Erzählen funktioniert nur, wenn ich mich selbst völlig zurücknehme. Nach den Erzählungen fühlt er sich groß und ich mich klein. Was habe ich schon zu erzählen, wenn ich den zu Wort käme? Was passiert, wenn ich ihm sage, dass ich ihm die Räuberpistolen nicht glaube? Ich mache mich abhängig von Bernd. Das Motorrad habe ich mir mal gekauft, um mit Männern wie ihm in Kontakt zu kommen. Von Kerlen wie ihm akzeptiert zu werden. Aber in dieser Welt gibt es zu viele Kerle mit zu großer Klappe, die denken, dass sie machen können, was sie wollen. Und sie suhlen sich in meiner Bewunderung.
Aber ich mache auch mein Geschäft. Ich lasse zu, dass er sich wie
ein Kietz-König fühlt, damit er einen Deal mit dem TÜV-Ingenieur macht, und ich
meine Plakette kriege. Kleine, miese Geschäfte. Wird Zeit, dass ich das
Motorrad verkaufe. Aber nicht an Bernd.

Wärme

Die Straße ist ruhig und dunkel. Das schwarze Kopfsteinpflaster glänzt und die Laternen verstreuen ihr oranges Licht, ohne den Gehweg heller zu machen. Keine Leuchtreklame, keine blendenden Autoscheinwerfer. Nur das Licht, das aus den Häusern auf die Straße fällt. „Wie früher“, denke ich. Diese Stille und diese Dunkelheit war das erste, was mir aufgefallen war, als ich kurz vor und nach der Wende in Ost-Berlin umherstreifte. Bin lange nicht mehr hier gewesen. Vor mir jetzt die Rückseite der Samariterkirche. Ich sehe niemanden, aber höre gedämpftes Stimmengewirr. Wie früher. Viele Menschen müssen sich hier versammelt haben. Ist es wieder an der Zeit für Blues-Messen und Friedensgebete? Für Schweigen und Kerzen? Was macht Eppelmann jetzt und wo versteckt sich die Stasi? Vor dem Eingang brennt eine Feuerschale und darüber schwebt das Emblem mit dem Opferlamm.Viele Menschen in ihren Dreißigern stehen herum. Nicht dicht beieinander sondern jeder für sich, Handy am Ohr, Kind an der Hand. Es gibt auch keine Kerzen, sondern Stockbrot, das die Kinder in die Glut halten. Es ist nicht November 89 sondern November 22, Sankt-Martins-Tag. Wer hier auf die Straße geht, hat nichts zu befürchten.

Und trotzdem komme ich nicht in der Gegenwart an. Zu stark ist der Eindruck, das schon mal erlebt zu haben, diese Straßen schon oft gegangen zu sein. Ich habe mich auf den Weg zurück gemacht an diesem Abend. In eine große Altbauwohnung, von der ich weiß, dass sie aussehen wird wie vor fünfundzwanzig Jahren und auch da sah sie schon aus, als hätte sie sich seit der Wende nicht verändert. Gemütlich, mit kleinen Kunstwerken an allen Wänden und kohleofenwarm. Es wird voll sein, alle werden in der großen Küche um den großen Tisch sitzen, jeder wird was mitgebracht haben und natürlich ist immer zu viel zu essen da, weil Annette natürlich auch noch gebacken und gekocht hat. Es wird Kürbissuppe geben, die schmeckt wie Gulasch.

