Im Königreich Gardinestan

Manchmal möchte ich ja dem Motto meines Blogs wieder Ehre machen. Dann fasse mir ein Herz und gehe durch einer der Türen, die in unserm Viertel immer offen stehen. Und manchmal entdecke ich dabei ein verborgenes Märchenland: Gardinestan! Es hat einen geheimnisvollen Namen. Es liegt gleich neben Babylon und nicht weit weg von den Kabul Nights. Manchmal ist es schwer zu finden, doch nie war es ganz verschwunden. Jetzt ist es wieder in voller Pracht aufgetaucht: Nicht hinter den sieben Bergen, nicht im wilden Kurdistan, sondern wieder in der Müllerstraße im Wedding. Und um seine Bewohner und ihre Schätze zu entdecken, muss man nur durch die neue goldene Pforte treten. Und manchmal trifft man dabei eine orientalische Prinzessin, die keine sein will.

Es ist kein Reich voll Tüll, Taft und Teppichen, auch wenn der orientalische Name etwas anderes vermuten lässt. „Gardinestan“, egal wer sich diesen Namen ausgedacht hat, er hat einen Treffer gelandet. Der markante gold-blaue Schriftzug bevölkert schon lange die Blogs und Instagram-Profile über den Wedding. „Gardinestan“, das klingt wie ein fernes Land, das irgendwo zwischen Afghanistan und Usbekistan an der Seidenstraße liegen könnte, ein geheimes Königreich, aus dem legendäre handgeknüpfte Teppiche kommen. Und gleichzeitig könnte es eine selbstironische Anspielung sein auf das Multi-Kulti im Wedding, auf orientalische Teppichhändler und auf das, was hier wirklich verkauft wird: Schimmernde Fenstervorhänge und – na ja: Gardinen.

„Vielleicht ist es auch nur eine Abkürzung von ‚Gardinenstange'“, vermutet der nüchterne Verkäufer, der mich durch den Laden führt. Er ist durch und durch Händler. „Schauen sie!“, wirbt er für seine Ware. „Das ist ein wirklich lichtdichtes Gewebe.“ Zum Beweis hält er seine Handy-Lampe unter eine Stoffprobe. Der Lichtfleck dringt nicht durch. Zum Vergleich zeigt er mir ein leichter gewebtes Stück: blickdicht, aber nicht lichtdicht. Einen Unterschied, den mir bei IKEA, wo ich bisher meine Vorhänge kaufte, keiner gezeigt hat. Und vielleicht ist diese Expertise und die Leidenschaft für den Stoff das wirklich Exotische an diesem Geschäft: „Gardinestan“ ist das letzte Gardinen-Fachgeschäft an der Müllerstraße. Erst vor Kurzem hat das „Ideal“-Gardinenhaus aufgegeben und die Gardinenabteilung von Karstadt am Leopoldplatz ist seit vergangenem Jahr Geschichte.

Aber um das Königreich hinter den seidigen Stores muss man sich keine Sorgen machen, auch wenn der markante Schriftzug für eine Weile von der Fassade verschwunden war – das Haus wurde renoviert. Denn die Kundschaft kommt nicht nur aus dem Wedding, sondern aus ganz Berlin und Brandenburg, verrät mir Fatih Genc, einer der Inhaber. Deshalb, und wegen des guten Online-Geschäfts, sei man durch die Veränderungen und die Geschäftsschließungen in der Müllerstraße auch nicht zu stark betroffen. Man habe Angebote zwischen 20 Euro und 300 Euro pro Meter Gardine. Damit sei man unter den etwa 60 Gardinenläden in Berlin noch nicht im obersten Preissegment, ergänzt sein Verkäufer eifrig. Im Schnitt werde im Wedding 100 Euro pro Meter ausgegeben. Für seine eigene Zwei-Zimmer-Wohnung habe er 1200 Euro für Gardinen und Vorhänge angelegt, verrät er mir. Teppiche habe man auch, aber eher Zusatzangebot und als Sonderangebot für die Laufkundschaft. Soviel zum Thema Wunschvorstellungen.

Im Hinausgehen versuche ich Aişe Genc, der Tochter von Mitgründer Cengiz Genc, zwischen edlen S-Linien-Gardinen und Lamellen-Rollos doch noch das Geheimnis des magischen Namens zu entlocken. 
Im Handelsregister eintragen ist die Firma als „Jung CFO GmbH“. Der Name sei eine Verbindung der Anfangsbuchstaben der drei Brüder Cengiz, Fatih und Oktay Genc, die das Geschäft gemeinsam führen und der deutschen Übersetzung ihres Nachnamens – Genc heißt jung, verrät Frau Genc. Ein Rätsel gelöst. Bleibt noch das Geheimnis um „Gardinestan“. „Er hat schon was mit Ländern wie Afghanistan zu tun,“, lächelt sie, „obwohl mein Vater und seine beiden Brüder aus der Türkei stammen.“ Ihr Vater habe die Idee gehabt. Mehr verrät sie nicht. Ob sie später mal das Geschäft übernehmen wolle, sozusagen als Kronprinzessin von Gardinestan, frage ich sie. „Nein“, lacht sie. „Ich studiere Bio-Informatik an der FU.“

Mein Osterei

Mein Osterei fand ich schon vor einer Woche im Briefkasten. Es war eine Überraschung, über die ich mich sehr gefreut habe: Matthias hat es nach drei Jahren geschafft, den dritten Band seiner Geburtstagsanthologie für Charles Bukowski „BUK 100“ herauszugeben. Damit hatte ich nicht mehr gerechnet. Das Heft ist wieder sehr schön geworden. Mit Texten von Bukowski himself , von seinen Weggefährten und von seinen modernen Adepten über das Schreiben und über Bukowskis Philosophie (Ja, er hatte eine, er hat auch klassische Musik gehört – es war nicht alles Sex and Drugs and Races, das war seine Kunstfigur Hank Chinaski). Die Geburtstagsausgabe mit ihrem groben Papier und dem einfachen Layout fühlt sich ein wenig so an wie ein echter Bukowski, der viele seiner Gedichte und Geschichten in den 1960ern erstmal in billig produzierten Underground-Magazinen veröffentlicht hat. Auch ein Bierdeckel mit einer Bukowski- Kalligrafie als Lesezeichen gehört zur liebevollen Ausstattung der Ausgabe. Passt!