Ich bin zurück gekommen zu Freunden. Freunde, die für mich immer ein bisschen da waren, und für die ich nie ganz weg war. Ich komme zurück zu einem Freundeskreis, der seit Anfang meiner Berliner Zeit besteht. Die Kinder, die Mitte der Neunziger geboren wurden, haben uns zusammengebracht. So kam ich in das Hinterhaus mit den niedrigen Decken neben dem alten Schlachthof, wo die meisten wohnten. Wir Väter haben eine Sportgemeinschaft gegründet und gingen einmal die Woche ins SEZ, dem Sport- und Erholungszentrum, das noch unter Honnecker gebaut worden war, zum Schwimmen und Saunen. Und danach ins „Make Up“ am Besarinplatz, wo wir ölige Pizza aßen und quatschten, bis Manne, der Gerüstbauer, meinte jetzt sei genug gequatscht, jetzt werde Skat gespielt. Das war dann der Moment, wo ich passen musste.
In der Zeit machten wir alles zusammen. Von Silvester auf‘m Darß bis zum Herrentagsausflug in den Spreewald. Ich lernte die Ostberliner Leitkultur, lernte Schichtsalat lieben, ging zu versteckten Konzerten in Kellern, die der Krieg übrig gelassen hatte und die von irgendeinem Nachbar organisiert wurden und machte den Schritt vom „ich“ zum „wir“. Es gab keine Unterschiede und keine Dünkel. In unserer Gruppe gab es mehr Doktoren als in mancher Poliklinik. Aber keiner redete davon, wie wichtig er war, von neuen Autos, Häusern, oder schicken Sachen. Wir machten Faltboottouren auf der Havel, als einige schon Geschäftsführer in kleinen Unternehmen oder erfolgreiche Lobbyistinnen in der Pharmaindustrie waren. Aber es gab kein Verständnis für das Anderssein und auch keinen Respekt vor dem Wunsch, alleine zu sein zu wollen. Als ich mich auf einer Paddeltour mal zurückfallen ließ, um mal endlich die Ruhe zu genießen, drehte die ganze Gruppe um, um zu fragen, was denn mit mir los sei? Selbst die Affären, die losgingen, als die Kinder aus dem Gröbsten raus waren, kriegte jeder mit. Die Paare tauschten die Partner untereinander aus, aber die Gruppe blieb trotzdem bestehen. Manche schauten sich eine Weile nicht ins Gesicht, oder verließen den Raum, aber spätestens beim nächsten Geburtstag saßen alle wieder beisammen. Ein Dorf in der Stadt.
Ich war der Erste, der in einen anderen Stadtteil zog, es folgten die anderen mit Umzügen in Eigenheimsiedlungen oder in kleine Zweitraumwohnungen. Es gab neue Freundeskreise, neue Partnerinnen und neue Kinder. Aber keiner hat Berlin ganz verlassen.

Es war eng damals, zu eng damals für mich. Jetzt bin ich froh, wieder zu so einem Geburtstag eingeladen zu sein, empfangen zu werden als sei ich nie weg gewesen.

Alles neu

Es sieht so aus, als würde dieser Winter so schlimm wie der letzte. Als würde sich alles wiederholen. Ja, schön wär‘s. Dann hätte ja wenigsten einmal Etwas Bestand. Denn Corona und Chaos ist so ziemlich das Einzige, was uns über Jahre erhalten bleibt. Und unter dieser bleiernen Glocke verändert sich alles rasanter als vorher. Ich meine nicht die neue Regierung, die wohl weiter auf Wachstum setzen wird und von der ich mir, außer ein paar legalen Joints nicht viel verspreche. Ich meine die Sache mit Thomas. Thomas ist nämlich nicht mehr da.