Bestellt werden kann die dritte Ausgabe hier:

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ODER DIREKT ZU PAYPAL (Mit Versand Adresse!): 15 $ oder 15 € an:

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Und noch ein Osterei habe ich gleich darauf gefunden – ich hatte es mir schon lange selber ins Nest gelegt: Nach seinen zwei ersten „BUK 100“- Heften, hatte Matthias mich gebeten, einen Text über mich und Bukowski zu schreiben. Und tatsächlich gibt es etwas, was den bitteren Poeten und mich verbindet: Der Geburtsort. Wir sind mit ziemlich genau 50 Jahren Abstand im gleichen kleinen Fachwerkstädtchen am Rhein geboren. Und hier ist der Text dazu:

Die Bukowski-Therapie

Es hat lange gedauert, bis ich Hank Chinaski begegnete. Erst als wir beide gleich alt waren, so Mitte 50 fing ich an, seinem Leben zu folgen. Aber dem echten Bukowski bin ich viel früher über den Weg gelaufen, oder sagen wir besser: Ich hätte ihm über den Weg laufen können – vor mehr als 40 Jahren, Im Mai 1978 in Andernach am Rhein. Er besuchte seine Geburtsstadt und ich ging dort zur Schule. Vielleicht sind wir uns wirklich begegnet, wer weiß? Für einen 17-Jährigen sehen alle Männer über 50 gleich aus. Andernach war damals eine Stadt mit einer alten Stadtmauer, einem Gymnasium für Jungen, einem für Mädchen und mit einer großen „Landesnervenklinik“, einem Haus für Menschen, die mit dem Leben draußen nicht klar kamen und in dem schon mein Großvater starb. Wen man bei uns sagen wollte, dass jemand verrückt war, dann hieß es: „Der gehört nach Andernach.“ Charles Bukowski gehörte nicht nach Andernach. Seine Bücher standen nicht in der Bibliothek, und im Englischunterricht lasen wir Stücke von Edward Albee. Bukowski war ja auch nicht verrückt. Er ist aus dieser Stadt abgehauen, so bald er konnte.
Viel später, in Berlin, ziemlich zur gleichen Zeit als ich die Bekanntschaft mit Hank Chinaski und mehreren Nervenärzten gemacht hatte – von denen einige sehr nette Kerle waren – hilft mir Hank nicht verrückt zu werden. Mein Psychiater verzieht leicht angewidert das Gesicht, als ich ihm von Bukowski erzähle. „Destruktiv, reduziert, altes, unbefreites Männerbild.“, ist sein Kommentar. Er versteht nicht, dass Hanks Geschichten für mich entspannender sein können als die Pillen, die er mir verordnet.
Aber warum kann gerade ein dirty old man mir helfen, mich in meinem bürgerlichen Leben zurecht zu finden? Vielleicht, weil er so aus der Zeit gefallen ist. Weil es Hank egal ist, wie er aussieht und welchen Eindruck er auf andere macht. Weil seine Welt überschaubar und seine Bedürfnisse klar sind. Wenn ich die Geschichten lese, fällt die Last der Welt von mir ab. Ich denke nicht mehr daran, was andere Menschen über mich denken könnten, wenn sie in meine Wohnung kommen, die nicht staubfrei ist. Ich kümmere mich nicht mehr um die Flecken, die vielleicht auf meiner Hose sein könnten und ich mache mir keine Gedanken darüber, wie ich korrekt auf Frauen zugehe. Weil es solche Gedanken bei Hank nicht gibt. Es gibt nicht die Frage, ob man den Müll in die richtige Tonne geworfen hat und ob man damit die Welt ein Stück besser gemacht hat. Es gibt nur Müll. Und er liegt in seiner Wohnung rum und er betrachtet ihn, beschreibt ihn, ohne dass er sich groß Gedanken darüber macht. Er schuldet der Welt nichts und er verlangt nichts von ihr. Er will nichts richtig machen, will die Welt nicht retten. Er will einfach nur über den Tag kommen, ohne dass er zu viele Nackenschläge abbekommt. Hanks kleiner Kosmos in South Hollywood, das Leben zwischen Post Office, Bars und Rennbahnen erscheint mir fast schon als Sehnsuchtsort. Eine Welt in die ich mich gerne flüchte, wenn ich in der wirkliche Welt von heute, einer Welt voller Selbstoptimierer und Instagram-Junkies, die Orientierung zu verlieren drohe. Bukowski bringt mich runter, wenn die Nerven flattern. Bei Woody Allen hat Humphrey Bogart in „Mach’s noch einmal Sam“ den Part des Lebensberaters für einen Stadtneurotiker übernommen. Bei mir ist es Hank. Er ist meine Beruhigungspille in aufgeregten Zeiten. Aber ich muss aufpassen, dass ich keine Überdosis davon nehme.

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Stayn alive

Nein, Alkohol ist auch keine Lösung, obwohl das viele hier versuchen. Und nach der Sylvesternacht nüchtern durch mein Viertel zu gehen, ist an diesen unwirklichen Tagen zwischen den Jahren wirklich nicht einfach. Geflüchtet unter ein Brandenburger Flachdach komme ich am Neujahrstag zurück und mache meine jährliche Runde um den Block. Aber ich weiß immer noch nicht, ob das hier noch lebt, oder ob ich in einer untoten Stadt gelandet bin. Freunde waren im vergangenen Jahr in den USA und erzählten von Stadtzentren, in denen alle Läden geschlossen waren und sich auf den Straßen nur noch Menschen bewegten, die wie Zombies aussahen. Ich sach mal: Den Flug hätten sie sich sparen können. Hätten sie sich mal in die BVG gesetzt und wären mich besuchen gekommen. Allerdings: Weit wären sie damit nicht gekommen. Denn seit Sylvester fährt die Straßenbahn hier nicht mehr. Ausgestorben und leer sind die Haltestellen, verstummt die ratternden Schienen, ein großer Krater mitten auf der Strecke. Keine Kugelbombe wars, sondern ein 100 Jahre altes gusseisernes Wasserrohr ist gleich nach dem Feuerwerk geplatzt. Zu viel Vibration. Hätte längst ausgetauscht werden sollen, aber das hätte ja bedeutet, dass man die Straßenbahn hätte stilllegen müssen. Jetzt kann man hier Geisterbahn fahren, oder schnallt sich besser gleich die Rollschuhe unter.

Menschen, die unter einem Haufen Decken schlafen, und bei denen man nicht weiß, ob darunter noch ein lebender Körper liegt, gibt es hier auch in vielen Hauseingängen. So viele, dass ich sie schon nicht mehr wahrnehme. Einem, der immer würdevoll aufrecht vor einem neu renovierten leeren Ladengeschäft sitzt und aussieht wie eine Mischung zwischen Weihnachtsmann und indischem Guru hab ich gestern ein paar Münzen in die Filzpantoffel gesteckt, die er vor seinem Lager aufgestellt hat.

Bleiben die Zombie-Läden. Es werden immer mehr Läden in den Haupt- und Nebenstraßen, bei denen ich mich frage: Lebt da noch was? Machen die noch mal auf? Wird das noch was oder kommt da noch was Neues? Laden zu, Auslage leer und nicht immer ein Schild, das einem sagt was hier mal war, ob hier was kommt, oder ob einfach nur bis zum Ende der Weihnachtsferien zu ist. Der Uhrmacher, der Optiker und der Musikalienladen sind schon lange weg. Hier sind jetzt ein Shisha-Shop, eine Obdachlosenberatung oder auch einfach das Nichts eingezogen.

Und dann gibt es noch die Geschäfte, von denen man denkt, die sind doch bestimmt tot, da ist doch alles vorbei. Und dann brennt da doch noch ein kleines Licht, dann geht es doch irgendwie weiter. Die Fischerpinte am Plötzensee, die noch so lange leben darf, bis der Besitzer stirbt, der Angelladen, der gleich neben den leeren Schaufenstern seines alten Geschäfts ein neues Geschäft aufgemacht hat, der Buchladen, den die beiden Besitzer schon mehr als 40 Jahre führen und so lange offen halten wollen, bis sie umfallen. Und der windschiefe Kiosk von Herrn Nguyen, der die Nachbarschaft mit Schnaps und guten Worten versorgt. Und natürlich der Karstadt. Dieser riesige leere Betonklotz, der mit seinen zerrissenen und im Wind wehenden grauen Sicherungsnetzen an der Fassade schon von alleine aussieht wie eine Kulisse aus einem Endzeitfilm. Am Anfang des Jahres soll hier ein LIDL einziehen. Wenigstens ins Erdgeschoss. Na, ist doch was.

Ja und noch schöner ist es im neuen Jahr was wirklich Neues zu entdecken. Gleich neben dem nassen Loch in der Straßenbahntrasse sehe ich in der Nebenstraße diesen strahlenden Engel. Ein Geschäft mit Glamour und Schönheit in dieser grauen Ecke. Ja, ja: Es geht immer weiter. Und die Überraschungen hören nicht auf. Auch auf diesem Blog. Ein schönes neues Jahr wünsche ich euch.

Katerstimmung

Es hätte so ein schöner Abend sein können: Die Nachbarschaft war zahlreich gekommen, um einen „bal populaire“ zu feiern. Ein Fest, bei dem sich deutsche und französische Stimmen jeden Alters mischten, und bei dem trotz des kühlen Herbstabends mit feurigen Merguez-Wüsten vom Grill, Live-Musik und zwei Bars eine ausgelassene sommerlich-südliche Stimmung aufkam. Mehr als 450 Spenderinnen und Spender aus der Nachbarschaft und ganz Berlin hatten per Crowdfunding 18.000 Euro zusammengetragen, um den Wiederaufbau des hölzerenen Eiffelturms vor dem Centre Français de Berlin zu ermöglichen. Und als Dank für die Unterstützung durften sich alle Spenderinnen und Spender an Bar und Grill einmal gratis bedienen lassen. Mit Einbruch der Dämmerung wurde das neu errichtete Wahrzeichen des Wedding in den französischen Nationalfarben angestrahlt. Die Glühbirnen, mit denen er bis zum Richtkranz an seiner Spitze dicht besetzt war, gaben dem 13 Meter hohen Holzturm ein festliches Aussehen. Fast hätte man meinen können, einen verfrühten Weihnachtsbaum strahlen zu sehen. Es war ja auch eine frohe Botschaft, die es zu feiern galt. Der alte Eiffelturm war morsch geworden, aber die Anwohner wollten auf den Turm als Wahrzeichen und die Wegmarke nicht verzichten. Was der Eiffelturm als Symbol für den Wedding und die Weddinger bedeutet wurde deutlich, als eine Rednerin mit einer Geschichte stürmischen Applaus erntete: „Wenn ich einem Taxifahrer sage: Bringen sie mich ins Centre Français in der Müllerstraße, dann fragt er mich, wo das sein soll. Wenn ich dann sage: Das ist da, wo der Eiffelturm ist, weiß jeder gleich, wo ich hin will.“
Vier Jahre Arbeit stecken in dem Projekt, das erst richtig ins Rollen kam, als der Geschäftsführer des Centre einen Bildungsverein gefunden hatte, die sich das Projekt zutraute und gleichzeitig in der Lage war, mehr als 75 deutsche und französische Jugendliche an dem Wiederaufbau zu beteiligen. Ein echter Schreinermeister trat auf das Podium, sprach von imprägniertem Eschenholz und davon, wie stolz er sei, und wie stolz die Schülerinnen und Schüler, wenn sie sich nach zwei Wochen in der Werkstatt trauten, selbstständig mit Fräse und Bohrer umzugehen.

Und dann platzte Olaf in die Stimmung. Drei Jahre hatte der Kanzler praktisch nichts gesagt, manchmal von der Zeitenwende geredet, aber sonst den Mund gehalten. Aber jetzt wurde er redselig. Wie ein Vater, der mit seinem ungezogenen Sohn lange Geduld gehabt hat. Meine Stimmung war im Eimer. Zum Glück hatte ich auch für das Projekt gespendet und deshalb einen Gutschein für die Bar, die auf der Empore im Foyer des 60er-Jahre Kinos im Hinterhof des Centre eingerichtet war. Die französischen Barfrauen sahen mein Gesicht und wussten, wie mir war. Denn mit plötzlichen Regierungsumbildungen hat man in Frankreich Erfahrung. Sie empfahlen mir ein Picon-Biere, eine Mischung aus einem bitteren Orangenlikör mit einem kalten Bier. Es half. Zumindest um beschwingt nach Hause zu gehen und einen fröhlichen Beitrag über das Fest für unser Kiezmagazin zu schreiben. Dann schaute ich bis zwei Uhr nachts abwechselnd in die Gesichter von Olaf, Donald, Kamela und Christian. Heute Morgen hatte ich Kopfschmerzen.

Im Faradayschen Käfig

Die Stimmung war gut. Mein Bruder hatte uns mit seinem alten Mercedes zum Bahnhof gefahren, wir waren damit prima das Ahrtal hinunter gekommen, hatten meinen Jungs die verlassenen Weinberge gezeigt, die wir damals statt einer Rodelbahn hinuntergebrettert waren und hatten noch Zeit für einen Kaffee auf dem Bahnhofsvorplatz. Die Jungs bekamen ein Eis. Wir hatten ein paar Tage in einer Jugendherberge in meiner alten Heimat hinter uns und die Morgensonne schien freundlich und mild. „Ich könnt mir gut vorstellen hier als Rentner jeden Morgen meinen Kaffee zu trinken.“, schwärmte ich in neu erwachter Heimatliebe. „Es gibt schönere Orte auf der Welt.“, grinste mein Bruder, der die Welt gesehen hat und nun als abgemusteter Seebär seit ein paar Jahren versucht, unser kleines Elternhaus zu seiner neuen Heimat zu machen. Und er hatte Recht. Es war nicht nur die Schönheit des Augenblicks, die mich an den alten Ort fesselte, es war auch die Angst vor dem, was noch vor uns lag. Mein Bruder mag alle Stürme der sieben Weltmeere durchpflügt haben, ich dagegen wage immer wieder eine Fahrt von Bonn nach Berlin mit der Deutschen Bahn und zwei Kindern. Was sich harmlos anhört war in den vergangenen Jahren stets zum finalen Abenteuer unseres Urlaubs geworden. Und auch dieses Jahr sollte uns die Bahn nicht enttäuschen, nein sie sollte, das ahnte ich wohl, sich diesmal selbst übertreffen. Und was wir noch nicht wussten: Sie hatte sich dazu neue Verbündete gesucht.