Thomas war schon mal weg, für ein paar Monate, einfach verschwunden. Krank, sagte sein alter WG-Kumpel Micha, der mich zu Thomas gebracht hatte. Nur der Telefonbeantworter ging ran, aber das half mir nicht viel. Ich hätte ihn selbst gebraucht, seine Ruhe, seine Genauigkeit, seine aufmunternden Worte und seinen „Killer-Instinkt“, wie er es selber einmal nannte, wenn er sich gegen alle meine Bedenken zum Handeln entschloss. Und er lag immer richtig. Wenn ich von Thomas kam, war die Welt für eine Weile wieder in Ordnung. Ich lief die paar Meter zur Marheinike-Markthalle, in der es alle Delikatessen gab, die ich im Wedding nie zu sehen bekam, gönnte mir einen echten französischen Noir und war froh, dass ich erst in einem halben Jahr wieder hier hin musste. Wie hab ich mich gefreut, als Thomas wieder gesund war, wie er das, was sein Kumpel Rudolf verpfuscht hatte wieder richtete und mir wieder das Gefühl gab, dass es in dieser unsteten Welt wenigstens einen Menschen gab, auf den man sich verlassen konnte. Einen Ort, an dem meine Leiden verlässlich gelindert würden, und sei es nur durch das freundliche Lächeln von Marylin Monroe, die am frühen Morgen aufmunternd aus dem Fenster schaute und deren Bild in Thomas Lieblingszimmer hing.
Aber dann kam der Brief. Thomas bedankte sich für die jahrelange Treue und kündigte an, dass er leider in Zukunft nicht mehr für mich da sein werde. Das konnte er mir nicht antun! Zähneknirschend habe ich mich daran gewöhnt, dass meine Söhne jedes Jahr eine neue Lehrerin haben, dass meine Bank mir schon wieder abverlangt, mir ein neues Verschlüsselungsgerät für das Onlinebanking zuzulegen, dass Word-Press mich dazu nötigt mir ständig neue Betriebsysteme oder gleich einen neuen Laptop zu kaufen, damit ich hier weiter bloggen kann, dass mein Lieblingsdöner zusammen mit der alten Müllerhalle abgerissen wurde und das Kaufhof (jetzt „Galeria“) meine Lieblingssockenmarke nicht mehr führt. Aber genau dieses Zähne zusammenbeißen hat mich ja so oft zu Thomas geführt.
Thomas war mein Zahnarzt. Der erste Zahnarzt in meinem Leben, dem ich vertraut habe. Er ließ mich die grausame Frau vergessen, zu der mich meine Mutter brachte, und die sich in meinen Schulzeiten mit ihrem jaulenden Bohrer und ohne Betäubung über meine frischen, aber schon vom Zucker angegriffenen Backenzähne her machte. Vergessen auch der willfährige Knecht, den ich als Student aufsuchte, als mein Herz von der vergeblichen Anbetung der ewig Unerreichbaren blutete und bei dem ich mit Freuden einige meiner Weisheitszähne verlor, weil der grausame Schmerz in meinem Kiefer für eine kurze Zeit den noch viel schrecklicheren in meiner Brust überdeckte. Vergessen auch die vielen Dilletanten, die sich bei mir an einer Zahnwurzelbehandlung versuchten, die erst Thomas gelang. Thomas! Mein Leben ohne dich wird Wirrnis und Schmerz für mich sein. Wie soll es ohne dich weiter gehen?

Es geht immer irgendwie weiter. Letze Woche stand ich wieder vor der Tür, auf der zu Thomas Zeiten einfach nur sein Name und das Wort “Zahnarzt“ stand. Noch nicht mal ein Doktortitel. Jetzt steht da ein türkischer Name und ein modernes Logo in hellgrün. Die Praxis hat jetzt einen Markennamen, der so ähnlich affig klingt wie der “be Berlin“ -Slogan unseres ehemaligen Bürgermeisters. Statt “sei Berlin“ heißt es jetzt übersetzt “sei Zahn“. Na, das kann ja was werden.