Wie immer wiegte sie uns am Anfang in Sicherheit. Der ICE kam fast pünktlich, die Plätze waren reserviert und es sollte nur viereinhalb Stunden dauern. Wir saßen in einem „Sprinter“, das Flotteste, was die Bahn zu bieten hat. Und wir schafften es auch ohne Probleme bis nach Köln, sogar bis fast bis zum Hauptbahnhof, als es in einer Rechtskurve auf dem Dach schepperte. Wir standen schräg, rechts eine Schallschutzwand, links ein hoher Bahndamm und nichts ging mehr. Der schlaksige Zugführer, der die samtene rote Zugführerbinde lässig am nackten Unterarm trug, als sei sie nicht Zeichen seiner Herrschaft und Sorge über die Reisenden, sondern die Eintrittskarte zu einem Strandclub, lief ein paar mal schweigend an uns vorbei. Auch die Fahrgäste schwiegen und blickten vor allem in ihre Handys. Was muss in Deutschland passieren, damit die Menschen in einem Zug miteinander reden? Nach einer halben Stunde wurde ich aufgenommen in die Schicksalsgemeinschaft, die sich virtuell gebildet hatte. Ob ich den neusten Gossip hören wolle, fragte mich die Hochschwangere neben uns. Die Oberleitung sei gerissen und auf den Zug gefallen. Die ganze Außenhülle des Zuges stehe also unter Strom wie in einem Farradayschen Käfig. Keiner könne raus. Türen und Fenster dürfen nicht geöffnet werden. Gleichzeitig fehlte der Strom für die Klimaanlage. Wir waren gefangen. Durch eine dünne Glasscheibe vom blauen Himmel und der frischen Sommerluft getrennt. Als die Temperaturen stiegen, fragten meine Jungs mich, ob wir jetzt ersticken müssten. In meiner Not deutete ich auf die vielen kleinen Löcher in der Deckenverkleidung. Da käme die Luft raus, fabulierte ich und hoffte inständig, dass die Ingenieure bei Siemens an sowas wie eine Zwangsbelüftung gedacht hatten, die auch ohne Strom funktioniert. Sicher war ich mir nicht. Vielleicht war genau daran gespart worden. Als die Durchsage kam, dass das Bordbistro für umsonst Getränke ausgibt, wusste ich, dass die Lage ernst wurde. Ich schickte die Jungs Cola holen und sie kamen mit reicher Beute zurück. Ab da war ihr Sportsgeist geweckt. Nach zwei Stunden kam der Schaffner ins saunawarme Abteil mit der Nachricht, die Feuerwehr hätte eine Notrampe den steilen Bahndamm hoch gelegt. Aber nur für Leute, die körperlich fit seien, außerdem rutsche die Rampe, sodass nur noch wenige über sie gehen könnten. Titanicfeeling. Das letzte Rettungsboot hing schräg in den Seilen. „Das ist doch nicht steil, das schaffen wir locker.“, entschieden die Zwillinge für mich mit einem Blick aus dem Fenster. Ich ließ mich von ihrem Elan mitreißen. Das Glück ist mit den Tapferen. Alte Männer und Kinder zuerst. Wir verabschiedeten uns von der Schwangeren, der man einen Umstieg in einen anderen Zug versprach und enterten die wacklige Reeling, die von der Kölner Feuerwehr gesichert wurde. Viel Mut brauchte es tatsächlich nicht. Wie schön das Industriegebiet von Köln-Zollstock sein kann. Unter einer rostigen Brücke versammelten sich die Geretteten und sofort fing das Gezänk an. Der versprochene Bus kam nicht, ein paar Taxis waren heiß umkämpft, irgendwelche Zettel mussten ausgefüllt werden. Gezeter, wer zuerst da war und wer es am Nötigsten habe. Eine Feuerwehrfrau gab uns den Tipp, dass ein paar Hundert Meter weiter eine Straßenbahn Richtung Hauptbahnhof abfährt. Brauchten wir Fahrkarten? Blöde Frage. „Isch fahr schwatz mit der KVB, die Markfuffzich dät denen doch net weh…“ Das war „Zeltinger“, Kölscher Punk aus den Achzigern. Endlich war es soweit. Ein Jugendtraum erfüllt sich. Ein Alptraum auch. Denn die Bahn, die jetzt kommt, ist so alt wie der Song und in Köln fährt die Straßenbahn zum Dom unterirdisch. Kurz vor Neumarkt blieb sie mitten im Tunnel stehen. Mit Kölscher Gemütlichkeit erzählt der Fahrer uns Verlorenen, dass die Elektrik nicht funktioniert. Er werde jetzt mal alles ausschalten und hoffen, dass sie wieder anspringt. Es wurde dunkel und unheimlich still. Wir stehen in der Röhre, schwitzende Leiber aus dem ICE um uns, nur die Displays der Handys leuchten gespenstisch (meine Söhne behaupten später, viele hätten gelacht, als die Durchsage des Fahres kam). Beim nächsten Mal, gelobe ich in meinem Innern, werde ich ganz regulär eine Fahrkarte kaufen und im Dom eine Kerze anzünden für St. Christopherus, den Heiligen, der das Christuskind über einen reißenden Fluss trug…. Das Licht ging wieder an und die Bahn ruckelt weiter. Am nächsten Bahnhof brauchen die ächzenden Falttüren beim Öffnen einen Augenblick zu lange, um mein Vertrauen in die Technik wieder herzustellen. Panisch verlasse ich mit den Kindern den Zug, haste durch das mit stumpf schlurfenden Menschenleibern vollgestopfte Unterweltreich und treibe meine Jungs die nächste Treppe hoch. Endlich Licht! Luft!

„Ui jui jui!“ , scherzt der Schaffner, der im nächsten ICE eine Erklärung verlangt, warum wir seinen Zug benutzen, wie eine schlechte Horst Evers-Parodie, „Da haben sie ja ein kleines Abenteuer erlebt. Da können sie zu Hause ja was erzählen.“ Im Bordbistro gibt es für die Jungs ein Eis kostenlos. Das nächste Mal fahre ich mit dem Schiff.

Shikedim, Shikedim

Wieder so eine Geschichte, die aufgeschrieben werden muss, die zu schade wäre, um vergessen zu werden. Gehe ich also gestern endlich mal vor die Tür, nicht so einfach um die Ecke, sondern nach Berlin-Neukölln. Das ist sozusagen das Paralleluniversum zum Wedding: Das Gleiche noch mal auf der anderen Seite der Stadt, aber mit noch mehr Dönerbuden, Handyshops und Hippster-Bars. Und es gibt den Heimathafen – eine Hinterhof-Bühne in einem prächtigen Gründerzeit-Saal, die etwas im Programm hat, was ich bei mir im Kiez vermisse: Türkischen Pop. Ernsthaft.

Als ich vor fast dreißig Jahren in Berlin ankam kriegte ich eine Kassette mit türkischen Popsongs in die Hand. Leierte ich dann von hinten nach vorn. Treibender Rhythmus, traurige Stimmen, passte zur Stadt. Tarkans „Kiss Kiss“ wurde dann später zum Hit, zumindest im „Radio Multkiulti“ vom rbb, das inzwischen eingestellt wurde, wie auch das politische Projekt gleichen Namens. De Film „Crossing the Bridge“ von Fathi Akim über die aktuelle türkische Musikszene hat mich dann nach Istanbul gebracht. Viel später kamen dann „Songs of Gastarbeiter“ und der Film „Liebe, D-Mark und Tod“, über die Musik der Gastarbeitergeneration. So, das muss man also wissen, um zu verstehen, warum ich einmal durch die Stadt gereist bin, um bei „Gasino Nights“ dabei zu sein, die mir eine Show mit deutschen und türkischen Schlagern der 90er versprachen. Vielleicht hab ich auch das, was meine Tochter FOMO nennen würde (Fear of missing out), Angst was zu verpassen, vielleicht wollte ich auch einfach mal raus und was anderes sehen. Immerhin ist es Sommer, auch wenn´s sich nicht so anfühlt.

Sitze ich also da, möglichst weit weg von der Bühne und der Band und alleine am Tisch, denn wenn ich etwas nicht mag, dann ist es von Entertainern zum Mitmachen animiert zu werden. Hat aber nix genützt. Nach ein paar netten Stücken von türkischen Interpreten wurde ein Saal-Quiz ausgerufen. Gehört anscheinend zu einem Gazino dazu. Filmmusik aus den 90ern erraten, die von der Band gespielt wird. Beim ersten kam ich noch mit (Pretty Woman) bei den weiteren verlor ich das Interesse und beim dritten merke ich plötzlich den grellen Saalscheinwerfer auf mich gedreht. Die Musik ist aus, der Saal verstummt und gefühlt alle Augen sind auf mich gerichtet. Hab ich die Hand gehoben? Ich hab doch gar nicht zugehört. Geblendet schmerzt mich das erwartungsvolle Schweigen aus ungezählten Mündern. Ich bin schuld dass der Abend versaut wird und ich bin verloren, ganz klar. Aber wir sind nicht im engen Prag Franz Kafkas, wir sind im quirligsten Teil von Berlin – der Stadt in der alles möglich ist. Und so wundert es mich gar nicht, dass so plötzlich, wie das Licht erschien, jetzt dieses Wesen neben mir auftaucht und „Palp Fickschn…“ flüstert. „Pulp Fiction!“, rufe ich in den Saal und ein Jubel erhebt sich. Eine bezaubernde Assistentin in glitzerndem Frack schwebt auf mich zu und überreicht mir, mit natürlich bezauberndem Lächeln eine Flasche Sekt. Ich bin der Gewinner des Abends! Das Licht geht aus und die Show geht weiter. We can be Heroes just for a day. Aber wir sind hier immer noch in Berlin-Neukölln. Hier gibt es nichts geschenkt. Das hätte ich wissen müssen. Hier gilt das Gesetz der Straße. Geben und Nehmen. Und besser Nehmen als Geben „Also ehrlich jesacht“, kommt es jetzt von rechts, „ist dit ja mein Schampus“. Das Wesen, das mir der Himmel geschickt hatte, war nicht in der Dunkelheit verschwunden, die mich jetzt wieder schützend umgibt. Und ich bin mir jetzt auch nicht mehr sicher, ob es wirklich vom Himmel kam. Ich hab im Dunkeln noch nie gut sehen können, aber ich vermute, dass es eine Frau ist, nicht besonders groß, Pferdeschwanz, die mich jetzt von der Seite anmacht. „Ick meine, ick hab mich neben sie jesetzt, weil wa heute Ahmd keen Jeld hatten, um uns was zu trinken ze koofen.“, kommt es mit Reibeisenstimme aus dem Off. „Und da dachten wir, ich jeh ihn ma een bisschen unta die Arme.“ „Und so ne Flasche Sekt wäre schon nett. Meine Freundin und ich sitzn da drübn am Tisch, wenn´s ihnen nix ausmacht.“ Einen Augenblick stutze ich: Geht das nicht eigentlich umgekehrt? Zuerst setzt sich die Animierdame an den Tisch und dann bestellt der Gast den Sekt? Aber da hat mein resoluter guter Geist schon drei Gläser besorgt, mich an den Tisch gelotst und ihre Freundin vorgestellt. Höchste Zeit die Bremse zu ziehen. „Ich trinke gar keinen Sekt.“, sag ich sauertöpfisch. “ Echt nich? Was trinken se denn? „Bier ist mir lieber“. Na wissene se wat, dann koof ick ihnen een Bier. Zu dritt is so ne Flasche eh n bisschen klein.“ Sagt’s und kommt mit einem Glas Frischgezapftem wieder. Doch ein guter Geist. Und was soll ich sagen? Es wurde noch ein richtig netter Abend. Natürlich kriege ich von den beiden beschwippsten Freundinnen mal im Duett, mal im Wechselgesang wie es nur beste Freundinnen hinbekommen, bald das ganze Leben meiner Wohltäterin erzählt, die, wie alle in Berlin, irgendwas mit Kunst, Selbsterfahrung und langen Reisen gemacht hatte. Ich weiß zwar nicht mehr genau, warum wir dann später am Tisch der Frauengruppe aus Marzahn landeten, aber ich weiß noch ganz genau, dass die türkische Trans-Frau, die als Höhepunkt der Show auftrat, das schönste Lächeln hatte und den besten Bauchtanz hinlegte, den ich je gesehen habe.

Es geht weiter

Schon oft habe ich mir auf diesem Blog Sorgen um ihn gemacht, dachte, er wäre ein Opfer der Klimakrise geworden und habe ihm sogar ein aufmunterndes Gedicht auf den Weg gegeben. Es sah wirklich schlecht für ihn aus, von draußen: die Farbe abgeblättert, die Auslage verstaubt und dann war auch noch auf einmal ein Ladenfenster leer geräumt. Aber man soll sich nicht von Äußerlichkeiten täuschen lassen. Und vor allem: Man soll nicht immer das Schlimmste denken. Und überhaupt: Wenn du denkst, es geht nicht mehr… Genau. Und so ist es auch hier ganz anders als befürchtet. Weder sind böse Kapitalisten im Spiel, noch wollen Hippster die Bude übernehmen. Es geht einfach weiter mit dem alten Laden, dem Laden mit den Madenautomaten, der so was wie ein Markenzeichen des Wedding geworden ist, und der bürgerlich „Angelhaus Koss“ heißt. Der Laden, an dem ich morgens immer auf dem Weg zur Arbeit vorbei komme. Und jetzt habe ich mich sogar getraut mal rein zu gehen und für unser Kiez-Magazin zu fragen, wies denn geht, und so. Und so einiges mehr. Und dabei habe ich viel darüber erfahren, dass Angler ganz anders sind als man denkt, dass das Internet nicht alle kleinen Läden kaputt macht und ich habe seit langem mal wieder einen sehr entspannten Menschen kennen gelernt: Alexander, den Mann hinter dem Madenautomaten. Der Herr der Fliegen, sozusagen.

Wird es weitergehen mit dem Angelhaus?

Ja, es wird weitergehen. Wir mussten einen Teil des Ladens räumen, weil das Haus grundsaniert werden muss. Es steht auf einer „Torfblase“. Das Gebiet wurde früher zum Torfstechen genutzt. Zuerst dachte man, dass das Haus komplett geräumt werden muss, aber jetzt könnten wir theoretisch wieder zurück in den alten Laden. Aber wir haben uns dafür entschieden, den Teil unseres Geschäftes, den für die Wetterkleidung, zu räumen und zu renovieren. Jetzt ziehen wir langsam hier rüber. Bis wir fertig sind, wird es noch eine Weile dauern. Aber wir werden wieder unser volles Sortiment anbieten: Angelgeräte, Wetterkleidung und Pokale.

Für einen leerstehenden Laden in der begehrten Gegend gibt es wahrscheinlich viele Interessenten.

Bei uns hat jeden Tag jemand nachgefragt, ob er den Laden haben kann. Ich habe auch nichts gegen die Veränderung im Kiez. Es gibt hier einen guten Zusammenhalt und man hilft sich untereinander.