Ich komme rein, und nichts ist mehr wie es war. Riesige Neonleuchten in Form von UFOs hängen von der Decke. Hinter dem Empfang erwartet mich nicht eine der mürrischen Alt-68erinnen, die einem stets zu versehen gaben, dass sie eigentlich mehr könnten, als hier Thomas die Patientenkartei zu führen. Nein, jetzt stehen dort gleich vier junge Frauen, die sich kichernd auf Türkisch unterhalten und sonst nicht viel mit mir anzufangen wissen. Der sonst offene Warteraum ist durch eine Plexiglasscheibe geteilt und in diesen Käfig bringt mir eine der Wartehilfen ein Stapel Formulare. Ich bin doch Stammkunde hier, wundere ich mich. Nein, alles muss neu. Neu ist auch der Vertrag mit einem medizinischen Inkassounternehmen. Thomas Frauen hatten die Rechnungen noch selbst getippt. Ich erwarte eine profitorienterte Beutelschneiderei. Und als ich endlich in einem Behandlungszimmer stehe, merke ich, dass auch Marylin weg ist. Statt dessen kommt Frau Sefi, die Zahnärztin, umringt von gleich drei Assistentinnen. Sie beachtet mich nicht, deshalb gehe ich in Vorleistung und stelle mich vor. Sie entschuldigt sich und sie nimmt ihren Mundschutz ab, damit ich wenigstens einmal ihr Gesicht sehen kann, sagt sie. Vertrauensbildende Maßnahme. Schon mal kein schlechter Anfang. Und dann auf dem Stuhl wird es mir doch blümerant. Über ein Jahr hatte ich den Besuch nach Thomas Brief hinausgezögert. Viel zu lange. Wahrscheinlich ist das nächste was ich höre das durchdringende Sirren des Bohrers… Aber nein. Frau Sefi lacht mit den Augen, dass kann sie, besser als Marylin. Es ist alles in Ordnung, nuschelt sie unter ihrer Maske. Sie haben sich gut gekümmert, da müssen wir nichts machen. Ich höre Thomas durch sie sprechen, der einen auch immer nur das wirklich Notwendige machte, und einen mit einem ein gutes Gefühl mit auf den Weg gab. Auf dem Weg zum Ausgang sehe ich, dass das nicht das einzige ist, dass die Neue von Thomas übernommen hat. Im Flur hängt noch das Bild von Marylin und lacht mich an.

Kein Scherz

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Ich fand die ganze Corona-Hysterie natürlich auch albern, bis, ja bis es einen guten Freund erwischt hat. Nicht schwer, leichter Verlauf, aber immerhin.
Nun ist dieser Freund ein Doktor, der seit Jahren mit Antikörpern und anderen mikrobiologischen Wundern beschäftigt ist (nein, Corona kommt nicht aus seinem Labor…).  Deshalb weiß er, worauf es ankommt: Dass es nicht zu einem „schweren Verlauf“ kommt. Sprich Lungenentzündung und Intensivstation.

Damit das Immunsystem es schafft, bei einer Infektion den Virus zu bekämpfen, bevor er „in die Lunge runterrutscht“ kann man was tun.

Hier die fünf Empfehlungen, die ich jetzt selber befolge. Ein Teil der Sachen hatte ich noch in meinem Medikamentenschrank (der sich in den letzten Jahren erstaunlich gefüllt hat). um gegen die üblichen Erkältungen gewappnet zu sein. Deswegen war ich noch nicht in der Apotheke und weiß nicht, ob da inzwischen die Regale auch schon leer sind.

I. Nahrungsergänzungsstoffe zur Stärkung des Immunsystems: Vitamin-D (10.000-20.000 I.E.) Solange man das nicht über Jahre hinweg macht, keine Angst vor Nebenwirkungen. Dazu Zink, Selen, Vitamin C (gibt es meist als Kombi in der Drogerie). Alle zusammen erhöhen die Resistenz gegenüber Erkältungskrankheiten signifikant und sollten daher für die nächsten Monate prophylaktisch eigenommen werden (2 Monatsvorrat anlegen).

II. Ab den ersten Anzeichen einer Infektion (erste grippale Symptome, sind häufig schwächer als bei der richtigen Grippe und vor allem schon bei leichtem Husten!) vorbeugende Einnahme von Sekret verflüssigenden Medikamenten (frei verkäuflich z.B. Bronchipret, ACC, Mucosolvan und viele andere). Wichtiges Ziel: Die natürliche Abwehrfunktion des Bronchialepithel-Flimmerepithels. Das kann ein Vordringen des Virus in die tiefen Bronchien und damit die schweren Verläufe verhindern.

III. Inhalation mit Dampf am besten mit „ätherischen Ölen“ (z.B. Soledum, auch in der Apotheke oder Drogerie fragen) und ein wenig Kochsalz. Gerade die oberen Atemwege, die das Sars-CoV-2 Virus primär angreift, sind für den Dampf gut erreichbar. Das tötet nicht primär die Viren, aber die ätherischen Öle verstärken die Immunantwort (Adjuvanz-Wirkung) und der Temperaturreiz lockt Immunzellen an. Insgesamt wird die Immunantwort aktiviert, was das Abgleiten in einen schweren Verlauf zu vermeiden hilft. Es muss dafür nicht der Inhalator aus der Apotheke sein (evtl. schnell ausverkauft), eine Schüssel oder Topf tut es auch. Achtung nicht zu heiß inhalieren! (wer es nicht glaubt siehe z.B. https://www.youtube.com/watch?v=Dom2Oungw7I)

IV. Vermeiden von Fieber- und Schmerzmitteln. Klingt banal, wird aber oft nicht berücksichtigt. Alle Fieber senkenden Medikamente hemmen auch die Immunantwort. Erst ab 40°C Fieber machen sie Sinn.

V. Kein Alkohol, nicht Rauchen

Im besten Fall braucht ihr das ganze Zeug nicht.  Dann um so besser und ihr habt einfach nur einen kleinen Vorrat für die nächste Grippewelle.

 

 

 

Durch die wilden Sofas

Auf meinem Sofa liegt ein sauber zusammengefaltetes Laken. Meine Tochter war am Wochenende da. Und wenn sie bei mir übernachtet, dann mache ich ihr mein rotes Sofa zurecht. Inzwischen ist sie so nett, dass sie das ganze Bettzeug wieder zusammenlegt, wenn sie geht. Sie ist oft unterwegs bei Freunden in der ganzen Welt und weiß mittlerweile, sich zu benehmen. So hab ich das auch gemacht, damals als ich bei anderen auf dem Sofa gepennt habe. Und das habe ich gerne gemacht. War ja auch viel unterwegs, als ich so alt war wie sie, vor allem politisch. Und wenn irgendwo mal wieder eine Demo war, gegen eine der vielen Diktaturen in Südamerika, den Nachrüstungsbeschluss oder gegen den Aussperrungsparagrafen im AFG gab es immer jemanden, der jemanden kannte, bei dem man pennen konnte. Ich liebte das, für eine Nacht oder ein paar Tage bei anderen unterszuschlüpfen, mir bei anderen Pärchen, WGs oder Familen das Leben anzuschauen, das ich nicht hatte. Ich lebte meist allein, in möblierten Zimmern, Wohnheimen oder in WGs in Hochhaussiedlungen, bei denen keiner vorbei kommen wollte. So kams mir jedenfalls vor. Als ich mir neulich den Film über Udo Lindenberg anschaute, seine Bude, die er auf der Reeperbahn hatte und das Bettzeug sah und die gemusterten Unterhosen, da war der Geruch dieser Zeit wieder da. Die Frotte-Bettwäsche, aus dem Elternhaus mitgebracht, immer ein bisschen muffig, immer zu selten gewaschen, immer mit zu dicken, ungelüfteten Federbetten in zu kalten Zimmern, in denen ich als Gast landete. Aber es ging nicht nur ums Unterkommen, es ging auch ums diskutieren, ums Quatschen an runden Tischen und ums Dabeisein. Aufgenommen zu werden, das war ein schönes Gefühl. Und ob das nur aus Solidarität geschah, als Kämpfer für die gemeinsame Sache, oder weil mich die Leute wirklich nett fanden, das konnte ich oder wollte ich nicht auseinanderhalten. Gastfreundschaft ist auch eine Art der Zuwendung und es fiel mir immer schwer, wieder zu gehen. Es gibt dieses Lied von Reinhard Mey, „Gute Nacht, Freunde“, das dieses Gefühl sehr gut beschreibt.  Ein paar Mal kam auch die Frage, ob ich wirklich auf der Couch schlafen wolle, im Bett sei ja noch Platz. Manchmal war das wirklich fürsorglich gemeint, manchmal verirrten sich dann Hände unter der Bettdecke und die Abschiede morgens waren danach oft wortlos.
Nein, mein Platz war auf der Couch oder auf dem Futon des Mitbewohners, der gerade nicht da war. Die wilden Touren durch die Betten anderer Menschen sollten anderen  vorbehalten bleiben. Und am wohlsten fühlte ich mich, wenn ich Frühaufsteher am nächsten Morgen meine Gastgeber mit frischen Brötchen, der aktuellen taz (mit den richtigen Zahlen über die Demo am Vortag) und Kaffee begrüßen konnte. Ich brachte es zu einer Meisterschaft darin, in fremden Küchen das Kaffeepulver und die Filtertüten zu finden.