Gibt es denn noch genug Kundschaft für einen so speziellen Laden?

Wir sind einer der wenigen Angelläden in Berlin, die noch durchhalten. Viele sind schon weggestorben oder haben aufgegeben. Unsere Kunden kommen aus ganz Berlin und Brandenburg.  Der Beratung wegen. Aber auch, weil man eine Angelrute oder eine Spule in der Hand gehabt haben muss, bevor man sie kauft. Und wir sind sehr bekannt in Anglerkreisen in Ost- und Westberlin. Als die Mauer aufging, wussten die Angler aus dem Osten genau, wo sie hingehen mussten.

Wandern nicht immer mehr Kunden ins Internet ab?

Wahrscheinlich. Aber wir kriegen auch junge, neue Kunden, die sich YouTube-Videos angeschaut haben und dann genau die eine High-Tech-Rute haben wollen, die sie im Internet gesehen haben. Mit einem Stock, einer Schnur und einem Korken, wie wir damals angefangen haben, fängt heute keiner mehr an. Alle wollen Raubfische angeln und an verschiedenen Plätzen angeln. Mir ist das recht. Wenn die Youngster 300 Euro für eine Rute anlegen wollen, können Sie die bei mir bekommen. Aber wir haben auch günstigere Angebote.
Einen echte Veränderung haben auch die Wetter-Apps gebracht. Wenn die Kunden sehen, dass es am Wochenende regnet, bleiben sie zu Hause.

Gibt es denn auch noch die schweigsamen älteren Männer, die sich alleine an den Kanal stellen – das alte Angler-Klischee?

Zum Angeln muss man nich Schweigen. Das ist ein Gerücht. Aber ja, es sind meistens Männer, die angeln. Durch alle Schichten hindurch. Arbeitslose, Sportler oder Ärzte. Aber es werden auch immer mehr Frauen. Gerade in der Coronazeit sind mehr Frauen gekommen. Die meisten angeln aber mit Ihrem Partner.

Kann man in Berlin überhaupt noch angeln?

 Es wird einem schon schwer gemacht. Man muss eine Prüfung ablegen, um einen Fischereischein zu bekommen und braucht eine Angelkarte von dem Pächter des jeweiligen Gewässers. Für den Plötzensee werden seit vergangenem Jahr keine Angelkarten mehr ausgegeben. Man kann sich natürlich auch an das Ufer des Nordhafens stellen. Das mache ich auch manchmal. Aber wenn es Starkregen gibt, sterben die Fische in den Kanälen oft massenhaft, wegen der Abwässer, die in die Kanäle abfließen, wie neulich im Landwehrkanal. Dann ist der Kanal voll mit toten Fischen. Und in Brandenburg ist es im Sommer an den Seen schwer noch ein ruhiges Plätzchen zu finden, wegen der Badetouristen. Da kann man sich dann nur noch mit einem Boot weiter helfen. Angler haben eben keine gute Lobby.

Sie sind jetzt 63 Jahre alt. Wie lange werden Sie weiter machen?

Weiß nicht. Ich weiß nur: Wenn ich hier aufhöre, bin ich in einem Jahr tot. 

Und den Madenautomaten, wird es den auch weiter geben?

Ja, er klemmt nur immer öfter, weil irgendwelche Leute Plastikscheiben oder Sonstwas in den Münzschlitz stecken. Und wir füllen ihn nur noch am Wochenende. Die Maden leben ja. Und bei der großen Hitze verpuppen sie sich schneller. Dann haben sie statt Köder irgendwann ganz normale Stubenfliegen in der Schachtel. Das sind oft ganz dicke Brummer.

Trostpflaster

Wenn der Himmel grau ist und der Regen beständig nieselt, wenn die Wege, die du gehst die gleichen sind, die du schon seit Jahren läufst, dann ist es Zeit mal genauer hinzuschauen.
Ist das, was du jeden Tag mit Füßen trittst nicht ein wahres Wunderwerk? Ist das Grau, das sich auf den Straßen deines Viertels breit macht nicht ein Gemisch aus tausend Farben, ein Mosaik aus eitel Edelstein? Millionen Jahre sind die „Großsteine“, „Katzenköpfe“ oder „Kopfsteine“ vor deiner Haustüre alt. Sie waren das Blut der Erde, ihre brodelnde Glut , sind gestocktes Magma aus dem Erdinneren und jetzt steinhart und unverrückbar: blauschwarzer Basalt, rot gemusterter Prophyr, roter und grauer Granit und die Grauwacke verrät ihre Farbe selber. Ihre wilden Zeiten sind vorbei, und doch sind sie bunt und schön. Das solltest du dir zum Vorbild nehmen. Seit mehr als 100 Jahren sind sie in Berlin, liegen da, ohne sich zu beklagen. „Am Grunde der Moldau wandern die Steine…“ heißt es bei Berthold Brecht. Die Berliner Steine sind nur einmal gewandert: Vom schlesischen Steinbruch bis nach Berlin. Seither trampeln wir über sie hinweg, und sie bleiben liegen. „Das Große bleibt groß nicht, und klein nicht das Kleine…“ geht es bei Brecht weiter. Das stimmt. Auch die großen Steine gehen kaputt, wenn Bomben drauf fallen, oder Panzer darüber rollten, oder wenn sie rausgerissen werden, damit Räder schneller rollen können. Aber dann macht man kleine draus und setzt sie in das Pflaster der Gehwege, das typische Berliner Mosaik und wenn sie auch da auseinnander gehen, werden sie mit Beton vermischt und die gleiche Farbenvielfalt taucht in den Gehwehgplatten wieder auf. Sie sind nicht unter zu kriegen.

Was können wir also von dem Kopfsteinpflaster lernen? Das Liegenbleiben, das geduldig Sein und dass man die schönsten Sachen sehen kann, auch wenn man den Kopf hängen lässt.

Und noch etwas können uns die Steine lehren: Auch wenn nicht mehr das alte Feuer in einem kocht. Für einen Tanz auf dem Vulkan reicht es allemal (Unter Berlin gibt es tatsächlich unter all dem Dreck und Sand und Eiszeitgeröll einen erloschenen Vulkan, wer hät‘s gedacht?). Also bin ich in die U-Bahn gestiegen und tanzen gegangen. Tut auch gut gegen den Winterblues.