Jahre danach, ich war längst sesshaft geworden, als die kleine Tochter, die jetzt schon wieder auf dem Weg zum nächsten Auslandssemester ist, mir den Schlaf raubte, war es oft ein Gnadenakt meiner Freunde, mir eine Schlafstatt anzubieten, weil mir auf den schönsten Festen schon um zehn die Augen zufielen. Später kam ich dann immer öfter, war Couchsurfer bei meinen Freunden, weil im gemeinsamen Zuhause ein Chaiselong fehlte, auf das ich bei dicker Luft hätte ausweichen können. Irgendwann hatte ich dann wieder eine eigene Wohnung und die erste Anschaffung war ein eigenes Sofa. Ein erfahrener Freund riet mir dazu. Ein Polstermöbel für zwei sei unerlässlich, wenn ich erfolgreich wieder auf Partnersuche gehen wolle. Es wäre so unhöflich, wenn man einer Besucherin nur einen Stuhl oder das Bett anbieten könne. Ganz Unrecht hatte er damit nicht, aber wenn ich mir mein abgerocktes rotes Designerteil so anschaue, waren es wohl eher die drei Knaben, die  mittlerweile meine regelmäßigen Besucher sind, die den Samt so blankgewetzt haben. Bleibt nur noch die Frage, ob ich bei einem solchen unsteten Lebenswandel irgendwann tatsächlich „auf der Couch“ gelandet bin. Nein, bin ich nicht. Es war ein Sessel.

 

 

 

Westwärts

Eigentlich wollt ich ja was ganz anderes schreiben. Aber als ich den Blog aufmache, lese ich als Erstes die epische Geschichte von Glumm über seine Fahrten per Autostopp nach Frankreich. Und die ist so gut, dass ich selber zurückrutsche in diese Zeit Ende der 70er, als ich mit Rucksack und Freund Werner durch Frankreich getrampt bin.
Werner war ein ruhiger Typ, einen Kopf kleiner als ich und der Chef unserer Amesty-Gruppe. Er lebte bei seinen Eltern, in einem Eifel-Dorf neben der A 61. Sein Vater hatte bei Eternit gerackert. Jetzt hatte er Asbestose und hustete sich zu Hause die Lunge aus dem Leib. Werner rauchte Selbstgedrehte. Er war Landvermesserlehrling, ich hatte es ein Jahr zuvor von der Realschule auf’s Gymnasium geschafft,
Wir wollten trampen und wir wollten nach Irland, wegen der Musik und so.
Mit dabei: Zwei sperrige Tragegestell-Rucksäcke, ein Fähnchen von einem Nylon-Zelt, das unter Garantie nicht einen Tropfen Regen abhalten würde und den bleischweren Schlafsack meines Vaters aus der Schlafkabine seines LKW. Mein Vater war Fernfahrer und nahm uns bis Oostende mit. Wie wir es dann bis nach Calais geschafft haben, weiß ich nicht mehr. Aber ich erinnere mich, dass wir es uns in den Kopf gesetzt hatten, genau auf den Kreidefelsen über der Stadt unser Zelt aufzubauen. Klappte aber nicht. Wir waren 17, noch nie an der See gewesen und wussten also auch nix vom Wind, der über die Klippen peift. Die Nacht brach ein, und wir hatten nix zum Schlafen. Und dann tat Werner das, was er in den kommenden Wochen immer tun würde, wenn wir nicht weiter wussten: Er drehe sich eine und rauchte. Damit strahlte er für mich so eine Ruhe aus, dass ich ganz zuversichtlich wurde. Wir haben noch in der gleichen Nacht in einem Laster den Kanal überquert.

Wenn mich vor einer Stunde jemand gefragt hätte, wie ich mich mit 17 gefühlt habe, dann hätte ich gesagt: Ich war der traurigste Mensch auf meiner Schule. Das Mädchen, das ich ich auf der ersten Fete (ja so hieß das, wie man es schreibt, nicht französisch mit Striche obendrauf) auf der neuen Schule kennen gelernt hatte, hatte einen anderen, die Bürgerkinder waren mir Realschüler in allem eine Nasenlänge voraus und nach Hause kam ich am besten, wenn meine Mutter schlief (Vatter war ja immer auf Tour) um mir nicht wieder eine Predigt wegen meiner langen Haare anzuhören.
Verdammt in alle Ewigkeit.
Ich hatte diesen Sommertripp vergessen, als wir  in England auf einer Wiese zelteten und morgens ein langhaariger Typ zu uns kam und uns zu einer Tasse Tee in sein Cottage einlud, als wir es schafften unsere riesigen Rucksäcke und unsere zwei biegsamen Leiber für 150 Meilen auf dem Rücksitz eines Minis zu verstauen, bis zum Fährhafen nach Irland (Holyhead?). Und wie wir es in Irland keine Meile voran schafften, weil Benzin gerade Mangelware oder zu teuer war und die wenigen alten Autos, die in diesem armen Land überhaupt fuhren, mit kinderreichen Familien vollgestopft waren. Auf einer nebligen Kreuzung im Nirgendwo, Werner war gerade dabei, sich wieder eine zu drehen, pickten uns zwei Deutsche mit einem großen Volvo auf und brachten uns auf’s französische Festland zurück.
Ich weiß nicht mehr, von was wir uns vorher ernährt hatten, in Frankreich auf jeden Fall führte ich eine strenge Baguette-Tomaten-Käse-Rotwein-Pflicht ein, weil ich das so typisch französisch fand. Ich drehte auf, sprach ganz passabel Französisch, weil ich auf der Realschule in meine Französischlehrerin verliebt gewesen war und beim Schüleraustausch mitgemacht hatte. Werner redete auch auf Deutsch nicht so viel und wollte auf dem schnellsten Weg nach Hause. Das Zelten hatten wir längst aufgegeben und uns auf Jugendherbergen verlegt. Irgendwo in Lothringen fanden wir in der einbrechenden Dunkelheit an einer Herbergstür statt eines Herbergsvaters einen Zettel: „Der Herbergsvater wird nicht dafür bezahlt, den ganzen Tag auf Reisende zu warten. Wer die Schlüssel für die Herberge braucht, soll bei mir vorbei kommen. Ihr findet mich im Café …“ Ich war von diesem libertären Arbeitsethos, das ich für typisch französisch hielt, begeistert. Werner war sauer, dass wir jetzt noch mal mit vollem Gepäck durch die Stadt laufen mussten. Außerdem ging es ihm auf die Nerven, dass ich jeden Menschen, den wir an den Autobahnauffahrten trafen, und der wie wir beiden eine Anti-Atomkraft-Sonne an der Jacke trug, wie einen alten Bekannten begrüßte. Für mich waren alle, die dagegen waren (Atomkraft, Aufrüstung, Berufsverbote…) meine Freunde. Werner wollte weiter.
Wir schafften es tatsächlich, bis zur letzten Autobahnraststätte an der A 61 zusammen zu bleiben. Es war Nachts und wir sprachen eine Frau mit einem schicken BMW an, die gerade tankte. Sie musterte uns beide abgerissenen Gestalten und meinte „Ich muss ja völlig verrückt sein, mitten in der Nacht, zwei Männer, aber kommt, steigt ein.“
Das letzte Stück liefen wir auf dem Seitenstreifen der Autobahn, auf dem uns die Frau absetzte, nach dem sie die ganze Fahrt nervös geschnattert hatte, denn bis zu Werners Dorf hatte sie uns dann doch nicht bringen wollen. Vielleicht rochen wir ihr zu streng. In dieser Nacht schlief ich zum ersten und letzen Mal in Werners Zimmer. Ich hörte seinen Vater husten.