Ludmilla Seefried-Matejkowa „Tanz auf dem Vulkan“ Nettelbeckplatz, Berlin-Wedding Material: Grauer und roter Granit; Foto: Wikipedia CC-BY-4.0

Weihnachtswärme

Es war dunkel geworden. So dunkel wie es in einer Vollmondnacht in einer Vorortstraße eben werden kann. So dunkel, wie es das Lichterkettengeflatter und die beleuchteten Rentiere in den Vorgärten noch zuließen. Es war der erste Weihnachtstag und wir standen im bläulichen Halblicht an einer Straßenkreuzung. Wir wollten an die frische Luft und wir wollten weiter, denn wir hatten noch eine Pflicht zu erfüllen. Wir waren erst fünf Minuten von zu Hause weg, und standen erst am Anfang des Waldes, aber die Kinder wollten wieder zurück in den Keller, zu ihrer Spielkonsole. Also waren wir mutig und ließen sie ziehen. Natürlich nicht ohne sie fünf Minuten später anzurufen, ob sie angekommen wären. Uns führte der Weg tiefer und tiefer in den Wald. Bald schon hörte die Feldsteinstraße auf und wurde zu einer schlammigen Kraterlandschaft. In den wassersatten ausgefahrenen Schlaglöchern spiegelte sich der Mond. Hier war kein Durchkommen mehr für Menschen ohne Auto, und doch schlichen wir uns an den Rädern, durch Büsche und kleine Umwege weiter, immer bedacht, nicht bis zu den Knöcheln im feuchten Dreck zu versinken und nicht das Geschenk aus der Hand fallen zu lassen, bis wir die weißen Häuser sahen, die einsame Straßenlaterne und das offene Feld. Hunde bellten. Wir hatten es geschafft. Ich hätte das Geschenk jetzt einfach in den Briefkasten am wackligen Zaun vor dem etwas halbfertigen Fertighaus geworfen. Ich kannten die Leute hier kaum und wir waren nicht angemeldet. Aber die Mutter meiner Söhne klingelte. Wir sahen durch das große, gemütliche erleuchtete Verandafenster Menschen an einem Tisch in goldenem Licht. Aber sie bewegten sich nicht. „Ich bin sicher, die haben schon Besuch.“, flüsterte ich peinlich berührt meiner Gefährtin zu, aber die hatte schon das schief hängende Gartentor aufgeschoben und stapfte durch den Garten, in dem, das wusste ich vom Sommer, Füchse auf die Hühner des Hausherrn lauern. Über eine Metalltreppe kamen wir zum Hauseingang und klingelten noch mal. Es rumpelte drinnen und in der Tür stand ein breitschultriger Mann mit dichten Augenbrauen. Und er war kein bisschen überrascht, freute sich wirklich, uns zu sehen und bat uns herein in einen engen, mit Kinder- und Wanderschuhen vollgestellten Flur und dann in ein Wohnzimmer, das warm war und aussah wie die Dekoration zur Carmen-Nebel-Weihnachts-Show, die zur gleichen Zeit im Fernsehn lief, nur in echt. Ein stattlicher, glänzender Weihnachtsbaum an dem echte Kerzen brannten, Pfeffernüsse; Tannenzweige und Stolle überall auf dem festlich geschmückten Tisch, zwei Jungs in Weihnachtspullovern und mit großen Augen, die auf den unerwarteten Besuch gerichtet waren. Im Hause meiner Söhne hatte die Kraft dieses Jahr nur zur nüchternen, schiefen Mini-Tanne und einer Schachtel Schoko-Lebkuchen gereicht, die von der Mutter im Küchenschrank versteckt wurde, damit sie über die Feiertage reicht. Auch die Freude über unseren Besuch war echt. Anscheinend war es ihnen genau so gegangen wie uns Am Nachmittag des ersten Weihnachtstages war die Luft raus und die Kinder drehten etwas durch. Wir waren rechtzeitig zum Kaffee gekommen, der hier dünn war, wie ihn Schichtarbeiter trinken. Aber ich fühlte mich wie zu Hause, wie bei Muttern. Endlich Weihnachten wie ich es kannte. Wir ließen uns von der Gastgeberin immer wieder zu einer neuen Tasse nötigen während, der Hausherr das Geschenk auspackte, das ich ihm überreicht hatte, weil er mir vor zwei Monaten mein gebrochenen Schlüsselbein wieder zusammen geschraubt hatte. „Wie geht‘s dir damit?“, fragte er ärztlich routiniert. „Geht so, ist noch nicht zusammengewachsen.“ „Du musst Geduld haben.“, antwortete er und war gleich danach wieder bei seinem Lieblingsthema: Der Jagd. Eine halbe Stunde erzählte er uns vom Ansitzen, von den schrulligen Jägerkumpels und der Kälte. Ich kannte mal ein paar Jäger und konnte die richtigen Fragen stellen um seine Begeisterung richtig zu würdigen. Und ich hatte den Eindruck, dass die halbe Stunde, die wir ihm zuhörten, das schönste Geschenk für ihn war. Als wir gehen mussten, führte er uns noch nach draußen, und zeigte uns sein neues Nachtsichtgerät. „Schau mal da hinten, am Waldrand stehen vier Rehe.“ Trotz Vollmond hatte ich bisher auf dem weiten Feld nichts als Acker gesehen. Jetzt sah ich durch das Gerät vier helle Punkte – schutzlos durch die neue Technik und die Nacht brutal entzaubert. Ich dache an die Soldaten in der Ukraine und die Menschen in Israel und Palästina, denen noch nicht mal die Nacht mehr Schutz bietet. Ich hatte es plötzlich eilig nach Hause zu den Jungs zu kommen. Die waren froh, uns zu sehen, weil sie sich langweilten seit sich die Spielkonsole vor einer halben Stunde automatisch abgeschaltet hatte.
Aber Weihnachten war noch nicht vorbei. Kaum hatten wir die Schuhe aus, stand ein weiterer Freund vor der Tür und hatte eine Schale mit frischen schmalzgebackenen Krapfen für uns, die noch warm waren. Dabei hätten wir ihn beschenken sollen, denn er hat uns dieses Jahr geholfen, als wir Ärger mit der Versicherung hatten. Aber echte Freundschaft fragt ja nicht nach Gegenleistungen. Wir aßen sie vorm Fernseher, der einen Riss hat, weil ein Sohn vor ein paar Monaten Wut den Controller seines Computerspiels in den Bildschirm gehauen hat, während wir die Carmen Nebel Show schauten. Falsche Gefühle und Kitsch, aber mir war danach. Warm im Bauch, warm ums Herz, etwas Freude gegeben, etwas Freude bekommen. So hat sich Weihnachten sich für mich lange nicht mehr angefühlt.

Im Dornröschenschlaf

Wenn die größte Immobilienfirma Deutschlands eine Pressemitteilung heraus gibt, in der von „Gleichheit und Gerechtigkeit“ die Rede ist, dann muss da was faul sein. Dann kann man das auch als Feierabendjournalist nicht so stehen lassen. Und da ich ja gerade genug Tagesfreizeit habe, wurde ich von der Redaktion unseres Kiezmagazins „Weddingweiser.de“ losgeschickt in die Nachbarschaft, wo die denkmalgeschützte Friedrich-Ebert-Siedlung zwischen Müllerstraße, rotem Efeu und Rehbergepark langsam verfällt. Meinen Jüngsten habe ich dabei im Schlepptau: Ich habe ihm eine Fotosafari versprochen.

Die stille Usambarastraße träumt an diesem strahlenden Spätherbsttag von besseren Tagen. Wer die schmale Straße durch den großen Toreingang von der Petersallee betritt, merkt, dass hier die Zeit langsamer vergeht als auf der Müllerstraße oder der Afrikanischen Straße, die den östlichen Teil der Friedrich-Ebert-Siedlung umschließen. Kaum Verkehr, kein Lärm von den tosenden Magistralen des Wedding, viele alte Bäume und ein leerer Kinderspielplatz. Alle Häuser sehen hier gleich aus: Grau, vier- oder fünfgeschossig und sehr in die Jahre gekommen. Manche schon von Efeu überwuchert, mehr geflickt als renoviert.