 

Schon vorbei?

Sonntagabend dachte ich: Endlich Sommer! Nachts um 11 lief ich von der Straßenbahn nach Hause – einfach weil es noch so angenehm warm war. Und weil  ich mir die letzte Strecke Geisterbahnfahrt mit den Schreckgestalten in der U6 ersparen wollte. Und weil es im Wedding auf einmal wie Urlaub war, wie in der Türkei oder in Italien.
Entlang der Müllerstraße war ein Summen von Stimmen in der Luft, saßen Menschen vor den Köfte-, Gözleme- und Dönerläden, vor dem Asia-Imbiss und vor dem türkischen Eiscafé. Manche mit, manche ohne Kopftuch, viele Kinder dazwischen, von denen ich nicht wissen wollte, wie sie es am nächsten Tag in die Schule schaffen würden. Denn die Ferien sind vorbei. Um die Ecke die Afrikaner mit eigenem Restaurant. Und auch hier: alles brechend voll und viel Geschnatter. Als hätten meine Nachbarn geahnt, dass das so schnell nicht wieder kommt. Jetzt ist es morgens schon wieder ein bisschen frisch und so lange hell ist auch nicht mehr. Die Herbstferien müssen geplant werden.
War’s das mit Sommer? Die Woche mit den Kindern in der Uckermark und dann noch eine mit ihnen in Berlin als Alleinunterhalter. Das Japsen im 40 Grad heißen Büro und die kurzen Ausflüge nach Brandenburg? Fühlte sich das früher nicht viel entspannter an? Wo sind diese „ewigen Sommer“ geblieben, die ich irgendwo noch in den Stammzellen abgespeichert habe? Mit Ferien, die nicht enden wollten. Mit langen Tagen im Freibad, denen lange Tage im Freibad folgten. Später dann das Gleiche in dänischen Ferienhäusern oder auf Usedom. Sommerferien, die so lang waren, dass man alle Zügel schleifen ließ und irgendwann sogar ihr Ende herbeisehnte, um der Langeweile zu entkommen.

Dass ich mit meiner biologischen Uhr etwas durcheinander bin, kann ja auch daran liegen, dass dieses Jahr Ostern viel zu spät war, sodass der Frühling noch gar nicht richtig angefangen hatte, als schon die frühen Berliner Sommerferien losgingen. Die Berliner müssen ja überall immer die Ersten sein.
Jetzt sind die Ferien vorbei und es ist noch so viel Sommer übrig, mit dem ich gar nichts anfangen kann oder will.  Hinzu kommt, dass ich die schönsten Sommer immer in Gruppen verbracht habe. Im Park mit meiner Tochter, ihren Freunden, den Nachbarn und den Frauen unserer „Kindergarten-Mafia“. Tempi passati? Ich vermisse das, auch wenn es mir damals oft auf die Nerven gegangen ist.

Na, wenigstens eine unverzichtbare Zutat zu einem gelungenen Sommer werde ich noch genießen können: Una fiesta sui brati, ein richtiges dickes Sommerfest. Ein guter alter Freund feiert Silberhochzeit. Ich war damals sein Trauzeuge, Best Man, wie er mich heute noch nennt. Das Hochzeitsfest feierten wir in der alten, verfallenen Landvilla mit dem großen Garten, in der er damals mit seiner Frau und ein paar wechselnden Gefährten wohnte. Es war so leicht und wundervoll, wir alle waren so jung und gutaussehend (wenn ich mir die Fotos anschaue), dass ich noch heute oft daran denke. Dass wir 25 Jahre später in seinem Schrebergarten neben der neugebauten Sozialsiedlung feiern, in der sie ihre Kinder großgezogen haben, ist mir egal. Es wird der Höhepunkt dieses Sommers.