Dabei war die Siedlung einmal der Stolz sozialer Wohnungspolitik in der Weimarer Republik. Das rund 100.000 Quadratmeter große Gelände wurde im Jahr 1928 von dem Bau- und Sparverein „Eintracht“ erworben. Vorher standen hier Hüttensiedlungen, die wegen der großen Wohnungsnot von den Bewohnern illegal errichtet wurden. Gustav Bauer, der ehemalige sozialdemokratische Reichskanzler, war einer der beiden Vorsitzenden der Eintracht und legte mit Louise Ebert, der Witwe von Friedrich Ebert, 1929 den Grundstein.

Mit dem architektonischen und städtebaulichen Konzept für die 1.400 Wohnungen wurden die beiden Architekten Paul Mebes und Paul Emmerich sowie der Stadtplaner Bruno Taut beauftragt. Taut hatte vorher unter anderem die Schillerparksiedlung im Wedding entworfen, die heute UNESCO-Weltkulturerbe ist. Auf diese Liste der fünf Berliner Weltkulturerbe-Siedlungen hat es die Friedrich-Ebert-Siedlung nicht geschafft, was vielleicht an ihrem bedauernswerten Zustand liegt. Dabei hat sie Einmaliges zu bieten. Die Wohnhäuser wurden erstmals in der Zeilenbauweise errichtet, das heißt, dass die kurzen und fensterlosen Seiten der langgestreckten Gebäude zur Straße gerichtet und die Hauseingänge durch kleine Fußwege zu erreichen sind. 
„Gleichheit und Gerechtigkeit“ sollte durch diese Bauweise symbolisiert werden, schreibt die Wohnungsgesellschaft Vonovia, der 365 Wohnungen im Viertel gehören, in einem Pressetext. Sie schreibt auch etwas von „fast bürgerlich vorstädtischem Flair“. Meint sie das ernst?

Eine niedrige dunkelbraune Tür mit abgenutztem Lack steht offen. Durch sie betrete ich ein Treppenhaus, das im Parterre mit edlen Solnhofener Muschelkalkplatten ausgelegt ist, dem Goldstandard der Vorkriegszeit. An der Kellertür wird das „Betreten mit offenem Licht“ verboten, in einem Alukasten hängt schief eine Mitteilung der Deutsche Wohnen AG. Ein Stockwerk höher liegt auf der Treppe ausgetrocknetes, schartiges Linoleum. Die Decke zum Speicher hat einen Wasserschaden, der auch auf den türkisen Wänden des Treppenhauses goldbraune Schlieren hinterlassen hat. An einer reparierten Wohnungstür hängt ein Strohkranz mit den Worten „Home“. Keine Frage: Der westliche Teil der Friedrich-Ebert-Siedlung zwischen Afrikanischer- und Müllerstraße ist auf den ersten Blick mehr ein „Lost Place“ als ein Bürgertraum, ein von seinen Eigentümern vergessener Ort. Aber wer ist eigentlich der Eigentümer?

„Wir wissen schon gar nicht mehr, wer hier alles Eigentümer war: Gagfah, Fortress, ZVBB, GSW. Und jetzt Deutsche Wohnen”, klagte ein Mitglied einer Mietergruppe, die sich vor Jahren gegen den Verfall engagiert hatte. Den Eigentümern gemeinsam sei, dass kaum einer von ihnen etwas zur Instandhaltung beigetragen habe. In vielen Hauseingängen hängt die Hausordnung der Deutschen Wohnen AG (deren Aktien zu mehr als 86 Prozent der Vonovia gehören). Die Warnschilder auf dem wieder eröffneten Kinderspielplatz tragen das Logo der Vonovia. Es ist etwas verwirrend. Am Zustand der Häuser östlich der Afrikanischen Straße lässt sich der Eigentümer auf jeden Fall nicht ablesen. „Da laufen keine größeren Arbeiten“, bestätigt ein Sprecher der Vonovia. „Und es sind weder von der Deutschen Wohnen noch von der Vonovia größere Sanierungsarbeiten geplant.“ 

Westlich der Afrikanischen Straße kommt ein weiterer Eigentümer ins Spiel: Die ambelin GmbH aus Berlin wird mir von einem Anwohner genannt. Ob sie es war, die die wenigen Häuserzeilen um das Friedrich-Ebert-Denkmal vor Jahren wieder in ihren strahlend weißen Originalzustand versetzt hat, hätte ich gerne gewusst, aber die Firma antwortet nicht auf meine Anfrage.

Am besten, man blendet das ganze Hin- und Her einfach aus, so wie Herr S., ein älterer Herr, den ich an einem der wenigen Autos treffe, die hier stehen. Seit 1940 lebt er „bei der Eintracht“, obwohl sich der Verein schon Ende der 1990er Jahre auflösen musste. Im Alter von zwei Jahren ist der heute 85-Jährige mit seinen Eltern in die Siedlung gezogen und hier geblieben. 620 Euro warm zahlt er für 70 Quadratmeter und ist zufrieden. Er gehört zu der schnell wachsenden Gruppe der über 80-Jährigen, die im Afrikanischen Viertel und rund um die Rehberge nach Zählung des Bezirkes wohnen. „Voll in Ordnung“, sei es hier, bestätigt auch Herr T, ein quirliger Endzwanziger mit Nickelbrille und dezenten Tatoos am Hals. Sein zierlicher Hund zieht an seiner Leine, während er mir erzählt, dass er vor einem Jahr hier eingezogen ist und 635 Euro warm für eine renovierte Wohnung mit 58 Quadratmetern zahlt. Er ist gekommen, um zu bleiben – wie viele hier. Die Fluktuation liege bei etwa drei Prozent im Jahr, gibt die Vonovia an. 
Eine große Treue zum Quartier rund um die Rehberge bestätigen auch die Zahlen des Bezirks aus dem Jahr 2021. Aber so langsam verändert sich die Bewohnerschaft auch hier. „Ich merke das an der Zahl der Zeitungen, die wir verkaufen und an den Lottoscheinen“, erzählt mir Chan, der seit etwa zehn Jahren den markanten halbrunden Rozi-Kiosk neben dem Ebert-Denkmal betreibt. „Das werden immer weniger. Durch Corona sind viele liebe Kunden gestorben. Es kommen mehr junge, Studenten und so.“

Bleibt zu hoffen, dass der Dornröschenschlaf, in dem große Teile der Siedlung liegen, nicht zum schleichenden Verfall wird. „An den Häusern selber ist lange nichts gemacht worden“, klagt Herr J. Der 50-Jährige stammt aus Slowenien und ich treffe ihn, als er auf einer der halbrunden Metallflächen sitzt, die hier jeden Eingang zieren. Sieben Jahre wohnte er hier. „Schauen sie sich die Metallfenster an! Das sind immer noch die alten.“ Und der Garten sei verwahrlost, beschwert er sich. „Aber wenn was kaputt ist, braucht man nur anzurufen, dann kommen sie schnell“, räumt er ein, ohne sich zu erinnern, wer eigentlich sein Vermieter war. Weggezogen – ins Märkische – ist er dann auch nicht wegen der Baumängel, sondern weil es mit der Liebe aus war. Heute ist er wieder da, um seine Ex-Freundin zu besuchen, die in der alten Wohnung geblieben ist. Liebe vergeht, Miete besteht.